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ProDer privilegierte Feminismus

Von Semra Kizilkaya / 18. März 2016
Credits: Rochus Wolff/ flickr; Lizenz CC BY-NC-SA 2.0

Viele feministische Bewegungen gehen von einer universalen Weiblichkeit aus und nehmen an zu wissen, was starke Frauen wollen sollen. Um Frauen wirklich zu stärken, muss Feminismus jedoch inklusiver sein und verschiedene Kulturen und Interessen von Frauen auf der ganzen Welt berücksichtigen.

„Wir sind aufgeklärt, wir sind modern, wir sind säkular, bei uns ist die Frau dem Mann gleichgestellt. Wir haben uns befreit aus der dunklen Vergangenheit, hin zu einer progressiven Zukunft.“ Derart logisch könnte das feministische Selbstverständnis des Normalbürgers klingen. Aber ganz so widerspruchsfrei und linear ist die Geschichte von Befreiung, moralischem Fortschritt und der Gleichberechtigung der Frau nicht.

Aufklärung, Säkularisierung und die Frau

Die Aufklärung als Grundgedankengut der westlichen Moderne proklamierte zwar einerseits die Gleichheit aller Menschen und ermöglichte den weiblichen Kampf um gleiche Rechte. Andererseits stellt die sich von der des Mannes unterscheidende, minderwertige Natur der Frau einen festen Teil aufklärerischen Denkens dar.

Mit der Säkularisierung, der Trennung von Staat und Kirche, von Privatem und Öffentlichem, ging nicht nur der schwindende Einfluss von Religion, sondern auch die Feminisierung dieser einher. Gelebte Religion war Frauensache. Die Erlösung der Frau lag wiederum in ihrer Befreiung von der Religion.

Heute spielt Religion in der europäisch-feministischen Theorie so gut wie keine Rolle. Dabei waren zumeist religiöse Frauen die ersten Aktivistinnen der Frauenbewegung. Dass frau in Europa viel besser gestellt und gleichberechtigter als andernorts ist, ist nicht das Ergebnis eines eindimensionalen, ausschließlich in sich schlüssigen Prozesses. Die eigene Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit der Geschichte zu erkennen und zuzulassen ist deshalb unverzichtbar, um anderen Menschen, anderen Frauen, anderen Gesellschaften und Kulturen dieselbe einzuräumen.

Wenn der liberale westliche Feminismus jede Art von Differenzfeminismus negiert, tut er damit erstens der eigenen Geschichte nicht Genüge. Zweitens klammert er die Lebenswirklichkeiten und unterschiedlichen Interessen von Frauen weltweit aus. Die Historikerin Taylor Allen spricht sich für einen Feminismus aus, der jeder Frau das Recht gibt, sich selbst zu bestimmen, und der gegen jede Art von Idee und Institution kämpft, die Männern Vorrechte zuteilt.

Musliminnen praktizieren Gender-Jihad

Oft wird behauptet, der Islam sei nicht mit Feminismus vereinbar. Laut dem Institut für Demoskopie Allensbach sehen 83 Prozent der befragten Deutschen den Islam als frauenfeindlich. Wer das auch glaubt, dem kann nur geraten werden, sich mit dem Selbstverständnis der muslimischen Frau auseinanderzusetzen und sich buntere Freundinnen zu suchen.

Obwohl muslimische Frauen als Youtuberinnen, Bloggerinnen, Designerinnen und Nobelpreisträgerinnen längst Gender-Jihad praktizieren, ist das Bild der unterdrückten, zu emanzipierenden Frau noch in der Öffentlichkeit vorherrschend.

Dabei ist ein Kopftuch kein Zeichen der Unterdrückung. In den 1970er Jahren hieß es in Deutschland: „Mein Bauch gehört mir.“ Warum sollte heute nicht für alle „Mein Körper gehört mir“ gelten? Der Maßstab für den Kampf gegen die Unterdrückung und die Objektifizierung der Frau sollte kein Kleidungsstück sein, sondern der Wille der Frau.

Ein kulturübergreifender Feminismus

Hoffnungsgebend ist der Generationenunterschied zwischen dem Feminismus von Alice Schwarzer und Initiativen wie #ausnahmslos. In der Mehrheitsgesellschaft und auch in manchen jungen feministischen Gruppen ist das Bewusstsein für einen inklusiven Feminismus leider noch nicht angekommen.

Die Feministinnen von Femen behaupten, dass sie selbst besser wüssten, was Frauenrechte sind, als andersdenkende Frauen, die ebenfalls ihre Rechte einfordern. Zana Ramadani, Ex-CEO von Femen Deutschland, sieht die Schuld für den Sexismus der Kölner Silvesternacht etwa bei den muslimischen Frauen, die ihre Kinder dergestalt erziehen, und fordert obligatorische Bürgerkurse für alle muslimischen Migrantinnen.

Wenn Frauen also sagen, ihr Hijab sei feministisch und antirassistisch, stellt Femen klar: „Nein, dein Hijab ist sexistisch und nicht antirassistisch.“ Femen beraubt damit diese Frauen ihrer Mündigkeit. Wie kann eine Bewegung feministisch sein, die autonome Entscheidungen und Selbstverständnisse nicht akzeptiert?

Welche Debatten noch auf uns zukommen werden, lassen die jüngsten Wahlerfolge der AfD nur erahnen. Rassismus ist nun zählbar geworden, worunter nicht nur Frauen leiden. Aber die Stellung der Frau ist der Maßstab für Moderne, und sie wird es sein, die patriarchale Vorwürfe Männern gegenüber fallen lassen wird. Was wir jetzt mehr denn je brauchen, ist ein schichten-, ethnien-, und kulturübergreifender, starker Feminismus in Deutschland.

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Debatte | Der Fortschritt des Feminismus

Contra | Gefangen in der eigenen Freiheit



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