Du liest, was du bist
Das Bild, das wir von der Gesellschaft haben, speist sich zum großen Teil aus den Medien. Aber halten Medienmacher uns nur den Spiegel vor oder verzerren sie unsere Darstellung? Eine eindeutige Antwort gibt es – zum Teil.
Alltagsrassismus für Deutschland. Die AfD hat ihre Themen gut positioniert. „Flüchtlinge, Kriminalität und Terror werden allenthalben als ein Komplex diskutiert“, lautet etwa die Bilanz des hessischen Medienwissenschaftlers Bernd Gäbler.Die Frage, ob die Medien durch vermehrte Berichterstattung zum Erfolg der 2013 gegründeten AfD beigetragen hätten, beschäftigt auch fünf Jahre später nicht nur die Teilnehmer abendlicher Talkshows. Phänomene wie Rassismus und Rechtspopulismus bewegen die Menschen im Land. Kein Wunder also, dass rechte Parolen und Parteien regelmäßig Platz finden in der medialen Berichterstattung. Schließlich sind Zeitungen, Fernsehsendungen und Soziale Medien wirtschaftlich auf die Aufmerksamkeit des Publikums angewiesen. Die bekommen sie umso leichter, je schockierender der gebotene Inhalt ist. Das wissen auch Populisten. Indem sie Tabus brechen, dramatisieren und emotionalisieren, bedienen sie genau jene Mechanismen, die in den Medien wirken. Doch ganz so einfach ist es nicht.
Populismus in den klassischen Medien
Um das vage Gefühl zu hinterfragen, dass Stimmen vom rechten Rand mehr Gehör finden als andere, hilft ein Blick in entsprechende Studien. So hat eine universitäre Arbeitsgruppe namens „Political Extremism and Democracy“ im kanadischen Vancouver drei Monate vor der hiesigen Bundestagswahl 2017 über 4.500 Artikel aus den Politikressorts großer deutscher Zeitungen ausgewertet. Das Ergebnis: Zeitungsmacher thematisieren die rassistisch veranlagte AfD in der Gesamtbetrachtung nicht überdurchschnittlich häufig. Sie „gewinnt“ rechnerisch nur an Nennungen hinzu, wenn man sie im Verlauf betrachtet. Ansonsten widmen sich die Printmedien vor allem den beiden ehemals großen Volksparteien – CDU/CSU und SPD.
Populisten dramatisieren und emotionalisieren
Auch die 2018 veröffentlichte Mehrländerstudie „A look into the black box” von der Universität Zürich bestätigt, dass aufstrebende Populisten – entgegen so mancher Wahrnehmung – bei Themen wie Migration im Vergleich zu etablierten politischen Parteien nicht überrepräsentiert sind. Ähnliches schreiben auch Christian Schemer und seine Kollegen in „Wirkung populistischer Kommunikation: Populismus in den Medien, Wirkungen und deren Randbedingungen“. Wovon populistische Scharfmacher viel mehr profitieren, ist allerdings die Kommunikation in den Soziale Medien, etwa zum Thema Rassismus.
Dich interessiert, was dich bestätigt
Im Internet lenken immer öfter präzise gesteuerte Algorithmen den gesellschaftlichen Diskurs, wie Konrad Lischka und Christian Stöcker in ihrem Arbeitspapier „Digitale Öffentlichkeit“ herausarbeiten. Das geschieht, indem algorithmische Prozesse zum Beispiel in sozialen Netzwerken und Suchmaschinen solche Mitteilungen priorisieren, die mehr Resonanz hervorrufen. Auf diese Weise lässt sich Öffentlichkeit herstellen. Oder aber Debatten verhindern. Diese Art der Selektion bestimmter Informationen geschieht dabei nicht unbedingt im Sinne von optimal informierten Bürgern, sondern in dem der kommerziellen Interessen der Betreiber.
„Negative Emotionen lassen sich leichter herbeiführen und halten länger vor als positive – es dauert wesentlich länger, Vertrauen aufzubauen, als es zu verlieren. Eine Stressreaktion tritt innerhalb von Sekunden ein, während es Stunden dauern kann, zu entspannen“, formuliert es Jaron Lanier, Internet-Guru und Vater des Begriffs „Virtual Reality“ in seinem neuesten Buch. Lanier vermutet, wenn die Faszination für Bösewichte und bestimmte Informationen über solche Gefühlsausbrüche monetarisiert werden können, dann bedient das herrschende System diese Nachfrage eben. In welcher Art dann über Rassismus diskutiert wird, ist eigentlich egal.
Und wir machen mit, wie die so genannte Bestätigungsverzerrung zeigt. Die meisten Menschen füllen Wissenslücken automatisch mit dem auf, was am besten in ihr Weltbild passt. Die verzerrte Wahrnehmung verstärken die Algorithmen noch. „Wer beispielsweise immer wieder Berichte über von muslimischen Einwanderern begangene Straftaten zu sehen bekommt, weil er in der Vergangenheit besonders intensiv mit derartigen Berichten interagiert hat oder sich in einer sozialen Gruppe bewegt, die solche Vorfälle besonders intensiv kommentiert, der wird über kurz oder lang die Wahrscheinlichkeit überschätzen, dass Muslime Straftaten begehen“, schreiben Lischka und Stöcker.
Nicht normal
„Vielleicht ist das im Zeitalter des weltweiten Rechtsrucks thematisch die wichtigste und zugleich schwierigste Aufgabe: mit Berichten, Reportagen und Kommentaren zu zeigen, dass Rassismus und völkischer Nationalismus eben nicht normal sind. Dass sie keine Probleme lösen, sondern furchtbare neue schaffen, die altbekannt sind“, warnt Autor Michael Kraske in journalist, einer Verbandszeitschrift deutscher Medienmacher. Was wiederum die Medienkonsumenten angeht: Wenn Algorithmen bestimmen, wie sich sowohl unser individuelles wie auch unser kollektives Weltbild formt, reicht es nicht, Kritik an „den Medien“ zu üben. Niemand zwingt uns veröffentlichte Meinungen zu übernehmen. Wenn wir ausschließlich Fakten wollen, müssen wir schlicht selbst verschiedene Informationsquellen heranziehen. Wem das zu viel verlangt ist, kann weiterhin einfach glauben, was ihm präsentiert wird. Ist ja auch bequem so.