Leidenschaftlich für eine bessere Welt
Dinge verändern, die Welt ein Stückchen besser machen, Neues denken. Drei Jugendbewegte aus sechs Jahrzehnten erzählen ihre Geschichte.
Wofür sich junge Menschen einsetzen, hängt viel von den jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Diskursen ab. Die Themen haben sich geändert, gleich geblieben ist die Leidenschaft, mit der Jugendliche und junge (und auch jung gebliebene) Erwachsene das vorantreiben, was ihnen wichtig ist. Für mehr und teils auch einen “anderen“ gesellschaftlichen Fortschritt, der Traditionen hinter sich lässt, falls nötig.
„Wir wollten die Revolution Wirklichkeit werden lassen“
Gudrun Brockhaus, 74
Aufgewachsen bin ich in einer sauerländischen Kleinstadt. 1966 galt es dort noch als unerhörter Regelverstoß, zu den Abiturprüfungen nicht im schwarzen Kostüm zu erscheinen. Nach dem Abi ging ich nach Freiburg zum Studieren. Als Landei kam mir Freiburg wie eine große Stadt vor, besonders die schon etwas älteren Studenten lebten ein sehr freies Leben, wofür ich sie sehr bewunderte. Es war nicht so, dass ich mich bewusst dafür entschieden hätte, bei dieser Jugendbewegung mitzumachen, vielmehr trafen wir uns, diskutierten nächtelang und entwickelten daraus Aktionen. Wir haben beispielweise Straßenbahnschienen besetzt, um gegen Fahrpreiserhöhungen zu protestieren. Wir wollten ein Dorf gründen, die Kinder dort antiautoritär erziehen, die Welt von „unten“ verändern.
Meine Mutter hat sich Sorgen gemacht, dass ich zur Außenseiterin und vielleicht sogar kriminell werden könnte. Trotz meiner neuen Freiheiten hing ich aber immer noch sehr an meiner sauerländischen Heimat und den heimatlichen Ritualen.
Was 1966 mit eher spielerischen Aktionen begann, wurde nach der Ermordung Benno Ohnesorgs am 2.6.1967 und der Hetze der Springer-Presse gegen die Studentenbewegung zu einer bundesweiten politischen Bewegung. Deren Militanz verschärfte sich nach den Schüssen auf Rudi Dutschke im April 1968 und der Verabschiedung der Notstandsgesetze am 30. Mai 1968.
Das war auch das Jahr, in dem ich nach München zog. Zusammen mit Freunden wollte ich eine Kommune gründen, woraus aber schließlich nichts wurde. Trotz unzähliger Diskussionen konnten wir uns nicht darauf einigen, wie die Befreiung des Privatlebens aussehen soll.
In München bin ich jeden Tag zu politischen Treffen gegangen. In Literaturzirkeln lasen wir zum Beispiel Herbert Marcuse und übernahmen seine Vorstellung, man müsse die Randgruppen ansprechen, um die Revolution Wirklichkeit werden zu lassen.
Wir wollten eine marxistische Theorie des Subjekts entwerfen, etwas ganz Neues schaffen, Marx weiterdenken. Unsere Theorie schien uns schlüssig, von der Praxis hatten wir keine Ahnung. Auch wenn es später anders dargestellt wurde, waren wir eben doch nur eine kleine radikale Minderheit, die die Diskurse der Zeit keineswegs dominiert hat.
Die Fronten innerhalb der 68er verhärteten sich zusehends. Als mir aufgetragen wurde, in der „Roten Zelle“ (Revolutionäre Zellen, linksextremistische Terrorgruppe, Anm. d. Red.) Psychologie-Führungskader zu werden, weigerte ich mich und bin aus meiner politischen Gruppe und aus meiner Wohngemeinschaft rausgeflogen.
Mit dem Rauswurf verlor ich nicht nur meine politische Heimat, sondern mein ganzes privates Umfeld. Die Bewegung ist in immer mehr Splittergruppen zerfallen: die Spontis, die Stalinisten, die Toskana Fraktion. Ich habe mich nirgends mehr angeschlossen.
Die Einsicht, dass die Revolution nicht mehr stattfinden wird, hat bei vielen von uns eine große Trauer ausgelöst. Wir waren mit unserer Idee, eine bessere, gerechtere Welt zu erschaffen, auf ganzer Linie gescheitert.
„Wir haben etwas wirklich Großes auf die Beine gestellt“
Tobias Hößl, 40
Geboren wurde ich in Burghausen, aufgewachsen bin ich in Neumarkt St. Veit im Landkreis Mühldorf. Als ich 15 oder 16 war, lief im Fernsehen „Sailor Moon“, eine japanische Animeserie. Mitte der 1990er-Jahre kam das Internet gerade auf und über Foren lernte ich ein paar andere Manga- und Anime-Fans kennen, die in München einen Club gegründet hatten. Anfangs fuhr ich nur zu den Treffen. Nach einiger Zeit engagierte ich mich im Organisationsteam und, um für den Club eine Webseite zu erstellen, lernte ich das Programmieren.
