Grundnahrungsmittel Rassismus
Von einem Schlag getroffen ging vor wenigen Tagen ein Mann aus Kasachstan zu Boden und starb kurz danach. Die Täter waren Neonazis aus Thüringen, die sich in Kaufbeuren bei einem Volksfest austobten. Sie hatten rassistische Parolen gebrüllt und einige Migranten angegriffen. Die Polizei nahm die Täter fest. Alltagsterror, tödlicher Rassismus. Ein weiteres Opfer rechtsextremer Gewalt. […]
Von einem Schlag getroffen ging vor wenigen Tagen ein Mann aus Kasachstan zu Boden und starb kurz danach. Die Täter waren Neonazis aus Thüringen, die sich in Kaufbeuren bei einem Volksfest austobten. Sie hatten rassistische Parolen gebrüllt und einige Migranten angegriffen. Die Polizei nahm die Täter fest.
Alltagsterror, tödlicher Rassismus. Ein weiteres Opfer rechtsextremer Gewalt. Dafür bedurfte es keiner Untergrundorganisation wie den NSU mit seinen konspirativen Netzwerken, keiner illegalen Waffen und keiner hilfsbereiten V-Leute des Verfassungsschutzes. So lange scheinbar normale Bauarbeiter wie die Täter von Kaufbeuren frei herumlaufen, muss sich Deutschland mit dem Rassismus in der Gesellschaft auseinandersetzen. Rassismus ist das Grundnahrungsmittel der Nazis. Ohne ihn würden sie verhungern.
In den letzten Wochen wurde viel und hart auf die USA eingeprügelt. Mal mit mehr und mal mit weniger Sachkenntnis über den Datenskandal des NSA, selten ohne Wut auf die Amerikaner, die weit über den Anlass der Kritik hinausgeht. Auch der Freispruch von George Zimmerman, der den schwarzen Jungen Trayvon Martin erschossen hat, bestätigt vielen Deutschen ein Stereotyp über die USA: Wenn es irgendwo wirklich Rassismus gibt, dann ja wohl dort. Das Wort ist mit den USA untrennbar verbunden. Töten Nazis oder Halbnazis in Deutschland einen Kasachen, wird bestenfalls von Fremdenfeindlichkeit gesprochen. Zur Beschreibung deutscher Verhältnisse geht das Wort Rassismus gar nicht. Dafür ist es zu groß, zu ideologisch, zu amerikanisch. Würden die Menschen in Amerika jetzt gegen Prism demonstrieren statt gegen das Zimmerman-Urteil entspräche es also mehr der deutschen Stimmungslage.
Rassismus mag eine amerikanische Erbsünde sein, und er ist längst nicht überwunden, doch es ist weit mehr als in Deutschland geschehen, um das zu ändern. Die Gesellschaft hier hat sich noch nicht einmal ansatzweise einer Debatte über den eigenen Rassismus gestellt. Jeder Versuch, dies zu tun, wird mit falschen Behauptungen über die Opfer gekontert und mit kaltschnäuziger Häme über den Blödsinn und die Verlogenheit politischer Korrektheit. Deshalb ziehen sich viele aus einer beginnenden Debatte zurück; sie wollen nicht als die Spielverderber gelten, für die man „Gutmenschen“ hält. Solch eine Haltung wäre jenseits des Atlantiks nicht mit dem Selbstbild des modernen Amerikas vereinbar und gälte auf der persönlichen Ebene als inakzeptabel.
Dass hierzulande politische Korrektheit so oft abgelehnt wird, anstelle Rassismus abzulehnen, das ist nicht nur unsensibel, sondern eine Schande für Deutschland. Es ist also kein Wunder, wenn sich Rechtsextreme ziemlich sicher fühlen. Nachdem der Kasache in Kaufbeuren gestorben war, leugnete die Polizei zunächst den rechtsextremen Hintergrund der Tat. Die Täter waren zwar für ihre Gesinnung bekannt, und die rassistischen Parolen hatten alle gehört, doch weil sich der Täter mit dem Opfer nicht gestritten habe, sei ein „rechtsmotivierter Hintergrund“ auch nicht erwiesen, sagt die Polizei.
Vielleicht kann sich Deutschland ausnahmsweise ein Beispiel an den USA nehmen. Dort wird in öffentlichen Diskussionen heftig über das Thema Rassismus gestritten.
Anetta Kahane ist Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung. Ihre Ansichten über das „Grundnahrungsmittel Rassismus“ erschienen zuerst in ihrer Kolumne in der Berliner Zeitung. Wir bedanken uns für das Crossposting auf sagwas.net.
Foto: shutterstock.com
Danke für diesen Artikel! Ich wohne nur ein paar Kilometer von dem Ort entfernt an dem der aus Kasachstan stammende Kaufbeurer totgeprügelt wurde. Für mein Blog (http://wp.me/p2h6ph-i3) wollte ich einige Tage später ein paar Fotos vom Tatort machen. Nach nur wenigen Minuten bin ich mit Rassismus der übelsten Art und Weise konfrontiert worden.
