Wenn Körper zu Präparaten werden
Immer mehr Menschen entscheiden sich dazu, nach ihrem Tod den eigenen Körper der Forschung und Lehre zur Verfügung zu stellen. Dafür zahlen sie sogar, denn aus ethischen Gründen darf es keinen finanziellen Anreiz zur Körperspende geben. Für Medizinstudentin Johanna ein großes Glück.
sagwas: Johanna*, du bist 22 Jahre alt und Medizinstudentin in den vorklinischen Semestern. Aktuell präparierst du zum ersten Mal einen toten Körper. Wie fühlte sich das anfangs an?
Johanna: Als die Haut noch an der Leiche war, haben uns unsere Dozent*innen erstmal einen Moment zum Durchatmen gegeben. Da war das ja noch ein menschlicher Körper für uns – mittlerweile ist er eher ein Präparat. Die Leiche sieht irgendwann nicht mehr menschlich aus. Sie wird zerlegt in Muskeln, Sehnen, Knochen, Nerven, Gefäße. Das Gesicht verschwindet nach und nach. Alle Körperspenden haben übrigens abrasierte Haare: So wirken sie direkt ganz anders, fast unmenschlich. Das Präparieren an sich ist eine sehr achtsame und sorgfältige Arbeit.
Wie war es, die Leiche das erste Mal zu berühren und den ersten Schnitt zu setzen?
Das ist ein krasses Gefühl: kalt und pappig. Die Körperspenden werden ja gekühlt, auch im Präparationssaal ist es kalt. Und durch die chemische Fixierung ist die Haut nicht mehr weich, wie wir es kennen. Ich konnte erst gar nicht einschätzen, wie es sein würde, durch das Gewebe zu schneiden.
Was genau macht ihr mit der Körperspende?
Als Erstes wird in meinem Präparationsgebiet die Haut vom Kopf abgezogen, das ist heftig. Darunter ist viel Fett, das wir abtragen müssen, bevor wir an die Dinge herankommen, die richtig spannend sind. Anfangs habe ich manchmal meine Hand auf dem Ohr der Toten abgestützt und dann wieder gemerkt: Das ist nicht einfach nur Gewebe, sondern ein echtes Ohr. Das hat die Körperspende schlagartig wieder zum Menschen gemacht.
Wie erträgst du den Geruch der Leiche?
Körperspenden sind chemisch fixiert, sie riechen vor allem nach Formalin, also stechend. Aber die Leiche auf dem Nachbartisch zum Beispiel riecht wirklich schlimm. Wenn ich mir dort etwas anschaue, wird mir direkt schlecht. Es gibt Hilfsmittel: Manche Studis schmieren sich Pfefferminzöl unter die Nase. Im ganzen Anatomiegebäude liegt dieser Formalingeruch – das bemerkt man aber erst, wenn man es weiß. Am Anfang des Kurses wollte ich abends zu Hause immer sofort duschen. Mittlerweile bin ich entspannter.
Denkst du durch das Arbeiten an einem toten Körper mehr über Vergänglichkeit nach?
Viele Dinge, die das menschliche Leben und Altern mit sich bringt, werden anschaulicher für mich. Bei einer schlimmen Arteriosklerose meiner Leiche habe ich gestaunt, wie viel Kraft das Herz gehabt haben muss, um Blut durch das verstopfte Gefäß zu pumpen. Ich denke auch vermehrt über meinen eigenen Lebenswandel nach. Und die Raucher*innenlungen, die wir hier zu sehen bekommen, würde ich rauchenden Freund*innen gern mal zeigen. Je mehr ich über Krankheiten erfahre, desto dankbarer bin ich, gesund zu sein. Ich werde täglich daran erinnert, gut auf meinen Körper aufzupassen.
Dein Blick auf Leben und Tod hat sich also durch das Sezieren verändert?
Diese beiden Themen sind beim Präparieren gar nicht mehr wirklich präsent. Wir dürfen eine Tote auseinandernehmen, um daraus etwas zu lernen, das lebenden Menschen hilft. Im Neuroanatomie-Kurs zerschneiden wir das Gehirn und schauen uns alle Details an. Dass in diesen – bei allen gleich aussehenden – Strukturen individuelle Erinnerungen und Gefühle gespeichert sein sollen, ist unvorstellbar. Die Seele muss den Körper mit dem letzten Atemzug verlassen haben.
Die Lungen, die wir hier zu sehen bekommen, würde ich rauchenden Freund*innen gern mal zeigen
Gibt es etwas an dieser Erfahrung, das dir noch heute Angst macht?
An den Körperspenden können wir ganz genau die Spuren ihres Lebens erkennen: Umwelteinflüsse, künstliche Gelenke, Anzeichen von Krankheit und Alterung. Ich versuche, das nicht zu sehr auf meine eigene Zukunft zu übertragen, denn das würde mich fertig machen. Stattdessen konzentriere ich mich immer wieder auf den Moment.
Denkst du viel über die Frau nach, deren Körper du gerade untersuchst?
Ich bin der Spenderin dankbar, das Privileg zu haben, mir das alles anschauen zu können. Präparieren ist so völlig anders als bloße Theorie aus Büchern. Ich überlege, falls ich mal nicht mehr als Organspenderin infrage komme, meinen Körper auch der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen. Besonders, weil ich sehe, wie respektvoll der Umgang mit den Körperspenden ist. Und was für einen Rieseneffekt das haben kann, wenn an nur einem gespendeten Körper 15 Studierende unfassbar Wichtiges lernen können. Das ist eine unvergessliche Erfahrung, die uns das gesamte Berufsleben über prägen wird.
Dein Präparationskurs neigt sich dem Ende zu. Was geschieht mit den Überresten eurer Körperspenden?
Teilweise wird später an den Körperspenden auch noch geforscht, weshalb wir bei „unserer“ Leiche das Rückenmark im Halsbereich nicht anrühren dürfen. Im Februar finden die Einsargung und ein Gottesdienst statt, der traditionell von uns Studierenden ausgerichtet wird. Dort werden wir auch den Angehörigen begegnen, die um die Menschen trauern, deren Körper wir monatelang zerlegt haben. So können wir ihnen danken und den Verstorbenen gemeinsam die letzte Ehre erweisen. Ich denke, dass die Trauerfeier bewusst am Ende des Kurses stattfindet. Sonst hätten wir nicht so leicht an den Körpern arbeiten können. Sie wären dann viel mehr als bloße Präparate für uns gewesen.
*Name von der Redaktion geändert.