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Der spanische Wahlkampf – nichts ist sicher

Von Jonas Freist-Held / 12. Oktober 2015
Foto: Jonas Freist-Held

Die politische Landschaft in Spanien ist in den vergangenen zwölf Monaten durcheinandergewirbelt worden. Das bisherige Zweiparteiensystem befindet sich im Umbruch. Die Unzufriedenheit der spanischen Bevölkerung drückt sich im Aufstieg zweier populistischer Protestparteien aus. Ein „Weiter so“ wird es nicht geben. Aber: Europa an sich wird nicht in Frage gestellt – es gibt nur unterschiedliche Visionen.

Gut zwei Monate vor den Parlamentswahlen gibt es den ersten Aufreger: den Wahltermin. Die Regierungspartei hat ihn auf den 20. Dezember 2015 gelegt – vier Tage vor Heiligabend. Die Empörung in der Opposition ist groß. „Im Weihnachtsrummel können die Menschen nebenbei auch noch schnell wählen gehen, zwischen Einkäufen und Vorbereitungen für das Weihnachtsfest“, sagt Juan Moscoso, europapolitischer Sprecher der Partido Socialista Obrero Español (PSOE). Witzig findet er das gar nicht. „Das ist Wahnsinn!“ Damit wolle die Partido Popular (PP) die Wählerschaft der Opposition demobilisieren.

In der spanischen Politik herrscht große Nervosität. Das politische Umfeld hat sich in den vergangenen zwölf Monaten stark verändert. Bei den Regionalwahlen im Frühjahr hat das Land einen Linksruck erlebt. Die Jahrzehnte anhaltende Dominanz der zwei Volksparteien, der sozialistischen PSOE und der konservativen PP, könnte ein Ende nehmen. Zwei neue Parteien haben sich in den Mittelpunkt gedrängt: die linkspopulistische Podemos („Wir können“) und die rechtspopulistische Ciudadanos (Bürger). Aber der Reihe nach.

Nach dem Ende der Franco-Diktatur wurde in Spanien ein Mechanismus eingeführt, der eine friedliche Demokratisierung einleiten sollte: das Zweiparteiensystem. Das Zweiparteiensystem war ein Kompromiss zwischen den Sozialisten und den Franquisten und etablierte die sich im Bürgerkrieg gegenüberstehenden Parteien in einem demokratischen System. Teil dieses Kompromisses waren auch die Beibehaltung der spanischen Monarchie und die Gewährung von Autonomierechten für Regionen, die unter dem Franco-Regime unterdrückt wurden. Die spanische Verfassung von 1978 ist Ausdruck dieser politischen Ausgangslage.

Seither haben sich die Sozialisten und die Konservativen an der Regierung abgewechselt. Kleine Parteien wie die Kommunisten oder Sozialliberalen konnten nie eine Rolle spielen. In Spanien gilt das uneingeschränkte Verhältniswahlrecht. Pro Wahlkreis muss eine Partei einen bestimmten Mindestwert erreichen, um ein Mandat zu erhalten. Gelingt das nicht, verfallen die Stimmen. Kleine Parteien haben meist keine Chance, diesen Mindestwert und damit Parlamentssitze zu erreichen, PSOE und PP profitieren.

Die Podemos-Manie

Die wirtschaftliche Krise und anhaltende Korruptionsskandale in der spanischen Politik haben die Entstehung zweier neuer Parteien begünstigt. Anfang 2014 gründete sich die Protestpartei Podemos, die fortan die „politische Kaste“, wie sie die PSOE und PP nennt, aufmischt. Sie sieht sich als basisdemokratische Partei mit einer horizontalen Führungsstruktur. Das Parteiprogramm wird im Austausch mit den Anhängern über Gesprächskreise und Internetplattformen entwickelt. Sie kritisiert die verkrustete spanische Elite und die dadurch entstandene Vetternwirtschaft. Gegründet wurde sie von einer Gruppe von Universitätsprofessoren der Universidad Complutense Madrid. Kopf der Partei ist Pablo Iglesias.

