Wenn Papierlose krank werden
Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus haben in Deutschland zwar faktisch ein Recht auf medizinische Versorgung. Praktisch fallen sie jedoch durch die Maschen des staatlichen Gesundheitsnetzes. Projekte wie das Medibüro Berlin versuchen, sie aufzufangen.
Kranke gehen zum Arzt. Das ist in Deutschland für die meisten Menschen eine Selbstverständlichkeit. In der Praxis werden sie professionell behandelt. Die Kosten dafür übernimmt in den meisten Fällen die Krankenkasse. Doch es gibt Menschen, die von dieser gesundheitlichen Grundversorgung ausgeschlossen sind.
Wer keinen gültigen Aufenthaltsstatus hat – und damit illegal in Deutschland lebt – hat zwar faktisch ein Recht auf medizinische Versorgung. Um dieses geltend zu machen, müssen Papierlose sich jedoch beim Sozialamt melden. Doch ebendies versuchen sie zu vermeiden, weil ihnen die Abschiebung droht, sobald sie den Behörden bekannt werden. Schätzungen des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts zufolge lebten 2008, also noch vor der Flüchtlingskrise, zwischen 190.000 und 450.000 Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis in Deutschland. Inzwischen dürften es deutlich mehr sein.
Diesen Hunderttausenden helfen Menschen, die sich bei sogenannten Medibüros engagieren. Sie ermöglichen Kranken unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus einen Zugang zu medizinischer Behandlung. 33 Medibüros, auch Medinetze genannt, gibt es in Deutschland, unter anderem in Köln, Hamburg, München und Berlin.
Hilfe für die Papierlosen
Das Berliner Medibüro, das sich in einem Kreuzberger Hinterhof befindet, besteht schon seit mehr als 20 Jahren. Knapp 30 Ehrenamtliche engagieren sich hier. Sie vermitteln papierlose Patienten an Ärzte. Einer der Helfer ist Moritz Pfeiffer, ein 24 Jahre alter Medizinstudent. Die Gesundheitsversorgung für alle liegt ihm am Herzen: „Das ist ein Grundbedürfnis, das man niemandem verwehren sollte.“
Das Asylbewerberleistungsgesetz gewährt Migranten ohne Aufenthaltserlaubnis das Recht auf Krankenbehandlungen: In medizinischen Notfällen werden Papierlose im Krankenhaus behandelt, ohne dass ihre Daten an die Ausländerbehörde weitergegeben werden. Aber das sei unter den Betroffenen nicht ausreichend bekannt, sagt Moritz Pfeiffer. Er erzählt, wie einmal ein Mensch mit Symptomen eines Schlaganfalls ins Medibüro kam. „Dieser Mensch ist nicht ins Krankenhaus gegangen, weil er Angst hatte, abgeschoben zu werden.“
Medibüros agieren praktisch und politisch
Bei einem Schlaganfall kann das Berliner Medibüro nicht mehr tun, als den Patienten ins Krankenhaus zu schicken. Doch für viele andere Beschwerden hat es ein beachtliches Versorgungsnetz aufgebaut. 200 Ärzte, Physiotherapeuten und Hebammen kooperieren mit dem Medibüro, indem sie Patienten ehrenamtlich und anonym behandeln. Spender finanzieren Laborkosten, Medikamente und Hilfsmittel. Auf diese Weise werden allein durch das Berliner Büro pro Jahr etwa 1.000 Menschen medizinisch versorgt. Zwei Drittel davon sind papierlos, das andere Drittel besteht aus Europäern, die in Deutschland nicht krankenversichert sind. Viele von ihnen kommen aus Rumänien, manche aber auch aus Italien oder Spanien.
Neben der praktischen Vermittlung leistet das Berliner Büro auch politische Arbeit. „Wir fordern schon seit zehn Jahren einen anonymen Krankenschein“, sagt Moritz Pfeiffer. Die Stadt Berlin hatte einen solchen bisher abgelehnt. Die rot-rot-grüne Koalitionsvereinbarung sieht nun vor, ein solches Dokument einzuführen, finanziert durch einen Notfallfonds.
Das Medibüro sitzt mit an dem Tisch, an dem der Krankenschein entworfen wird. Pfeiffer hofft auf eine Einführung im Jahr 2018. Er glaubt aber nicht, dass damit die Arbeit des Medibüros obsolet werde. „Zum einen ist der Fonds gedeckelt und zum anderen ist noch unklar, für wen der anonyme Krankenschein gelten wird“, sagt er.
Neben dem Medibüro gibt es in Berlin noch zwei weitere Anlaufstellen für Menschen, die nicht krankenversichert sind: die Malteser Migranten Medizin in Wilmersdorf und – seit November 2016 – das open.med in Zehlendorf. Doch die Erweiterung der nichtstaatlichen Gesundheitsversorgung könne keine Lösung sein, findet Pfeiffer. „Wir können bestimmte Behandlungen mit unseren selbstorganisierten Projekten nicht leisten“, sagt er. Immer wieder komme es vor, dass das Medibüro Menschen eine teure Behandlung wie eine Krebstherapie absagen müsse.
Kranke können nicht auf politische Lösungen warten
Manchmal finde sich auch einfach niemand für den Bürodienst. „Dann stehen da 20 Menschen mit Schmerzen und anderen Beschwerden vor verschlossenen Türen“, so Pfeiffer. Mit dem Slogan „Es ist uns keine Ehre“ stiftete das Medibüro vor einigen Monaten einen Streik der Ehrenamtlichen an. „Wir wollen, dass allen Menschen Gesundheitsversorgung gewährt wird – und zwar durch den deutschen Staat, nicht durch zivilgesellschaftliches Engagement.“ Pfeiffer glaubt, dass die mangelhafte Versorgung von Papierlosen politisch gewollt ist: „Der deutsche Staat möchte keine Anreize setzen, ohne Dokumente hier zu leben.“
Während die Arbeit auf politischer Ebene nur langsam vorangeht, öffnet das Medibüro weiterhin montags und donnerstags für etwa vier Stunden seine Türen. Moritz Pfeiffer macht etwa einmal im Monat Bürodienst. Dann ruft er nach und nach die Wartenden aus dem fensterlosen Flur in das spärlich eingerichtete Büro und versucht auf Deutsch, Englisch, Spanisch oder Französisch herauszufinden, wie er ihnen weiterhelfen kann. Denn Kranke können nicht auf politische Lösungen warten.