Auf ewig vereint
Tauben gelten als Schädlinge, die im Verdacht stehen, Krankheiten zu übertragen. „Ratten der Lüfte“ nennen sie manche. Doch das schlechte Image ist ungerechtfertigt und war auch nicht immer so. Über ein verkanntes Tier.
Als Picasso für den Weltfriedenskongress 1949 ein Bild entwerfen sollte, malte er eine weiße Taube. Jenen Vogel, der in der Antike als Sinnbild für Sanftmut und Unschuld stand, in Indien und einigen germanischen Stämmen als Seelenvogel galt und im Christentum den Heiligen Geist verkörpert. Noch heute lassen Brautpaare anlässlich ihrer Hochzeit weiße Tauben fliegen. Als Symbol von Liebe und Treue.
Die Sympathie für deren dunkelgraue Verwandte hält sich dagegen in Grenzen. Unter Städtern ist der Taubenhass weit verbreitet. Die Vögel werden für alle möglichen Übel verantwortlich gemacht und dementsprechend verjagt oder gar vergiftet. Der Klassiker: Tauben sollen Krankheiten und Parasiten übertragen. Auf den Webseiten der Hersteller von Schädlingsbekämpfungsmitteln werden zahlreiche Krankheitserreger aufgeführt. Darunter Viren, die eine Augenentzündung verursachen, Pilze, die die Lunge zerstören und Bakterien, die zu einer Hirnhautentzündung führen können.
Die so geschürte, völlig übertriebene Angst hält sich wacker, obwohl es seitens des Bundesgesundheitsamts schon 1989 hieß: „Eine gesundheitliche Gefährdung durch Tauben ist nicht größer, als die durch Zier- und Wildvögel sowie die durch Nutz- und Liebhabertiere“. Tatsächlich bedeutet keiner der Erreger eine reale Gefahr für den Menschen. Die genannten Parasiten, etwa Flöhe oder Milben, könnten bei direktem Kontakt zwar durchaus auf den Menschen übergehen, das Risiko einer tatsächlichen Ansteckung ist aber genauso groß beziehungsweise gering wie beim Kontakt mit Katzen, Hunden oder anderen Tieren.
Doch die Schädlingsbekämpfer haben ein zweites Argument für die Taubenabwehr parat: Taubenkot sei hochgradig ätzend und zerstöre Gebäude und Dächer, zudem verstopfe ihr Nistmaterial Regenrinnen und Abflussrohre. (So wie Herbstlaub auch, aber Bäume müssen deshalb ja nicht dran glauben.) Eine Studie der TU Darmstadt kam 2004 zwar zu dem Ergebnis, dass Taubendreck auf traditionellen Bausubstanzen wie Beton, Zement, Ziegel, Granit, Holz und Sandstein keine Schäden verursacht. Australische Forscher haben allerdings herausgefunden, dass minderwertige Nahrung den pH-Wert des Taubenkots senkt. Wodurch Taubenexkremente sauer und damit in Zukunft doch schädlich für die Gebäude werden könnten.
Ein besonderes Nutztier
„Die Tauben fressen Abfälle. Das ist nicht artgerecht“, sagt Lea Schmitz vom Deutschen Tierschutzbund. Eigentlich seien Tauben Körnerfresser, ernährten sich aber auch von Pommes, Brot, Dönerresten. Der Deutsche Tierschutzbund hat die Kampagne #RespektTaube gestartet, um für ein friedliches Miteinander von Mensch und Taube zu werben. Im Grunde gäbe es das schon seit jeher, so Schmitz. „Die Taube stammt von der Felsentaube ab und wurde dann von den Menschen zur Haustaube gezüchtet.“
Seit Jahrhunderten profitieren Völker weltweit vom guten Orientierungssinn der Taube, der es gelingt, auch aus großer Entfernung an ihren Heimatort zurückzukehren. Schon im alten Ägypten wurden mit Hilfe der Tiere Nachrichten versandt, später nutzten auch große Feldherren wie Hannibal und Julius Cäsar Brieftauben. Selbst große Nachrichtenagenturen wie Reuters machten sich Ende des 19. Jahrhunderts die gezüchteten Tauben als Nachrichtenübermittler zunutze, weil sie schneller vorankamen als die übliche Postkutsche. In den beiden Weltkriegen kamen die Vögel ebenfalls zum Einsatz, um vor Angriffen zu warnen oder über Schlachten zu informieren. Erst seit es schnelle Postdienste, stabile Telefonverbindungen und das Internet gibt, werden ihre Dienste nicht mehr gebraucht.
Das Ende einer Ära
Das heimatverbundene Tier blieb trotzdem in den Städten. Und da die Menschen es früher überallhin mitgenommen haben, hat es sich inzwischen rund um den Globus verbreitet und konnte sich zunächst ungestört vermehren. Doch die Willkommenskultur hielt nur zeitweise, wie der US-amerikanische Soziologe Colin Jerolmack herausfand. Archivierten Zeitungsartikeln entnahm er eine bis in die 1950er Jahre hinein noch ausgewogene Berichterstattung über Tauben. Dann kippte die Stimmung und die Vögel wurden problematisiert. Das liege vor allem daran, dass sie als Eindringlinge wahrgenommen wurden, so Jerolmack. Dem Menschen sei es nicht recht, seinen Lebensraum mit dem eines vermeintlich wilden Tieres zu teilen. Auch wenn es klein und nützlich wie eine Taube ist.
Dass dieses Wildtier in Wahrheit gar keines ist, sondern ein Nachfahre eben jener Brieftaube, interessiert nur die wenigsten. Spektakulärer liest sich der Umstand, dass die klassische Taube dahingehend gezüchtet wurde, sich ganzjährig zu paaren und so bis zu sieben Mal im Jahr Eier zu legen, und zwar unabhängig vom Nahrungsangebot. Mit der Folge einer stetig wachsenden Taubenpopulation. Dagegen wurde zeitweise viel unternommen: Fütterungsverbote, Anflugsperren mit Nadeln, das Verhängen von Gebäudeteilen mit Netzen. Manchmal wurde auch radikaler vorgegangen wie in Barcelona, wo die Vögel bis vor ein paar Jahren massenweise eingefangen und getötet wurden. In Montevideo sollten es Wanderfalken richten und Jagd auf Tauben machen, während man in Los Angeles die Weibchen mit Verhütungsmitteln gefüttert hat.
„All das ist nicht wirklich effektiv. Die Tauben weichen auf andere Orte aus und kommen zurück, wenn die Maßnahmen vorüber sind“, sagt Lea Schmitz. Wirklich sinnvoll seien nur Taubenhäuser, in denen Tauben artgerecht gefüttert werden und brüten können. „Die Eier der Tauben werden regelmäßig durch Attrappen ausgetauscht. So kann ich die Population reduzieren, ohne dass die Tiere leiden müssen.“