7/8: „Ich will etwas zurückgeben“
Awin Sidiqi ist eine junge Kurdin, die im Iran geboren wurde und als Mädchen zusammen mit ihren Eltern und ihren drei Geschwistern in die autonome Region Kurdistan in den Irak zog. Im Iran fühlte sich die Familie unterdrückt, im Irak aufgrund der Kämpfe gegen den IS unsicher. Heute lebt Sidiqi in einer Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete in Berlin-Lichtenberg.
sagwas: Seit zweieinhalb Jahren bist du in Deutschland, kennst Berlin, sprichst sehr gut Deutsch. Wie fühlst du dich hier?
Awin Sidiqi: Am Anfang war es schwer für mich: Deutschland und seine Kultur waren mir fremd, ich sprach kein Deutsch und kannte niemanden. Inzwischen fühle ich mich aber sehr wohl in Deutschland.
Du bist eine emanzipierte Frau. Wie unterscheidet sich die Rolle der Frauen in Deutschland von der im Iran?
Den Iran kenne ich nur aus Erzählungen. Ich bin zwar dort geboren und habe die ersten Jahre meines Lebens dort verbracht, doch dann hat meine Familie den Iran verlassen. Mein Vater wollte nicht, dass seine Kinder in der iranischen Diktatur aufwachsen. Wir zogen nach Nordirak, wo es uns wesentlich besser erging. Trotzdem mussten wir vorsichtig sein. Wir haben die Öffentlichkeit und besonders den Kontakt zu arabischen Irakern gemieden. Durch gezielte Bombenattentate auf Kurden,ist meiner Familie schnell klar geworden, dass wir auch im Irak nicht sicher sind.
Das Wichtigste in Deutschland war deshalb das Gefühl von Sicherheit. Dann fiel mir schnell auf, dass es viel mehr Freiheiten für eine Frau gibt als in meiner Heimat.
In Deutschland findet in diesem Kontext eine breite Debatte über das Kopftuch statt. Wie stehst du zu dazu?
Einer Frau im Iran ist es unmöglich, das Kopftuch abzulegen. Der Iran ist eine religiöse Diktatur. Das Tragen des Hidschāb ist Pflicht. Im Irak, vor allem im Norden, dagegen hat eine Frau gewissen Freiheiten, zu denen gehört, dass sie selbst darüber entscheiden darf, ein Kopftuch in der Öffentlichkeit zu tragen oder nicht. Aber auch im Irak gibt es Männer, die den Frauen in ihren Familien diese Freiheit nicht erlauben.
In Deutschland empfinden viele Menschen das Kopftuch als ein Symbol für die Unterdrückung der Frauen…
Das ist es auch! Und der Grund dafür ist für mich der Islam, der die Frauen zum Tragen des Kopftuchs verpflichtet.
Es gibt aber auch Menschen, die sagen, wir sollten nicht über das Kopftuch diskutieren, denn es sei die persönliche Entscheidung einer Frau, ob sie das Kopftuch tragen wolle oder nicht.
Der Unterschied ist natürlich, dass die Frauen in Deutschland Rechte und Freiheiten haben, die das Kopftuch zu einer persönlichen Entscheidung machen. Das gilt aber für die meisten Frauen, die aus Syrien, Irak oder Iran hierhergekommen sind, nicht. Denn sie werden unverändert von ihren Männern gezwungen, ein Kopftuch zu tragen, obwohl viele von ihnen es nicht möchten. Sie akzeptieren das aus kulturellen oder religiösen Gründen und ordnen sich den Männern unter.
Du selbst trägst kein Kopftuch. Hast du vor deiner Flucht nach Deutschland ein Kopftuch getragen?
Da wir den Iran verlassen hatten, als ich noch ein kleines Mädchen war, und im Irak dann recht frei leben konnten, musste ich nie in meinem Leben ein Kopftuch tragen. Ich hatte Glück, denn im Iran müssen Mädchen schon ab dem 7. Lebensjahr eine Maghnae tragen (ein typisches Kopftuch im Iran, welches bis zur Brust reicht – die Red.). Ich komme aus einer atheistischen Familie, die kulturell mit dem Christentum verbunden ist. Für uns spielt das Kopftuch keine Rolle.
Ich habe aber von den aktuellen Protesten vieler Frauen im Iran gegen den Kopftuchzwang erfahren, und so sehr ich sie auch unterstütze, so wenig glaube ich daran, dass sie etwas bewirken. Die Chance auf Veränderung im Iran, auf Verbesserung der Situation für die Frau, ist sehr gering. Dafür haben die Männer und ihre religiösen Führer viel zu viel Macht.
Viele Frauen ordnen sich den Männern unter. Hast du über die Frauen in Deutschland vor deiner Einreise ein bestimmtes Bild über das Internet oder das Fernsehen vermittelt bekommen?
Ich wusste zwar, dass Frauen in Deutschland viel mehr Rechte haben, aber wie diese aussehen und wie diese konkret gelebt werden, war mir nicht klar. Mir gefällt zum Beispiel, dass Frauen hier allein leben. Mir gefällt auch, dass Frauen hier selbst entscheiden dürfen, wen sie heiraten wollen.
Wie jeder Mensch habe zwar auch ich Gefühle für meine Heimat Iran oder für den Irak, wo ich noch Kontakt zu früheren Mitschülerinnen habe. Trotzdem ist dieser Teil meines Lebens abgeschlossen. Ich will nicht dorthin zurück.
Trotz aller Schwierigkeiten und Nachteile – können wir in Deutschland nicht auch etwas von den Frauen, die aus Ländern wie Syrien, Irak, Afghanistan und Iran zu uns kommen, lernen?
Kochen…?! (lacht) Im Ernst: Nein, das sehe ich leider nicht so. Die Frauen besitzen keinen starken Glauben an sich selbst. Das ist eine Frage der Erziehung. Frauen werden schwach gehalten und besitzen im Gegensatz zu den Frauen in Deutschland kein Selbstvertrauen.
In diesem Jahr feiern wir in Deutschland 100 Jahre Frauenwahlrecht. Wie sieht es mit dem Wahlrecht für Frauen in den Ländern aus, die du kennst?
Im Iran dürfen Frauen (möglicherweise) auch an verschiedenen Wahlen teilnehmen, aber das ändert nichts daran, wer letztlich entscheidet. Für mich ist die Rolle der Frau im Islam die einer Dienerin – mehr nicht. Überall in der Politik haben immer nur die Männer das Sagen. Sie verhindern einen Aufstieg oder ein Vorankommen der Frauen. Diese bewegen sich auf der Stelle und unter einer ständigen Unterdrückung.
Was wünscht du dir für deine Zukunft in Deutschland?
Ich möchte gern Deutsch perfekt sprechen und eine Ausbildung machen. Ich wünsche mir einen Beruf, in dem ich anderen Menschen helfen kann und dem Land hier zurückgeben kann, was es mir gegeben hat.
Herzlichen Dank für das Gespräch!