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„Ich will nach meinen Wünschen und Vorstellungen leben“

Von Sebastian Krieger / 24. November 2021
picture alliance / ZB | Sascha Steinach

Heiraten, Haus kaufen, Kind(er) bekommen. Den „deutschen Schwäbisch-Hall-Traum“ nennt Marc das. „Viele Eltern leben nur noch für ihre Kinder“, sagt Christin. Für beide ist eigener Nachwuchs kein Teil ihres Lebenstraums. Ein Gespräch über Lebensstile, Rollen- und Geschlechtererwartungen und den Sinn des Lebens.

DINK: Double Income, No Kids – das bezeichnet in der Werbebranche eine Gruppe von Doppelverdienenden ohne Kinder; Paare, die sich bewusst gegen Kind(er) entscheiden. So wie Marc und Christin, Ende 20, beide festangestellt, hohes Haushaltseinkommen, die Hochzeit für nächstes Jahr geplant – Polterabend, Kutschfahrt und Brautstraußwurf inklusive. Gutbürgerlich also und nach der gesellschaftlichen Erwartung wäre Kinder kriegen der nächste Schritt. Nicht aber für Marc und Christin.

Sagwas: Für viele Menschen ist die Frage nach dem Kinderwunsch eine sehr gewichtige und sehr private. Ihr geht offen damit um und sagt: Wir wollen keine Kinder. Wie kommt’s?

Christin: Das Thema Kinder ist schon sehr präsent. In meinem Freundeskreis sind viele Freundinnen Mütter geworden. Inzwischen sind das nur noch Bekannte.

Marc: Bei mir ist nur ein Freund Vater geworden – und seitdem höre ich auch nur noch selten von ihm.

Sind das für euch abschreckende Beispiele?

Christin: Ich treffe mich natürlich immer noch mit meinen “Freundinnen“. Aber sobald die Kinder dabei sind, wird es extrem anstrengend. Wir können dann nicht mehr gemütlich irgendwo einen Kaffee trinken gehen.

Keine der Mütter kommt zu meinem Junggesellinnenabschied – wegen der Kinder“

Christin

Weil die Kinder im Mittelpunkt stehen?

Christin: … und alles kaputtmachen. Ich kann mich mit meinen Freundinnen nicht mehr unterhalten. Es geht nur noch um Windeln und Kotze. Ich interessiere mich nicht für Babykotze. Zu meinem Junggesellinnenabschied habe ich sieben Mütter eingeladen – alle haben abgesagt. Weil sie ihre Kinder nicht allein lassen könnten.

Und was ist mit den Vätern?

Christin: Die Väter halten sich raus. Ich finde das ganz schrecklich! Viele sagen zwar ganz “fortschrittlich“, die Väter könnten auch mal aufpassen. Aber letztlich sind die Kinder immer bei den Müttern.

Kinderlos glücklich: Marc und Christin (Foto: Privat)

Sobald Kinder ins Leben kommen, fallen offenbar viele in alte Rollenmuster zurück. Für Frauen ist das ein Risiko für ihre Selbstverwirklichung und finanzielle Sicherheit beziehungsweise Unabhängigkeit. Stimmt ihr zu?

Christin: Ich beobachte das an einer Arbeitskollegin, die wie ich zahnmedizinische Fachangestellte ist. Die kann sich nichts leisten! Das Arbeiten in Teilzeit in einem Beruf, der sowieso nicht überdurchschnittlich gut bezahlt ist, sichert die Existenz nicht. Wenn bei ihr die Waschmaschine kaputt geht, dann hat sie schon ein Problem.

Marc: Und nicht alle Arbeitgeber bieten Teilzeit überhaupt an.

Christin: Bei uns in der Praxis sind Muttis überhaupt nicht willkommen. Alle Angestellten müssen Früh- und Spätdienst machen – von 6.30 bis 14.30 Uhr oder bis 20 Uhr. Welche Mutter kann das? Klar, es geht immer irgendwie, aber ich möchte nicht “irgendwie“. Ich möchte: schön. Nach meinen Wünschen und meinen Vorstellungen. Und damit meine ich nicht “Karriere.“ Ich möchte einfach meine Freizeit haben und genießen und mein Geld für mich ausgeben können – mit Kind geht das nicht. Meine Freunde sind alle abschreckende Beispiele in dieser Hinsicht.

