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DebatteIdealisieren wir gesellschaftliche Freiheit?

Von Anna Steinmeier / 31. August 2021
picture alliance / Zoonar | magann

Zwei Worte haben die Debatten der letzten Monaten dominiert: Corona und Freiheit. Die Freiheit der Alten oder die der Jungen. Die Freiheit, eine Maske zu tragen oder nicht. Nur, was meint ‚Freiheit‘? Über einen Begriff, der in aller Munde und doch nicht ganz greifbar ist.

Auch wenn ihm zurzeit eine sehr aktuelle (und häufig eher kleinteilige) Bedeutung beikommt, ist der Freiheitsbegriff als solcher fast so alt wie die Menschheit selbst. Bereits im alten Griechenland und antiken Rom wurde über das Verständnis von Freiheit philosophiert. Schon damals zeigte sich, dass Freiheit nicht immer und längst nicht für alle Menschen gleichermaßen gilt. Prinzipiell war Freiheit der wohlhabenden Oberschicht vorbehalten.

In der Bibel wird Freiheit in einer der bekannteren Geschichten thematisiert. Der von Moses angeführte Auszug der Israeliten aus Ägypten, mit dem die Befreiung aus den Händen des Pharaos anvisiert wurde, stellt die Hoffnung auf ein Ende der Sklaverei und die Aussicht auf Freiheit in direkten Zusammenhang mit dem Glauben. Im 16. Jahrhundert greift auch Reformator Martin Luther in seiner Neuauslegung der Bibel den Grundsatz der individuellen Freiheit auf. Nur mit ihr sei ein aufrichtiges Glaubensbekenntnis zu leisten, was die bis dahin geltende Form der vorgegebenen Religionsausübung grundlegend in Frage stellte und zur Spaltung der Kirche führte.

Systemische Freiheit

Der Freiheitsbegriff, den wir heute meist meinen, wenn wir über Freiheit im Sinne eines idealen Zustands reden, ist die Entscheidung, sich frei von Zwang für oder gegen etwas entscheiden zu können. Dieser Gedanke wurde durch die Epoche der Aufklärung im 18. Jahrhundert geformt. Neben John Locke, Adam Smith und John Stuart Mill sind es vor allem Immanuel Kant und Voltaire, die den Freiheitsbegriff geprägt haben. Für Kant waren Freiheit und Vernunft untrennbar: Freiheit könne (nur) erreicht werden, wenn der Mensch seinen animalischen Trieben entsage und im Sinne der Vernunft lebe. Voltaire hingegen strebte eine politischere Auffassung einer lebenswerten Freiheit an. Ihm wird das berühmte Zitat zugeschrieben: „Ich stimme nicht mit dem überein, was du sagst. Aber ich werde dafür kämpfen, dass du das Recht hast, es zu sagen“.

Mit der Zeit wurde Freiheit generell zu einem politischen Kampfbegriff. So geschehen etwa während der Französischen Revolution von 1789 oder später als Grundideologie ganzer Staatsapparate und insbesondere im systemischen Wettstreit zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Je nach politischer Einstellung konnte Freiheit entweder nur durch die auf ein Minimum begrenzte Einflussnahme des Staates gewährleistet werden oder gerade dadurch, dass der einzelne Mensch seine Rolle in einem größeren System (unhinterfragt) einnimmt.

Freiheit auf allen Ebenen

Die vielfältige Interpretationsweise verdeutlicht: Wenn man versucht, den Begriff an einer Person beispielhaft anzuwenden, trifft man auf verschiedene Freiheitsformen, die nicht nur voneinander abweichen, sondern gänzlich im Widerspruch zueinander stehen können.

Das Volkslied “Die Gedanken sind frei” von Hoffmann von Fallersleben adressiert die personale, gedankliche Freiheit. Diese Freiheit nimmt Bezug auf unfrei machende Erziehungsmethoden und Glaubenssätze. Demgegenüber steht die äußere Freiheit, die neben der rein örtlichen Freizügigkeit wiederum vor allem politisch zu verstehen ist. Hier kommen vorrangig gesellschaftliche Regeln und Gesetze ins Spiel.

Wie nicht wenige Bewegungen bezieht sich die Sozialdemokratie auf die Idee positiver und negativer Freiheitsrechte; positive Freiheiten (auch: Freiheit zu) sind jene, die einem als Individuum zukommen, zum Beispiel die eigene Meinung oder die Art sich zu kleiden. Negative Freiheitsrechte (Freiheit von) sind demgegenüber die Rechte, die einen vor etwas schützen – das Anrecht auf körperliche Unversehrtheit und damit das Abwenden von Schadenszufügung beispielsweise ist ein essenzielles negatives Freiheitsrecht. Wie die Balance von Möglichkeiten und Verboten innerhalb einer Gesellschaft ausfällt, hängt letztlich zumeist von den herrschenden Mehrheitsverhältnissen ab.

Zwischen Pop-Songs und Wutbürgern

Auch heute ist „Freiheit“ wieder in aller Munde: sei es auf bunten Onlinegrafiken, in täglichen Debatten und Demonstrationen agitierter “Wutbürger“ gegen Impfschutz und Maskenregelung oder auch in aktuellen Pop-Songs. Bei einer historischen und gesellschaftlichen Betrachtung des (positiven) Freiheitsbegriffs wird klar, dass dieser gegenwärtig ebenfalls hoch individuell gehandhabt wird. Ein absolutes, unhinterfragtes Ideal bedient Freiheit hier allerdings kaum.

Was für einen Menschen Freiheit im konkreten Fall bedeutet, kann für einen anderen das genaue Gegenteil darstellen. So steht beispielsweise ein staatlich verbrieftes Grundrecht der individuellen Berufsfreiheit einer vom Staat betriebenen Berufslenkung strikt entgegen. Für beide Systeme finden sich Anhänger, und mit ihnen ein entsprechender Anspruch auf die rechtmäßige, weil angeblich legitime Anwendung von Freiheit.

Die grundsätzliche Auseinandersetzung, die noch immer Generationen von politisch Interessierten prägt, dreht sich um die Basis für ein gerechtes Zusammenwirken: Während einige Leute der Meinung sind, dass wir bereits in einer sehr freien Gesellschaft leben, fordern andere, weitreichende Reformen umzusetzen, da noch nicht alle Menschen gleich frei seien, weil es in unserer Gesellschaft Menschen gibt, die keine autarken Entscheidungen treffen können. Sei es, weil Krankheit oder familiäre Verpflichtungen sie daran hindern. Ebenso beständig wie der Ruf nach Freiheit ist somit also auch das Gefühl der Unfreiheit.



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