Schon bei den europäischen Parlamentswahlen im Mai 2014 erreichte sie auf Anhieb fünf Sitze. Anfang 2015 war sie plötzlich mit mehr als 28 Prozent für vier Monate die stärkste Partei in den Umfragen. Die Partei wurde von allen Seiten gehypt. So steil der Aufstieg, so auch der Fall: Seit März geht die Zustimmung beständig bergab. In einer aktuellen Umfrage liegt die Partei nur noch bei 14 Prozent. „Alle, die aus dem Ausland nach Spanien kommen, fragen nach Podemos, dabei mischt eine andere Partei die spanische Politiklandschaft zurzeit viel stärker auf“, sagt eine Mitarbeiterin des spanischen Parlaments.

"Die Banken stehlen und die Regierung hilft" steht auf dem Plakat einer spanischen Rentnerin. Viele Rentner haben vor der Krise in riskante Geldanlagen investiert und sind jetzt um ihre Rente gebracht.
„Die Banken stehlen und die Regierung hilft“ steht auf dem Plakat einer spanischen Rentnerin. Viele Rentner haben vor der Krise in riskante Geldanlagen investiert und sind jetzt um ihre Rente gebracht. (Foto: Jonas Freist-Held)

Derzeit schlägt die Stunde von Ciudadanos. Die Partei wurde bereits 2006 gegründet, erlebt aber erst seit Anfang dieses Jahres ihre Blütezeit. Viele bezeichnen sie als rechtes Podemos. Ihre Anhänger kommen überwiegend aus dem gutgebildeten Mittelstand und haben die andauernden Korruptionsskandale der etablierten Parteien satt. Die Korruptionsbekämpfung ist das Thema der Partei. In aktuellen Umfragen liegt sie bei 21,5 Prozent – nur zwei Prozentpunkte hinter der PP und der PSOE, die gleichauf liegen. Für besondere Aufmerksamkeit sorgte die Partei, als sie im September bei den Regionalwahlen in Katalonien mit knapp 18 Prozent zweitstärkste Kraft wurde.

Spaniens politischer Umbruch

Durch die anhaltende Eurokrise und die Korruptionsskandale ist der Erfolg der beiden Protestparteien ein Ausdruck von Unzufriedenheit mit den politischen Eliten. Die Menschen wollen kein „immer weiter so“ und suchen nach einer Alternative. Die spanische Politik erfährt derzeit einen Umbruch. „Was für diesen Umbruch spricht, ist, dass er als Gegner der etablierten Parteien Podemos und Ciudadanos produziert und nicht wie in Deutschland Pegida, die AfD oder so einen Stumpfsinn“, sagt Michael Ehrke, Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Madrid. Das spreche für die Qualität der spanischen Demokratie.

Bei den nationalen Wahlen im Dezember könnten erstmals vier große Parteien in das spanische Parlament einziehen. Die bisherigen Mehrheitsverhältnisse würden damit komplett über den Haufen geworfen. Bisher regierte entweder die PSOE oder die PP, mal mit absoluter Mehrheit, mal unterstützt durch starke Regionalparteien. Jetzt könnte es erstmals in der Post-Franco-Ära eine Koalition geben. Diskutierte Möglichkeiten wären die PSOE und Podemos, die PP und Ciudadanos, aber auch die PSOE und Ciudadanos. Sicher ist, dass die PP und Podemos nicht miteinander können. Über eine große Koalition à la Deutschland wird nur hinter vorgehaltener Hand diskutiert. Die will eigentlich niemand.

Für die PSOE und die PP wird sich einiges verändern. „Angst vor den Wahlen habe ich nicht“, sagt Juan Moscoso. Lediglich für die Zusammensetzung seiner Fraktion könnte sich einiges ändern. Die 350 Sitze im spanischen Parlament werden wahrscheinlich unter vier Parteien aufgeteilt. Viele Abgeordnete der Volksparteien könnten ausscheiden.

Nur eines ist sicher: Die neue Regierung wird eine pro-europäische sein. Alle Parteien sind Befürworter der Europäischen Integration und sehen mehr und nicht weniger Europa als Lösung für die Überwindung der Krise.

