Zufall oder Schicksal: Was die Philosophie sagt
Ist alles, was auf dieser Welt passiert, bloß Zufall? Oder gibt es eine höhere Instanz, eine Art Schicksal, die alles Weltgeschehen lenkt? Auf diese Fragen werden immer noch Antworten gesucht.
Die DNA des Zufalls? Ein “freier“ Wille? Seit jeher setzen sich Geistes- und Naturwissenschaften mit diesen Fragen auseinander. Eine allumfassende Begriffsbestimmung gibt es nicht. Die Definition hängt vom eigenen Weltbild und Erkenntnisinteresse ab. Was hinter Begriffen steckt, die wir tagtäglich benutzen, das ist auch mein sogenanntes “Erkenntnisinteresse“.
„Umgangssprachlich versteht man etwas anderes unter dem freien Willen als im juristischen oder psychologischen Sprachgebrauch. In der Philosophie wird der Begriff nicht einheitlich definiert“, heißt es bei Wikipedia. Dort suchen alle nach Antworten. Aber kann ein Portal, wo jede und jeder ein Wörtchen mitreden will, mir auf der Suche nach mehr Klarheit helfen?
Kausalität, Zufall oder Schicksal
Das Prinzip „Ursache-Wirkung“ macht es uns einfach, das Konzept der Kausalität zu verstehen: Wenn ein Glas Wasser umkippt, wird der Untergrund nass. So simpel, so einleuchtend. Der Blick in das „Metzler Lexikon für Philosophie“ bestätigt: „Der Begriff [Kausalität] bezeichnet allgemein das Verhältnis der Verursachung, die Relation von Ursache und Wirkung.“
Anders verhält es sich mit dem, was wir landläufig unter „Zufall“ verstehen. Dieser Zustand, so die lexikalische Herangehensweise, „bezeichnet im allgemeinen ontologischen Sinne diejenigen Ereignisse, die sich weder als gesetzmäßige Folge eines objektiven Kausalzusammenhangs noch als intendiertes Folgeereignis subjektiv-rationaler Planung erklären lassen.“ Klingt sehr akademisch. Konkret ist damit wohl gemeint, dass Zufälle nun mal passieren. Sie existieren, selbst wenn wir keine Erklärung dafür finden.
Auch widmet sich das Standardwerk dem großen, mit bedeutungsschweren Worten untermalten „Schicksal“ und seiner „Einwirkung auf das Leben des Menschen, die außerhalb seiner Verfügungsgewalt liegt“. Das liest sich fast so, als hätte Zufälliges in unserem Leben doch einen Grund, ja womöglich sogar einen höheren Sinn? Ich fange an zu grübeln.
Was sagt die Philosophie?
Wer „Philosophie“ sagt, kommt um Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) nicht herum. Der Zufall kommt ihm zufolge von „außerhalb“. Trotz fehlendem, eigenem Vorsatz dahinter kann er in diesem Phänomen eine „Fügung“ erkennen. Seine Worte lassen sich auch so interpretieren: Der Zufall – ob gewollt oder nicht – vermag eine Reihe von aufeinanderfolgenden Ereignissen in Gang zu setzen, die dann schließlich in der Rückschau als absichtsvoll wahrgenommen wird.
Epikur (341 – 270 v. Chr.) begreift das Leben als eine Zusammensetzung aus Zufälligem, Notwendigem und dem, was Menschen verursachen. Dabei werden sie seiner Meinung nach weder von Göttern geleitet noch vom Schicksal gelenkt, sondern sind allein ihrem freien Willen „unterworfen“. Laut Epikur gibt es deshalb kein unabänderliches Schicksal.
Ich will es genauer wissen und lese bei Immanuel Kant nach, dem großen deutschen Philosophen des 18. Jahrhunderts. In seinem Hauptwerk „Kritik der reinen Vernunft“ widerprechen sich seine angeführten Erörterungen teilweise. So vertritt er die Position, dass ein auf Willensfreiheit begründetes Prinzip selbstständig neue Folgen von kausalen Handlungen verursachen könne. Andererseits hätten alle Handlungen von vorneherein eine ursächliche Basis. Was aber ist mit dem Grund für „die“ Ursache hinter dem Geschehen?
Willensfreiheit ist nicht gleich Handlungsfreiheit
Was bei dieser Diskussion untergeht: Willensfreiheit sollte nicht gleichgesetzt werden mit Handlungsfreiheit. Sie setzt voraus, den eigenen Willen gemäß eigenen Wünschen, also aus freien Stücken umzusetzen. Was nur mit einem ausgebildeten Willen gelingen kann. Innere Zwänge oder äußere Einschränkungen können freies Handeln verhindern oder erschweren. Umgekehrt ist die Willenskraft nicht notwendigerweise begrenzt durch Optionen. Wer sich zum Beispiel aus eigenem Antrieb heraus von negativen Strukturen oder Mechanismen distanziert, kann sich langfristig emanzipieren. Im besten Fall also neue, anders geartete Entscheidungen treffen und eingeübtes Verhalten hinter sich lassen.
Das Geschehen in der Welt als schicksalhaft zu betrachten, lässt die Idee der Emanzipation zu, nimmt ihr allerdings den Handlungsspielraum: Wir haben keinen aktiven Einfluss auf unser Dasein, alles ist vorherbestimmt. Somit gibt es die vielbeschworene Handlungsfreiheit nicht.
Zufall und Schicksal im Alltag
Weniger kompliziert ist es, den philosophischen Ansatz auf den Alltag anzuwenden. Das Wort „Zufall“ (und damit verbunden die Rede von „Glück“ oder „Pech“) wird verwendet, wenn ein Ereignis mit geringer Wahrscheinlichkeit unerwartet eingetreten ist. Ist der Grad der Erwartung dagegen recht groß, wird sein Eintreten eben nicht als zufällig bezeichnet.
Sicher ist an dieser Stelle für mich mein ziemlich großer Grad an Verwirrung. Rein wissenschaftlich gesehen, ist Zufall ein Ereignis, das kausal schlicht nicht erklärt werden kann und das ohne erkennbare Ursache bei einer Ausgangssituation mehrere Endsituationen zulässt. Immerhin hier sind Philosophie und Forschung in Unkenntnis vereint.
Die Uneinigkeit der Philosophie
„Ich weiß, dass ich nichts weiß“, wird Sokrates (469 – 399 v. Chr.) zitiert. Am Ende meiner begrifflichen Auseinandersetzung weiß ich lediglich, auf welche Formel ich die Lehren der nicht immer einig scheinenden Denker bringen kann. Ob Zufall oder nicht, Denkanstöße sind dazu da, entdeckt und reflektiert zu werden, insbesondere bevor man sie annimmt.
Ich bin überzeugt, dass es für den menschlichen Geist entlastend sein kann, manches einfach „aus der Hand“ zu geben. Das ist nicht gleichbedeutend mit „sich dem Schicksal fügen“, sondern der Versuch, neben der Verantwortung für das eigene Leben auch den Glauben an das Glück in sich zu tragen. Ganz gleich, ob das dem Zufall geschuldet ist oder dem Schicksal.
Ein toller Artikel! Wirklich!