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ProRichtig abgewogen

Von Marlene Thiele / 29. April 2016
picture alliance / dpa | Uli Deck

Inge Lohmann wollte ihren mutmaßlichen Vater rechtlich zu einem DNA-Vaterschaftstest zwingen. Das Bundesverfassungsgericht hat ihre Forderung abgelehnt – vor allem aus Angst vor einer Klagewelle. Im Rahmen seiner Möglichkeiten hat das Gericht damit richtig gehandelt.

Schon seit Jahrzehnten ist Inge Lohmann ihrer Herkunft auf der Spur: Der Mann, den sie für ihren Vater hält, hat ihre Geburt zwar beim Standesamt eintragen lassen, die eigene Vaterschaft aber nie bestätigt. Einen Gentest hat er stets abgelehnt. Lohmann hat schließlich versucht, ihn mit einer Klage zu einem Vaterschaftstest zu zwingen. Sie scheiterte vor dem Bundesverfassungsgericht. Inge Lohmann ist 65 Jahre alt, der vermeintliche Vater 88 – für die Frau war die Klage also vermutlich die letzte Chance auf Gewissheit. Die Öffentlichkeit reagiert mehrheitlich mit Unverständnis auf die Entscheidung des Gerichts – dabei ist diese wohl die beste.

Natürlich kann man einen Vaterschaftstest erzwingen

Die erbosten Reaktionen auf die Entscheidung fußen vor allem auf einem Missverständnis. Auch nach dieser Entscheidung kann man immer noch einen Vaterschaftstest erzwingen. Aus einem positiven Resultat ergeben sich zahlreiche rechtliche Folgen: Der Nachwuchs hat Anspruch auf Erbe und Unterhalt und wird im Umkehrschluss ebenfalls zur Kasse gebeten, wenn der Vater im Alter finanziell unterstützt werden muss. Dieser rechtliche Schritt nennt sich Vaterschaftsklage.

Für Inge Lohmann kam die Vaterschaftsklage nicht mehr in Frage, weil ihre Mutter auf diese Weise schon 1954 die Vaterschaft feststellen lassen wollte. Die Richter schlossen damals eine Vaterschaft aus. Ein Gentest wurde nie gemacht. Trotzdem hat das Urteil noch immer Bestand.

Lohmann hat deshalb eine neuere Möglichkeit zur Grundlage ihrer Klage gemacht: Seit 2008 kann man im Rahmen einer sogenannten Abstammungsklärung die Verwandtschaft auch ohne rechtliche Konsequenzen überprüfen lassen. Die Krux ist jedoch: Dieser Anspruch ist begrenzt auf die eingetragenen Familienmitglieder, neben Kind und Mutter kann also nur der rechtliche Vater belangt werden.

Der Vaterkandidat von Inge Lohmann ist als solcher nicht eingetragen, daher kann er auf Basis der Abstammungsklärung nicht zum DNA-Test gezwungen werden.

Urteil im Rahmen der rechtlichen Grundlagen

Die Bundesverfassungsrichter haben in diesem Fall also genau nach den rechtlichen Grundlagen geurteilt. Die Exekutive beruft sich auf die Legislative, so wie es die Gewaltenteilung in einer modernen Demokratie vorsieht.

Natürlich haben die Richter sehr vorsichtig geurteilt, sie hatten es nämlich mit einem sehr schwierigen Rechtsstreit zu tun. Die Grundrechte der Klägerin standen denen des Angeklagten gegenüber, sodass genau abgewogen werden musste.

Wo die Klägerin das Recht hat, ihre Abstammung zu erfahren, schützt den mutmaßlichen Vater das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit. Die Richter befürchteten laut Urteilsbegründung, durch einen Vaterschaftstest „ins Blaue hinein“ verlören der Angeklagte und die Kindesmutter ihr Recht, sexuelle Kontakte geheim zu halten. Oder noch schlimmer: Es könnten sexuelle Kontakte vermutet werden, die gar nicht stattgefunden haben. Die Beziehung zwischen dem Angeklagtem und seiner eigenen Familie würde dadurch massiv gestört, wenn nicht zerstört werden.

Eine Armada von Kindern alter Liebschaften

Dabei geht es gar nicht so sehr um Lohmanns konkreten Fall. Die Richter haben vorausschauend geurteilt: Ein positives Gerichtsurteil führt häufig zu vielen weiteren Klägern, die sich selbst in einer ähnlichen Situation wägen. Überspitzt gesagt: Es käme eine Armada von Kindern alter Liebschaften, Affären und One-Night-Stands, um an eine womöglich sündhafte Vergangenheit zu erinnern und das Jetzt ordentlich aufzumischen. Ihre Klagen auf Basis der Abstammungsklärung hätten, anders als bei der Vaterschaftsklage, ja keine rechtlichen Konsequenzen. Ein solches Szenario sollte verhindert werden.

Die Vaterschaftsklage bleibt weiterhin eine Option – allerdings nicht für Inge Lohmann. Deshalb ist das Urteil in ihrem konkreten Fall auch so unbefriedigend – obschon es richtig ist. Im Übrigen ist sie nicht die einzige Klägerin, der das Grundrecht auf Klärung der Abstammung verwehrt bleibt, weil andere Rechte im Weg stehen: Zum Beispiel ist eine 48 Jahre alte Belgierin davon überzeugt, Tochter des früheren spanischen Königs Juan Carlos zu sein. 2012 konnte sie ihn vor Gericht nicht belangen, weil er als Staatsoberhaupt juristische Immunität besaß. Auch nach seiner Amtszeit drei Jahre später wurde ihre Klage abgewiesen, weil die Belgierin ihre Vermutung aus Sicht der Richter nicht ausreichend beweisen konnte. Neben der Frau waren auch andere mit einer Vaterschaftsklage gegen den früheren Monarchen gescheitert.

Noch tragischer ist der Fall eines 14 Jahre alten Jugendlichen aus Celle, der 2013 einen Vaterschaftstest einklagen wollte. Das Problem: Seine Mutter hatte eine Affäre mit eineiigen Zwillingen gehabt, deren Genmaterial zu ähnlich sei, um den Erzeuger zweifelsfrei zu ermitteln.

Dagegen wirkt Inge Lohmanns Fall schon fast lösbar. Auch die Richter hielten ihre Klage keineswegs für abwegig, hieß es in der Urteilsbegründung. Nur müsse eben noch ein gesetzlicher Rechtsanspruch geschaffen werden. Vielleicht gibt es für Lohmann doch noch Hoffnung, denn tatsächlich hat sich im Bundesjustizministerium bereits eine Arbeitsgruppe der Thematik angenommen.

 

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Debatte | Kein bedingungsloses Recht auf einen Vaterschaftstest

Contra | Raus aus der Ungewissheit



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