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Würde Pink Floyd heute Erfolg haben?

Von Yves Bellinghausen / 4. Dezember 2019
picture alliance / Robert Schlesinger | Robert Schlesinger

Keine technologische Neuerung hat in den vergangenen Jahren unsere Hörgewohnheiten derart verändert wie das Streaming. Auf die Musik selbst haben Spotify und Co. ohnehin gewaltigen Einfluss.

Schwebt dein Finger auch manchmal so nervös über dem Skip-Button, wenn du Musik streamst? Ich selbst ertappe mich manchmal bei einem wahren Exzess: Ich skippe gnandenlos drei, vier, fünf Lieder, die mir zäh vorkommen, überspringe diese todlangweiligen, „Skit“ genannten Sketche in Hiphop-Alben und wenn der Algorithmus von Spotify mir wieder ABBA unterjubeln will, dann mache ich ganz kurzen Prozess.

Anscheinend bin ich damit nicht allein: Die Allverfügbarkeit von beinahe jedem Titel durch Streaming – man muss sich diese Errungenschaft ja erstmal vor Augen führen! – senkt bei den Hörern die Hemmschwelle, schon nach ein paar Sekunden das Lied zu wechseln. Und weil die Musikindustrie Jahr für Jahr abhängiger wird von Streamingservicen wie Spotify, Deezer oder Tidal, richten Komponisten sich nach den ungeduldigen Rezipienten: Intros werden kürzer, die charakteristische Melodie muss früh kommen, ebenso der Refrain. Musiker, die auf Spotify Erfolg haben wollen, müssen vor allem alles dafür tun, sich über die entscheidende 30-Sekunden-Marke zu retten. Erst danach zählt Spotify den Song als angehört. Und erst dann gibt es Geld. Seit 2016 zählen die Aufrufe von Spotify außerdem in die deutschen Charts mit rein.

Zur Sache, Schätzchen

Popmusik muss heute gleich zur Sache kommen. Das gilt auch für den Liednamen. Waren Songtitel früher mitunter noch ganze Sätze, tendieren Plattenfirmen heute dazu, Liedern kurze und griffige Titel zu geben, um sie in dem überleben zu lassen, was der Musiktheoretiker Hubert Léveillé Gauvin von der Ohio State University in den USA in einer Untersuchung als „Aufmerksamkeitsindustrie“ des modernen Pop bezeichnet. Aber Songtitel werden nicht nur kürzer: Léveillé Gauvin hat festgestellt, dass Musiker auch darauf bedacht sind, den Songtitel möglichst früh im Lied zu nennen. „Es ist ein Survival-of-the-fittest: Lieder, die die Aufmerksamkeit der Hörer erhaschen können, werden gespielt, der Rest wird geskippt“, sagt er, „wenn Leute Musik so einfach und dann auch noch gratis skippen können, muss man sich etwas einfallen lassen, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen.“

Demokratie in der Musikindustrie

Kulturpessimisten sehen hier natürlich nur einen weiteren Verfall auf dem Vormarsch. Wäre eine Band, die komplexe, sich langsam aufbauende Alben herausbringt, etwa wie Pink Floyd, heute noch erfolgreich? Würde der Manager von Nirvana Sänger Kurt Cobain heute noch so einen kryptischen Titel wie „Smells like Teen Spirit“ durchgehen lassen? Diesen Fragen nachzugehen, ist müßig, aber es lässt sich argumentieren, dass Streaming die Musik gewissermaßen demokratisiert. Die Leute fühlen sich von langen Intros gelangweilt, die doch eigentlich immer als Ausweis von Kunst betrachtet wurden? Dann fallen sie halt weg. Spotify lernt schnell. Im Sommer 2017 wurde das Lied „Despacito“ des Puerto Ricaners Luis Fonsi zu einem gigantischen Erfolg (sieben Guinnessbuch-Weltrekorde!). Im selben Jahr vermeldete Spotify, dass Latinpop um 100 Prozent häufiger gehört wurde. Ein Song konnte innerhalb weniger Monate einen globalen Trend auslösen – in Zeiten der trägen analogen Musikindustrie wäre so etwas undenkbar gewesen. Streaming macht die Musikwelt eben auch disruptiver, neue Künstler bekommen ihre Chance, in kürzester Zeit Millionen an ihren Handys für sich einzunehmen. Einerseits. Andererseits ist Spotify für seine ausbeuterischen Vertragsbedingungen bekannt: 0,6 – 0,8 Cent pro abgespielten Song (natürlich nur nach 30 Sekunden) bekommen Interpreten. Da braucht es schon eine Menge Fans, um nicht nur bekannt, sondern auch reich zu werden.

Der bessere Musikgeschmack?

Anbieter wie Spotify beschränken sich jedoch schon längst nicht mehr darauf, den gesamten Katalog der Musikgeschichte bereitzustellen – sie wollen Ordnung in das Chaos bringen: Smarte Algorithmen stellen personalisierte Playlists zusammen, weisen einen sogar auf neue Musikstile hin, die einem gefallen könnten, und wenn ich ehrlich bin, dann kennt Spotify meinen Musikgeschmack besser als meine eigenen Freunde. Es hat zwar eine Weile gedauert, bis der Algorithmus verstanden hat, was mir gefällt, aber seitdem sind die Musikempfehlungen beklemmend präzise. Für Anbieter liegt genau hier der Punkt. Es braucht einige Zeit, bis kluge Technologie weiß, wonach sie suchen soll. Algorithmen brauchen darum massenhaft Informationen. Für Spotify ist es wichtig, dass wir viel hören: damit wir Daten produzieren, die helfen, unseren Musikgeschmack noch genauer zu treffen, damit wir noch mehr hören und wiederum noch mehr Daten produzieren. Ein Endloskreislauf. Ich persönlich lasse mich auf diesen Deal ein, gebe Spotify meine Daten im Austausch für hervorragende Empfehlungen. Ich habe das Gefühl, inzwischen so viel mehr Musik zu kennen. Einerseits. Andererseits gibt der moderne Spotify-Hörer auch die Kontrolle an den Algorithmus ab. Weiß er dadurch jetzt mehr über Musik oder weniger?

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