DebatteSchlecht vertreten
Von Manuel Steiger Die Vertretung der Interessen von abhängig Beschäftigten liegt in Deutschland in der Hand der Gewerkschaften. Auch Politiker und Arbeitgeberverbände weisen immer gerne darauf hin, ihnen seien faire Arbeitsbedingungen und die Einhaltung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerrechte wichtig. Generell gilt der Grundsatz der Tarifautonomie: Gerechte Löhne sollten zwischen den Tarifparteien sauber ausgehandelt werden – […]
Von Manuel Steiger
Die Vertretung der Interessen von abhängig Beschäftigten liegt in Deutschland in der Hand der Gewerkschaften. Auch Politiker und Arbeitgeberverbände weisen immer gerne darauf hin, ihnen seien faire Arbeitsbedingungen und die Einhaltung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerrechte wichtig. Generell gilt der Grundsatz der Tarifautonomie: Gerechte Löhne sollten zwischen den Tarifparteien sauber ausgehandelt werden – ohne staatliche Eingriffe.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) erklärt hierzu: „Diese Tarifautonomie hat eine lange Tradition und ist als Teil der Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz verfassungsrechtlich geschützt.“ Die Realität sieht jedoch anders aus: Löhne werden nicht unbedingt zwischen den Vertragspartnern ausgehandelt, sondern sind fremdbestimmt. Anfang April 2014 hat die Bundesregierung den von Union und SPD vereinbarten flächendeckenden gesetzlichenMindestlohn von 8,50 Euro auf den Weg gebracht. Dadurch wird die Tarifautonomie im Grunde genommen untergraben.
Aber inwiefern sind Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden überhaupt aussagekräftig? Vertreten diese Parteien überhaupt die Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber? Lediglich im vergangenen Jahr hat die Mehrzahl der Gewerkschaften in Deutschland, darunter IG Metall und Ver.di, ihre Mitgliederzahlen steigern können. In den Jahren zuvor gingen die Mitgliederzahlen immer weiter zurück.
Der sogenannte Organisationsgrad, der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder an den abhängig Beschäftigten, ist im europäischen Vergleich sehr unterschiedlich. Die höchsten Mitgliederzahlen weisen die Gewerkschaften in den skandinavischen Ländern auf. In Schweden sind acht von zehn abhängig Beschäftigten Mitglied einer Gewerkschaft. Die Zahl der aktiven Gewerkschaftler ist Deutschland von 36 Prozent nach der Wende auf unter ein Fünftel gesunken.
Lange Tradition – wenig Einfluss
Dabei haben Gewerkschaften in Deutschland eine lange Tradition. Bereits um 1848 organisierten sich die ersten Verbände auf nationaler Ebene. Zu dieser Zeit strebten die Arbeitnehmer noch nicht nach großen Einheitsgewerkschaften oder überbetrieblichen Zusammenschlüssen. Die Gewerkschaften waren klar untergliedert in einzelne Berufsgruppen, beispielsweise Drucker sowie Zigarren-, Textil- und Metallarbeiter.
Die Globalisierung jedoch hat die lange Tradition ausgehöhlt. Wollen die Gewerkschaften die Lohnhöhe und sonstige Arbeitsbedingungen beeinflussen, können multinationale Konzerne nonchalant die Produktion in andere Länder verlagern, auch, um weiterhin wettbewerbsfähig bleiben zu können. Dann würde die Arbeitslosigkeit im Inland steigen – die Gewerkschaften müssen ihre Lohnforderungen zurücknehmen, sind machtlos und somit unattraktiv für Arbeitnehmer.
An der Einführung des flächendeckenden Mindestlohns wird das Versäumnis oder vielleicht sogar Versagen der deutschen Gewerkschaften deutlich. Die klassischen Tarifparteien wehren sich gegen das Eingreifen der Politiker: „Durch einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn würden autonom vereinbarte Tarifverträge unter dem vom Gesetzgeber festgelegten Niveau außer Kraft gesetzt. Dabei haben die Tarifvertragsparteien gute Gründe, in bestimmten Fällen Einstiegslöhne zu vereinbaren, die unter den von den allgemein im Raum stehenden 8,50 Euro liegen“, heißt es von Seiten der BDA.
Dabei haben die Tarifparteien einen starken Vertrauensverlust erlitten. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden wird nicht mehr zugetraut, eine befriedigende Lösung herbeiführen zu können. Seit Jahren ist die schlechte Bezahlung von einigen Berufsgruppen wie Postzustellern, Friseuren und Altenpflegern in der öffentlichen Diskussion. Im vergangenen Bundestagswahlkampf wurde der Mindestlohn zu einem zentralen Thema – eine richtungsweisende Entwicklung.
Einführung des Mindestlohns
Weder die Politiker noch die Öffentlichkeit trauten den Verhandlungen der Tarifparteien. Berichte über Friseurbetriebe, die ihren Angestellten nicht mehr als 3,50 Euro pro Stunde zahlten, häuften sich. Das Gefühl von Handlungsbedarf war allgegenwärtig. Bereits vor der Bundestagswahl stimmten in Umfragen rund 82 Prozent für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro. Schlussendlich beschloss die Bundesregierung genau diesen Betrag als Lohnuntergrenze ab 2017, mit einigen Ausnahmen. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) sagte in einem Interview, „3,7 Millionen Menschen werden vom Mindestlohn profitieren“.
Entmachtung der Gewerkschaften
Während viele sagen mögen, dass es doch egal sei, wer den „Willen des Volkes“ durchsetze, solange dieser durchgesetzt wird, fand mit der Durchsetzung des Mindestlohns de facto eine Entmachtung der Gewerkschaften statt. Sind Gewerkschaften überhaupt noch nötig, wenn sich Gesellschaft und Politik darauf verständigt zu haben scheinen, dass entscheidende Themen doch lieber an den Gewerkschaften vorbei per Gesetz geregelt werden sollten? Wenn der Einfluss der Gewerkschaften durch die Globalisierung untergraben wird? Wenn Mitgliederzahlen schwinden? Vielleicht muss man die Aufgaben auf andere Stellen übertragen und der klassischen Arbeitnehmervertretung erlauben, sich aufzulösen. Arbeitsrecht muss neu gedacht werden.
Nun muss man sich erst einmal Fragen, ob der Mindestlohn die Gewerkschaften wirklich schwächt, oder ob er die Gewerkschaften nicht sogar stärken kann, wenn die Gewerkschaften diesen nämlich als ihren Erfolg verkaufen. Eine Untergrenze bei Löhnen ist nämlich keine Schwächung der Gewerkschaften, eine Untergrenze garantiert nur eine menschliche Bezahlung für alle, auch wenn 8,50 Euro immer noch viel zu wenig sind.
Und ja, die Arbeitnehmervertretung muss neu gedacht werden. Die Gewerkschaften müssen sich unabhängig von Wirtschaftsinteressen machen. Das kann wohl nur gelingen, wenn sich Gewerkschaften International organisieren und es Internationale Solidarität unter den Arbeitnehmern gibt, denn dann können Unternehmen ihre Produktionsstädten nicht so einfach verlagern.