Was ist Ihnen denn widerfahren, Herr Pohl? Und wie sind Sie damit umgegangen?
Liebe Frau Kahane, ganz herzlichen Dank für Ihren Beitrag, der wirklich sehr erhellend für mich war!Erst fand ich den Vergleich mit den USA komisch – (schon wieder DIE USA) – aber je mehr ich darüber nachdachte, umso erschreckender fand ich das große Schweigen zu Rassimus hier in Deutschland im Vergleich zu den lauten Rufen in den USA. Sicherlich spielt da aber natürlich auch viel Tagesgeschäft eine Rolle, da ja das Gerichtsurteil gerade ausgesprochen wurde. Man wird nun beobachten müssen, wie das Thema weiterhin in den USA besprochen wird.
Dass Polizisten in Deutschland oft vorn vornherein rassistische Angriffe ausschließen, ist wahrlich ein politischer Skandal – zumal die Natur des Angriffs in dem beschriebenen Fall offensichtlicher nun nicht mehr sein kann!! Danke auch für den diesbezüglichen Beitrag von Jürgen Pohl.
Liebe Frau Kahane, es wäre wunderbar, wenn man Sie bei Sagwas regelmäßig lesen und diskutieren könnte!
Es ist tatsächlich wahr, was die Autorin über den Rassismus in Deutschland schreibt. Viele erkennen nicht einmal, wenn sie rassistische Äußerungen von sich lassen. Weist man sie dann darauf hin, kommt nur das Argument, dass man die Realitäten nicht wahrhaben möchte, dass man ein Gutmensch ist und das man sich doch einfach mal die Kriminalitätsstatistiken ansehen soll.
So neulich auch in einer Diskussion um ein Flüchtlingsheim. Auf einmal wurde ein Artikel ins Spiel gebracht, der sich um eine angebliche Vergewaltigung in einem Flüchtlingscamp dreht. Was der Kommentator damit andeuten wollte, kann man wie folgt zusammenfassen:
„Alle Ausländer sind Kriminelle. Sie laufen randalierend durch die Straßen und vergewaltigen dabei noch unsere Deutschen Frauen.“
Es ist erschreckend, aber dieser Rassismus, der sich als Vorurteil tarnt, kommt in Deutschland viel zu oft vor. Menschen werden, weil sie nicht aus Deutschland kommen, zu Kriminellen abgestempelt. Wenn man dieser Argumentation folgt, kann man daraus folgern, dass diese Menschen nur aus ihren Kriegsgebieten nach Deutschland kommen, um den dort erlebten Terror auf uns Deutsche zu übertragen. Das die Menschen einfach nur Schutz suchen und sich von den Schrecken erholen wollen, die sie in ihrer Heimat erlebt haben, wird überhaupt nicht in Erwägung gezogen.
Viele glauben von sich, dass sie Tolerant wären, doch sobald die Menschen in ihre Nähe ziehen, ist es damit schnell vorbei. Dann kommen die Vorurteile, dann wird behauptet, dass man sich Nachts nicht mehr auf der Straße bewegen kann, dass diese Menschen Seuchen mitbringen und die Gegend wird durch diese Menschen sowieso nur mit Müll verunstaltet.
Es ist traurig, aber genau dieser Rassismus ist verdammt weit verbreitet in Deutschland, nur zugeben wollen das natürlich die wenigsten. Da wird dann von „natürlichen“ Ängsten gesprochen – Ängste, die nur durch dämliche Vorurteile zustande kommen.
Genauso ist es. Ich habe ebenfalls so ein Beispiel beobachtet: Innenstaatssekretär Bernd Krömer gab just an dem Tag seinen Bericht über Kriminalität in Friedrichshain-Kreuzberg heraus, als die Stadt entsetzt die offen rassistischen, von Neonazis organisierten Ausfälle von Anwohnern gegen ein geplantes Flüchtlingsheim in Hellersdorf zur Kenntnis nahm und über Mittel gegen die Ausländerfeindlichkeit diskutierte.
Es gab zwar KEINEN EINZIGEN bewiesenen Zusammenhang zu den Flüchtlingen, aber in den Köpfen der Leute wurden schön die Assoziation zwischen
Flüchtlingen und „Schmutz, Kriminalität und Belästigung“ eingepflanzt bzw. noch verstärkt!!
Ich habe letztens jemanden Angesprochen, dass er gerade eine Äußerung getroffen hat die nicht in der politischen Mitte ist. Mir wurde darauf hingesagt, dass ich noch ein naives Menschenbild habe und wenn ich erstmal so alt sei wie er, dann würde ich wissen was ich meine.
Als ich sagte, dass das nicht mit Naivität zutun hat, sondern mit positiven Menschenbild ohne Rassismus wurde nur noch über mich gelacht.
Rassismus ist da, auch wenn sich niemand als „Nazi“ bezeichnen würde. Alle sind ja sooo tolerant, aber das Asylheim soll doch bitte wo anders hin.