Marc: Die leben eigentlich nur noch für ihre Kinder.

Christin: Ja, die sind nur noch ko-existent!

Ehe, Hauskauf, Kinder – Ein Traum wie aus einer Bausparkassen-Werbung?

Was spricht aus deiner Sicht gegen Kinder, Marc? Ein sicheres Einkommen ist ja vorhanden.

Marc: Für viele Menschen gehören Kinder zum Leben dazu, aber wenige machen sich Gedanken, ob das wirklich zu ihnen passt. Da ist die Vorstellung wie in der Schwäbisch-Hall-Werbung: Haus im Vorort, Kinder im Garten. Mit 18 habe ich so ähnlich gedacht. Heute mache ich keine langfristigen Pläne mehr. Hätte mir jemand vor fünf Jahren erzählt, wo ich heute stehe und was in der Zwischenzeit passiert, hätte ich das nicht geglaubt. Deswegen konzentriere ich mich auf die nahe Zukunft und da kann ich mir keine Kinder vorstellen.

Werden Kinder dann nicht zu einer Art Lifestyle-Entscheidung?

Marc: Sie sollten sogar eine Lifestyle-Entscheidung sein! Wie bei der Frage nach Wohneigentum. Aber es entscheiden sich auch Menschen für Kinder, die das eigentlich nicht tun sollten. Menschen, die finanziell mit ihrem eigenen Leben schon jetzt überfordert sind und sich mit ziemlicher Sicherheit Kinder im Grunde gar nicht leisten können.

Bei der Entscheidung für oder gegen Kinder gibt es keinen Kompromiss. Wie habt ihr das austariert?

Christin: Als das Thema das erste Mal aufkam, hast du gesagt, dass du dir Kinder vorstellen könntest. Es war jedenfalls kein Nein. Ich war sehr klar gegen Kinder und für dich war das in Ordnung.

Marc: Wenn ich komplett anderer Meinung wäre, säße ich nicht hier.

Kinder sind keine Garantie gegen Einsamkeit im Alter!“

Marc

Aber ihr habt Haustiere: Zwei Katzen und einen Hund…

Christin: Unsere Ersatzkinder! (lacht)

Das kommt scherzhaft rüber. Wie viel Ernst steckt dahinter?

Marc: Eine Sache verbindet beide: Man hat Verantwortung für andere Lebewesen.

Christin: Haustiere sind Baby “light“.

Marc: Haustiere sind die Generalprobe! (lacht) Im Ernst: Im Notfall kann man Haustiere abgeben – das ist nicht schön, aber das geht einfacher als bei Kindern. Was die Gemeinsamkeiten betrifft: Mit Haustieren bist du nicht allein zu Haus. Ich kann mir vorstellen, dass auch das für viele ein Grund für Kinder ist.

Christin: Vor allem im Alter.

Marc: Aber es gibt keine Garantie, dass Kinder später Kontakt mit dir haben wollen.

Christin: Volle Zustimmung! Klar stelle ich mir die Frage: Was kommt noch im Leben? Mit Kindern gibt es viele Ereignisse, im Kleinen: Martinsumzüge. Im Großen: Hochzeit der Kinder. Wenn ich auf uns gucke, dann kommen da weniger.

Marc: … andere.

Christin: Aber vielleicht weniger bedeutsame.

Ich bin einfach keine Mama“

Christin

Was wären für euch gute Gründe für Kinder?

Marc: Wenn man für sich merkt, dass man darin aufgehen würde. Oder weil man etwas in die Welt setzen möchte.

Christin: Für mich wäre das, wenn man darin Erfüllung sieht, den eigenen Sinn des Lebens. Und man muss es fühlen.

Marc: Wenn du an Kinder denkst und die ersten fünf Gedanken sind durchweg positiv…

Christin: … und dir geht das Herz auf! So ist das bei mir aber nicht, ich bin einfach keine Mama.

Marc: Wenn ich an Kinder denke, dann fallen mir zwei, drei Vorteile und auch zwei, drei Nachteile ein.

Christin: Mir fällt nur Negatives ein.

Wenn wir uns in zehn Jahren wiedertreffen: Wie sicher seid ihr euch, dass ihr auf das Thema genauso blickt wie heute?

Christin: Du wirst mich sehen und ich werde mich kaum verändert haben – hoffentlich auch äußerlich! (lacht) Ich bin mir echt sehr sicher.

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