Die Europapolitik der PSOE

Die Vision der PSOE für Europa ist ein Föderalstaat mit umfassenden Kompetenzen in der Außen-, Verteidigungs-, Migrations-, und Sozialpolitik. Sie möchten die Monetärunion mit einer Fiskalunion komplementieren. Auch die europäischen Institutionen müsse man reformieren, sagt Domènec Ruiz Devesa, politischer Berater der PSOE im Europäischen Parlament. Der Europäische Rat, in dem die Regierungschefs der 28 Mitgliedstaaten zusammenkommen, müsse langfristig gesehen eine Art zweite Kammer zum Parlament werden. „Wie der deutsche Bundesrat“, sagt Ruiz Devesa.

Zu Besuch im spanischen Parlament. Im Gespräch mit dem europapolitischen Sprecher der PSOE, Juan Moscoso.
Zu Besuch im spanischen Parlament im Gespräch mit dem europapolitischen Sprecher der PSOE, Juan Moscoso. (Foto: Jonas Freist-Held)

Der europapolitische Sprecher der PSOE Moscoso räumt ein, dass die Europapolitik in seiner Partei durch die Krise durch andere Themen wie Sozial- oder Wirtschaftspolitik überschattet worden sei. „Früher war der Diskurs lebendiger.“ Für die PSOE ist die europäische Wirtschaftspolitik gescheitert. „Mit der Sparpolitik geht es nicht weiter.“ Außerdem müsse man endlich auf europäischer Ebene gegen Steueroasen vorgehen und Steuergerechtigkeit herstellen. Um das Verständnis für Europa zu stärken, müsse man im Bildungsbereich mehr über die EU lernen, fordert er. „Viel zu wenig Menschen in Spanien wissen, was eigentlich in Brüssel passiert und was eigentlich die PP verbockt.“

Die Positionen der PP

Auch die PP könne sich langfristig die Vereinten Staaten von Europa vorstellen, sagt Carlos Uriarte. Er ist Präsident der Jungen Spanischen Paneuropäisten und mit der PP affiliiert. „Die Partei hat ihre Kernkompetenz in der Wirtschaftspolitik“, sagt er. Starke Handelsbeziehungen wie das Freihandelsabkommen TTIP seien wichtig für die europäische Wirtschaft. „Wir müssen neue Märkte für Exporte schaffen.“ Finanzpolitisch sei die PP überwiegend auf einer Linie mit der britischen Regierung. „Sie ist gegen eine Finanzmarkttransaktionssteuer.“ Umso weniger Steuern für Unternehmen anfallen, desto besser.

Die Antwort auf die Krise sei ganz klar mehr Europa und mehr Integration. Die Notwendigkeit grundlegender institutioneller Reformen auf europäischer Ebene sieht Uriarte nicht. Man wolle eine starke Europäische Kommission und ein starkes Europäisches Parlament. Entscheidungshoheiten und Kompetenzen müssten dort angedockt werden, wo sie am sinnvollsten sind, frei nach dem Subsidiaritätsprinzip. „Ich kann mir auch europäische Listen und gesamteuropäische Kandidaten für die Parlamentswahlen vorstellen“, sagt Uriarte.

Podemos will ein anderes Europa

Podemos ist keine europaskeptische Partei, auch wenn das viele denken“, sagt Jaime Iglesias, Koordinator des Europaprogramms bei Podemos. „Aber wir möchten ein anderes Europa.“ Die Partei möchte einen transformativen und konstruktiven Prozess anstoßen. „Die EU hat sich in den vergangenen Jahren auf das Wohl der Märkte und nicht auf das Wohl der Menschen konzentriert“, sagt Iglesias.

