Das Wunder in der Stadt der Wunden
Juden, Muslime und Christen vereint unter einem Dach: Das interreligiöse Projekt House of One in Berlin wirbt für einen Dialog der Kulturen und des Glaubens. Doch noch fehlt es an Geldern für den Bau des Mehrreligionenhauses.
Der US-amerikanische Menschenrechtsaktivist Martin Luther King sagte einst, er sehe „Schwarze und Weiße, Menschen aus dem Osten und aus dem Westen, Heiden und Juden, Katholiken und Protestanten, Moslems und Hindus“ als Bewohner eines großen Hauses, die lernen müssten, miteinander zu leben, „weil wir nie mehr ohne einander leben können“.
In Berlin-Mitte könnte in naher Zukunft Realität werden, was King gefordert hat. Auf dem Petriplatz soll ein Gebäude entstehen, das eine christliche Kirche, eine muslimische Moschee und eine jüdische Synagoge in sich vereint. Im House of One treffen drei Weltreligionen aufeinander, die zusammen fast vier Milliarden Anhänger haben.
43,5 Millionen Euro werden derzeit für den Bau des Bet- und Lehrhauses veranschlagt. Seit Sommer 2014 läuft die Crowdfunding-Kampagne, zu der Freunde und Unterstützer einen finanziellen Beitrag leisten können. Wer zehn Euro spendet, steuert einen virtuellen Stein zum Sakralbauprojekt bei. Bis zum ersten Spatenstich weist ein riesiges Plakat auf das geplante Gebäude hin.
Aus der Not wird eine Tugend
Die Wahl des Standorts kommt nicht von ungefähr. Der Petriplatz ist der Gründungsort der mittelalterlichen Doppelstadt Berlin-Cölln, die Petrikirche gehörte zu den ersten fünf Kirchen der heutigen Metropole. Nachdem sie mehrmals um- und neugebaut worden war, musste sie 1964 wegen der im Zweiten Weltkrieg erlittenen Schäden endgültig abgerissen werden. 2007 förderten archäologische Arbeiten gut erhaltene Kirchenfundamente zutage und brachten die historische Bedeutung des Platzes ins Bewusstsein zurück. Pfarrer Gregor Hohberg von der Evangelischen Kirchengemeinde St. Petri-St. Marien erkannte das Potenzial des Ortes, für eine weitere rein christliche Kirche fehlten jedoch die Gelder und die Mitglieder.
Aus der Not entstand eine Tugend. Gemeinsam mit der Jüdischen Gemeinde Berlin, dem Abraham Geiger Kolleg, dem Forum für Interkulturellen Dialog e.V. und dem Evangelischen Kirchenkreis Berlin-Stadtmitte wurde das House of One konzipiert.
Berlin sei die „Stadt der Wunden und der Wunder“, sagt Rabbiner Tovia Ben-Chorin, der bis Juli 2015 für die Jüdische Gemeinde Berlin tätig war. Mit dem Bauprojekt setze man daher bewusst einen Kontrastpunkt gegen all die religiösen Konflikte auf der Welt, aber auch gegen die dunkle Vergangenheit Berlins. Die Wannseekonferenz 1942 dürfte nur ein Aspekt sein. „Gerade ein Ort, der in seiner Geschichte auch finster war, ist ein Ort des potenziellen Friedens“, so Ben-Chorin.
Das Konzept Citykirche
Das Projekt House of One setzt sich bereits jetzt mit religionsübergreifenden Gottesdiensten, gemeinsamen Friedensandachten und weiteren Veranstaltungen weltweit für ein respektvolles Miteinander ein und möchte den Dialog der Kulturen und Religionen fördern. „Die drei Religionen sind verschiedene Wege gegangen, aber eigentlich haben sie die gleichen Ziele“, sagt Imam Kadir Sanci vom Forum für interkulturellen Dialog e.V. in einem Video auf der Webseite des Projekts. „Für uns Muslime ist es eine wunderbare Möglichkeit, in unserer Heimat Deutschland ernst- und wahrgenommen zu werden und gemeinsam in Vielfalt zu leben.“
Auf die Friedensbotschaft will sich das House of One aber nicht beschränken. „In Berlin lässt sich gut beobachten, dass Kirchen wie der Berliner Dom nicht nur Anlaufstelle für Touristen und Gläubige sind, sondern auch abseits davon immer mehr Aufgaben übernehmen. Dieses Konzept der Citykirche wollen wir ebenfalls anwenden“, erklärt Frithjof Timm, theologischer Referent und Social-Media-Manager des House of One. So sei auch die säkulare Stadtbevölkerung jederzeit herzlich willkommen.
Bisher ist die Resonanz auf das Projekt größtenteils positiv. „Ich bin gar nicht religiös, aber das Miteinander begeistert mich“, schreibt ein Spender auf der Webseite des interreligiösen Projekts. Kritik kommt laut Timm eher von Menschen, die weiter weg wohnen. Zu den gängigsten Vorwürfen gehörten die befürchtete Vermischung der Religionen und damit einhergehend der scheinbar drohende Verlust von Traditionen. Diese Anschuldigungen ließen sich aber relativ einfach ausräumen: Im Bet- und Lehrhaus strebe man weder nach einer Einheitsreligion, noch suche man nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Die Religionsausübung wird in voneinander getrennten Räumen stattfinden.
Baubeginn frühestens 2018
Die Idee eines öffentlichen und frei zugänglichen Begegnungsortes der Religionen in der Hauptstadt ist nicht neu. Avitall Gerstetter, die erste jüdische Kantorin Deutschlands, plante bereits 2008 ein Mehrreligionenhaus für Juden, Christen, Buddhisten, Muslime und andere in der ehemaligen jüdischen Mädchenschule Ahawah in der Berliner Auguststraße. Die Kosten für die Sanierung und Instandsetzung erwiesen sich allerdings als zu hoch. Heute befinden sich in der Schule ein Restaurant, ein Museum und eine Galerie.
Ursprünglich war der Baubeginn des House of One für Mitte 2016 angesetzt, mittlerweile ist die Grundsteinlegung für Ende 2018 geplant. Damit soll den Berliner Architekten genug Vorlaufzeit eingeräumt werden. Dass der verschobene Starttermin allein mit dem Spendenstand zusammenhängt, sei nicht richtig, so Timm. „Bezüglich der Finanzierung sind wir guter Dinge. Neben der Spendenaktion sind wir in vielen weiteren Bereichen tätig, um beispielsweise Fördergelder zu erhalten. Der Spendenstand ist deshalb nicht ganz aussagekräftig“, sagt Frithjof Timm. Bislang spendeten knapp 2.000 Menschen und Institutionen insgesamt mehr als eine Million Euro, 800.000 Euro gab allein der Bundestag. Zehn Millionen Euro sind erforderlich, um tatsächlich mit der ersten von drei Bauphasen beginnen zu können.