Auf der Website standen von uns übersetzte Artikel, Nutzer:innen hatten aber auch die Möglichkeit, selbst Fotos hochzuladen, zu kommentieren und sich auszutauschen. Was dann passierte, hat uns selbst ziemlich überrascht. In kürzester Zeit besuchten täglich mehrere Tausend Gleichgesinnte die Website. Entsprechend ist auch der Club gewachsen.
Wenn von Otakus (japanischer Begriff für Personen, die sich obsessiv mit einem Thema beschäftigen, Anm. d. Red.), Manga- und Anime-Fans die Rede ist, denkt man immer zuerst an Cosplayer und deren Kostüme. Das war nur ein kleiner Teil der Szene, mindestens genauso wichtig waren uns die Zeichner:innen, die sich auf unserer Website präsentieren und dadurch Verlage finden konnten. Irgendwann wurde der Verein so groß, dass ich mich als Geschäftsführer professionell um die Website kümmerte.
Den größten Umbruch in der Community gab es Mitte der Nuller Jahre. Anfangs waren wir fast nur Jungs. Computernerds. Mit der Verbreitung des Internets wuchs der Frauenanteil auf 70 bis 80 Prozent.
Nach 17 Jahren bin ich ausgestiegen. Aus dem kleinen Club war ein großer Verein geworden, der Conventions mit mehreren Tausend Teilnehmer:innen veranstaltete, mit einer komplexen Organisationsstruktur. Ich wollte aber wieder das tun, was ich am liebsten mache und am besten kann: programmieren.
Rückblickend haben wir damals was wirklich Großes auf die Beine gestellt, ohne uns dessen so richtig bewusst zu sein. Chatten, Bilder hochladen, kommentieren: Ein paar Jahre später nannte man das das „Internet 2.0“. Wir waren unserer Zeit technisch voraus, was uns eine Zeit lang gigantische Nutzerzahlen einbrachte.
In meiner Manga- und Animezeit habe ich sehr viel gelernt, wovon ich heute noch profitiere. Ich durfte erleben, dass man mit Freunden und Gleichgesinnten wirklich etwas bewegen kann.
„Wenn wir jetzt nicht kämpfen, kämpft keiner“
Lea Voigt, 21
Bei Fridays for Future engagiere ich mich seit ungefähr einem Jahr. Vorher bin ich zwar auch ab und zu auf Demos gegangen, wirklich politisch aktiv bin ich aber erst seit dieser Zeit.
Wie ich dazu kam? Ich hatte mich schon länger für Umweltthemen interessiert, der entscheidende Moment war für mich der Song „Die Kids sind okay“ von ZSK (Punkrock-Band aus Berlin, Anm. d. Red.). Von da an wusste ich, dass ich etwas tun muss, mehr machen muss, als nur auf Demos zu gehen.
Mein alter Freundeskreis ist unpolitisch, von denen wollte niemand mitmachen. Für mich war aber klar, dass ich es trotzdem mache. Bei Fridays for Future diskutieren wird ständig über politische Dinge. Und hören viel politische Musik, wie sie auf Demos gespielt wird. Darunter sind auch Songs einiger Punk-Bands, die es schon in den 1990er-Jahren gegeben hat.
Mit einigen meiner alten Freunde habe ich noch Kontakt. Mich interessiert nicht nur Klimaschutz, sondern ich bin auch zwei-, dreimal die Woche zum Surfen an der Eisbachwelle hier in München. Früher war ich öfter dort, aber die ganze Orga-Arbeit bei Fridays for Future ist sehr zeitaufwendig. Und dann studiere ich ja auch noch.
Zu Hause ging es bei uns wenig politisch zu. Ich glaube, meine Mutter war einmal auf einer Demo. Ich denke aber, meine Eltern finden es gut, dass ich für die Dinge einstehe, die mir wichtig sind.
Durch meine politische Arbeit hat sich mein Leben sehr verändert. Wie viele von uns, ernähre ich mich vegan. Ich lese heute die Zeitung ganz anders und sehe die Nachrichten mit anderen Augen. Dinge, die mir etwas bedeuten, vertrete ich mit deutlich mehr Nachdruck. Ich sage jetzt, wenn mir was nicht passt.
Die Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben das Klimathema in den Hintergrund gedrängt. Es ist sehr viel schwieriger geworden, Menschen für den Klimaschutz auf die Straße zu holen. Aber gerade deshalb dürfen wir nicht lockerlassen. Jetzt ist gerade noch der Zeitpunkt, um das Ruder rumzureißen.
Wenn Fridays for Future dadurch Mainstream wird, soll mir das recht sein. Aber so weit sind wir leider noch lange nicht. Ich finde es gut, dass immer mehr Unternehmen Wert auf umweltfreundliche Produkte legen. Natürlich geht es dabei auch viel um PR, aber es ist zumindest ein erster Schritt.
Der Kampf fürs Klima ist mit viel Frust verbunden, aber wenn wir jetzt nicht kämpfen, kämpft keiner.