Demonstration für ein anderes Europa auf dem Plaza Reina Sofia in Madrid.
Demonstration für ein anderes Europa auf dem Plaza Reina Sofia in Madrid. (Foto: Jonas Freist-Held)

Grundlegende Dinge müssten sich ändern. „Das Parlament muss die zentrale Institution der EU werden“, betont Iglesias. Die europäischen Institutionen müssen demokratische Legitimität und Transparenz zurückgewinnen. Für das Parlament fordert Podemos das Legislativrecht, die Begrenzung der Anzahl der EU-Kommissare, und: „Wir wollen, dass jeder vom Parlament gewählt wird.“

Die Wirtschaftspolitik der Union müsse die soziale Perspektive stärker einfließen lassen. Für die Banken fordert er eine höhere Mindestliquidität und die Pflicht zu höheren Kapitalrücklagen. „Wir müssen endlich Steuerparadiese in Europa bekämpfen.“ Die Unternehmenssteuer müsse man europaweit harmonisieren. Auch fordert Podemos eine Vergemeinschaftung der Schulden durch Eurobonds.

Auch Ciudadanos stellt die Europäische Union nicht in Frage. Die Partei tritt für ein wirtschaftlich starkes und konkurrenzfähiges Europa ein. Dazu gehört auch die Unterstützung für TTIP. Im Europäischen Parlament hat sich die Partei der Gruppe der Liberalen angeschlossen.

Es wird spannend

Wer letztendlich in Spanien die neue Regierung bilden wird, ist noch völlig offen. So schnell wie sich in den vergangenen Monaten das politische Umfeld in Spanien geändert hat, kann bis zu den Wahlen noch einiges passieren. Schon ein einziger Korruptionsskandal oder ein unerwartetes Ereignis könnten das Stimmungsbild komplett durcheinanderwirbeln. Es bleibt spannend. Spannend für Spanien und spannend für Europa.

2 Antworten auf „Der spanische Wahlkampf – nichts ist sicher“

  1. Von machotonto am 14. Oktober 2015

    Warum genau betitelt der Autor Ciudadanos und Podemos jetzt eigentlich als populistische Parteien? Besteht nicht ein Unterschied zwischen populistischen und alternativen Ideen? Den Schwerpunkt auf Podemos verlagernd: Ist die Bewegung 15-M dann auch eine populistische?

    Wenn sich die Intelektuellen über eine Einteilung der Parteien in das „Links-Rechts-Schema“ augenscheinig uneinig sind (C’s werden je nach Meinung als Mitte-Links bis Mitte-Rechts eingestuft), ist die stumpfe Etikettierung „populistisch“ nicht viel zu kurz gegriffen?

    Liebe Grüße

  2. Von Jonas Freist-Held am 14. Oktober 2015

    Populistisch aus dem Grunde, da sowohl Podemos als auch Ciudadanos ihren politischen Aufstieg dank der Thematisierung populistischer Themen zu verdanken haben, die große Teile der spanischen Bevölkerung zu mobilisieren vermögen. Podemos behauptet aus der 15M Bewegung entstanden zu sein und die Interessen des Volkes zu vertreten. Der Erfolg der Partei rührt meinen Eindrücken nach vor allem von der Vereinfachung komplexer Themen und der Kommunikation einfacher Parolen. Podemos wettert gegen verkrustete Eliten, gegen die Korruption im spanischen Staatsapparat und gegen ein Spardiktat aus Brüssel. Damit nutzt die Partei ein Momentum, dass sich ihr aufgrund der politischen Lage in Spanien bietet. Der Vorwurf an Podemos war bisher, dass sie über die populistischen Thesen hinaus keine konkreten und konstruktiven Vorschläge liefern. Aus meinen Gesprächen habe ich den Eindruck gewonnen, dass sich das jetzt langsam ändert. Der anfängliche Erfolg ist aber durch die gekonnte Instrumentalisierung allgemeintauglicher Themen zu erklären.
    Ähnlich bei Ciudadanos: sie sind Mitte-rechts zu verorten und konzentrieren sich vor allem auf ein Thema: die Korruptionsbekämpfung. Sie inszenieren sich als wirtschaftsliberale Partei, die genug von der Korruption in Spanien hat. DAS ist ihr Thema und das findet Zuspruch in der Bevölkerung.

    Meiner Meinung nach können alternative Ideen auch populistisch sein. Ich empfinde populistisch auch nicht als negative Wertung, sondern als Beschreibung des Aufstiegs der Parteien im Zuge ihrer gekonnten Konzentration auf einige wenige einfache Punkte, die darauf abzielten, weite Teile der Bevölkerung zu mobilisieren.

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