Ihr Kinderlein, kaufet!
Kinder stellen für Werbetreibende eine riesige und leicht verführbare Zielgruppe dar. Eltern können sich oft kaum gegen die Übermacht der Reklame wehren. Von der Gesellschaft unterschätzt – nicht aber von der Wirtschaft – ist die Kaufkraft der Heranwachsenden.
Es gibt kein Entkommen! Großformatige Werbetafeln auf dem Weg zur Kita, Auslagen in Schaufenstern, Werbebildschirme in öffentlichen Verkehrsmitteln und U-Bahnhöfen, dazu Werbespots im Fernsehen, im Radio und bei Streaming-Anbietern sowie Anzeigen in Zeitschriften. Und nicht zu vergessen: Farbenfrohe Etiketten und kinderfreundliches Design auf diversen Produkten in Supermärkten und Drogerien – auf Kindergreifhöhe, natürlich.
Es gibt rauchfreie Zonen für Kinder, aber keine wirklich werbefreien. Werbung ist omnipräsent. Das Spiel mit Fantasien und Illusionen ist vielversprechend, den Verlockungen der Werbeversprechen verfallen ja selbst Erwachsene. Kinder sind ohne die nötige antrainierte Distanz und entsprechendes Reflektionsvermögen den Sirenenrufen der Warenwelt ganz besonders ausgeliefert. Hier ist aufmerksames Erziehungsvermögen gefragt und Ausdauer. Für Eltern ist damit der Kampf gegen die mächtigen Reklamehersteller wie der sprichwörtliche gegen die siebenköpfige Hydra – quasi aussichtslos. Oder?
Kaufkräftige Kids
Ihre materiellen Wünsche können die Kinder der westlichen Welt meist schon früh erstaunlich genau ausdrücken. Und das kann kaum verwundern. Die Werbeindustrie liebt Kinder, weil Kinder Werbung lieben: Das Format der kurzen Werbeclips mit ihren einfachen Geschichten ist für die Kleinen gleichermaßen unterhaltsam wie verständlich. Werbung ist für sie ein kurzweiliges Vergnügen. Die Verkaufsabsicht der Werbestrateg*innen dahinter können die meisten noch gar nicht erkennen. Wie sollen sie diese dann hinterfragen oder gar aktiv ablehnen? Also wird gebettelt und genervt, bis Eltern oder andere Angehörige zu Geburts- oder Feiertagen oder sonstigen Anlässen das Portemonnaie zücken. Während ältere Kinder auf die nächste Taschengeldtranche warten und dann selbst losziehen. Dem Münchner Meinungsforschungsunternehmen Iconkids & Youth zufolge, das 2017 immerhin 813 Kinder zwischen acht und 13 Jahren befragt hat, werden damit vor allem Süßes und Eis, Kleidung und Schmuck und an dritter Stelle Zeitschriften und Bücher gekauft.
Unzureichender Kinderschutz
Fernsehprogramme lassen leicht Rückschlüsse auf Alter und Interessen des Publikums zu. So kann die darin eingebettete und darauf abgestimmte Werbung genau jene Zielgruppe erreichen, an die sie herantreten will. Kinder sind auch – oder besonders – in diesem Kontext eine schützenswerte Gruppe, weil leichtgläubig und unerfahren. Rechtliche Rahmenbedingungen wie die Werbe- und Jugendschutzbestimmungen des Rundfunkstaatsvertrags und des Jugendmedienschutzstaatsvertrags sehen vor, dass Programminhalte und Werbung optisch und akustisch klar voneinander getrennt werden; Kindersendungen dürfen selbst keine Werbeunterbrechungen haben und direkte Kaufappelle sind verboten. Leider sind die meisten dieser Regularien recht frei interpretierbar und lassen einen großen Spielraum offen. Zudem decken sie die Welt der neuen sozialen Medien und Apps nur unzureichend ab. Wenn überhaupt.
Konfrontation mit Werbung für Erwachsene
Kinder werden darüber hinaus mit Inhalten und Darstellungen konfrontiert, die im Grunde für Erwachsene gemacht sind. Ob sprachlich oder bildlich: Nicht-jugendfreie Inhalte hageln vielerorts schon auf die ganz Kleinen ein. Mehr oder weniger unterschwellig werden darin Meinungen und Klischees transportiert, denn die vereinfachte Darstellung komplexer Zusammenhänge ist das Grundprinzip von Werbung. Kinder akzeptieren diese jedoch allzu leicht als feststehende Fakten, die sie zur Orientierung nutzen. Das wiederum nutzt die Industrie aus. Wenn beworbene Artikel sich auch offiziell an Erwachsene richten: Kinder werden durchaus bewusst mitangesprochen. Denn wer Produkte wie Mutters Nivea-Creme aus der Kindheit kennt, kauft sie gewohnheitsbedingt meist ein Leben lang – das nennt man frühe Markenbindung. Allerdings: Wer nicht Acht gibt, landet damit allerdings auch schnell bei früh tradierten Normen. Werbung für Diätprodukte etwa, die zur angeblichen Traumfigur führen sollen, erzeugt schon bei Kindergartenkindern das krankhafte Streben nach unrealistischen Körpermaßen, die in Essstörungen resultieren können.
Brave new digital world?
Im Grunde sind die bislang beleuchteten Aspekte den meisten Erwachsenen vertraut. Umso überraschender ist die Tatsache, dass sich die wenigsten für die bereits offensichtlichen Herausforderungen neuer sozialer Räume wappnen. Durch die Digitalisierung, die auch vor Kinderzimmertüren längst keinen Halt mehr macht, hat Werbung oft ohne Wissen der Eltern via internetfähiger Handys und Computer direkten Zugang zu Minderjährigen. Damit besteht die Gefahr, dass Kinder tagtäglich manipuliert werden und zu unmündigen Konsument*innen heranwachsen. Um dem entgegenzuwirken, müssen wir alle viel mehr über Werbung reden. Miteinander, aber besonders mit Kindern. Nur so können ganze Generationen künftig hoffentlich weniger durch die Werbewirtschaft in ihren vermeintlichen Bedürfnissen geprägt werden. Neben Familienangehörigen stehen insbesondere Schulen in der Verantwortung, aufzuklären und zum Reflektieren anzuregen. Unterstützung finden sie bei internationalen Bildungsinitiativen wie dem Kölner Verein Media Smart, der sich für die Förderung von Werbe- und Medienkompetenz einsetzt.