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DebatteGroße Wohnungsbaugesellschaften enteignen?

Von Marlene Thiele / 28. Februar 2025
picture alliance / ZB | Sascha Steinach

Für viele Menschen wird es zunehmend schwierig, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Auch, weil Immobilien immer mehr zu Spekulationsobjekten werden. Ein Volksbegehren aus Berlin will deshalb große Immobilienkonzerne enteignen – ist das sinnvoll?

Wer seine Wohnung verliert, steht oft vor einer existenziellen Krise und verliert auch Stabilität, Sicherheit und ein Stück gesellschaftliche Teilhabe. In Deutschland betrifft das derzeit über eine halbe Million Menschen. Rund 440.000 davon sind im System der Wohnungsnotfallhilfe untergebracht, weitere 60.000 sind bei Angehörigen oder Freunden untergekommen, 47.000 leben auf der Straße.

550.000 bis 1,9 Millionen fehlende Wohnungen

Wie viele Wohnungen in Deutschland konkret fehlen, ist umstritten. Einige Studien wie etwa vom Pestel-Institut und dem Verbändebündnis Wohnungsbau gehen von 550.000 bis 800.000 fehlenden Wohnungen aus, laut einer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie fehlen nur in den Großstädten schon 1,9 Millionen günstige Wohnungen. Günstig ist das Stichwort, denn vor allem an Sozialwohnungen mangelt es: Hier fehlen dem Bündnis „Soziales Wohnen“ zufolge bis zu 900.000 Wohnungen.

Auch, weil nicht ausreichend gebaut wird. Die Marktsituation ist schwierig mit immer höheren Materialkosten und steigenden Kreditzinsen. Außerdem gibt es in Deutschland viele Regeln, etwa über Treppenhöhe, den Lärmschutz oder Sicherheitsglas bei bodentiefen Fenstern. Insgesamt sind es inzwischen rund 3.900 Baunormen, die zwar nicht immer alle beachtet werden müssen, den Bau aber ebenfalls erheblich verteuern. Für Bauordnungen sind Länder oder teilweise Kommunen zuständig – Architekten müssen den Neubau also ganz gezielt für das entsprechende Grundstück entwerfen. Und auch das muss man erst einmal haben – Kommunen weisen immer weniger Bauland aus und die Zahl der Baugenehmigungen sinkt.

Dazu kommt, dass man die dringend benötigten Wohnungen nicht einfach irgendwo bauen kann. Laut Zahlen des Zensus 2022 stehen nämlich paradoxerweise trotz der Wohnungskrise bundesweit 1,9 Millionen Wohnungen leer. Besonders junge Menschen zieht es in wirtschaftsstarke Ballungszentren, während ländliche Regionen vereinsamen. In Großstädten kommt zudem die Zweckentfremdung von Wohnraum hinzu, etwa durch die Vermietung an Touristen über Plattformen wie Airbnb. Und: Immer mehr Menschen wohnen allein, wodurch mehr Wohnfläche pro Kopf benötigt wird.

Wohnungen werden Spekulationsobjekte

Besonders betroffen von der Wohnungsnot sind sozial schwache Gruppen: Geringverdiener, Alleinerziehende, Rentner und Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind. Für sie sind eigentlich die günstigen Sozialwohnungen vorgesehen. Doch der Bestand verringert sich seit Jahren stetig, weil die Sozialwohnungen nach 20 bis 30 Jahren aus der Sozialbindung fallen und nicht genug neue Wohnungen nachkommen. Als Alternative dazu bleiben genossenschaftlich oder kommunal vermietete Wohnungen dauerhaft günstig.

Doch Immobilieninvestments haben die Lage verschärft. Bis 1990 gab es die Wohnungsgemeinnützigkeit, die bis 1990 gemeinwohlorientierten Wohnungsbauunternehmen Steuerentlastungen und Zuschüsse gewährte. Danach wurde der Wohnungsmarkt zunehmend renditeorientiert. Internationale Investoren und große Immobilienkonzerne wie Vonovia und Deutsche Wohnen kaufen Wohnungen auf, treiben die Mietpreise in die Höhe und verschärfen die Knappheit an bezahlbarem Wohnraum. Die Partei Die Linke hat für acht große Städte in Deutschland einen Online-Rechner zur Überprüfung der Miethöhe gestartet. Mit ernüchterndem Ergebnis, wie die wohnungspolitische Sprecherin der Partei im Bundestag, Caren Lay, der Berliner Morgenpost mitteilt: „Eine dreiviertel Million Euro zahlen allein die 3.000 Mieterinnen und Mieter zu viel, die Mietpreisüberhöhungen über die Mietwucher-App der Linken an die Ämter gemeldet haben.“

Enteignung großer Wohnungsbaugesellschaften

Die Politik hat das Problem im Blick. Die Ampelregierung führte eine neue Wohngemeinnützigkeit ein: Soziale Unternehmen, Vereine und gemeinnützige Stiftungen, die dauerhaft bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung stellen, sollen steuerlich begünstigt und gefördert werden. Außerdem gibt es zusätzliche Mittel, mit denen der soziale Wohnungsbau bis 2027 um 18 Milliarden Euro gefördert wird. Doch der Wohnungsbau in Deutschland hängt dem Bedarf weiterhin hinterher. Auch die Ampelregierung hatte jährlich 400.000 neue Wohnungen versprochen – und schaffte gerade mal die Hälfte.

Eine andere Möglichkeit, bestehenden Wohnraum wieder erschwinglich zu machen, wäre die Enteignung und Vergesellschaftung von Wohnungen großer Wohnungsgesellschaften. Die Berliner haben 2021 schon in Volksentscheid dafür gestimmt, Wohnungsbestände von Großvermietern mit mehr als 3.000 Wohnungen zu vergesellschaften. Das Ziel: langfristig stabile Mieten gewährleisten und Wohnraum als Gemeingut statt als Spekulationsobjekt zu betrachten.

Kritiker fürchten, dass Enteignungen mögliche Investoren neuer Bauprojekte abschrecken könnte. Außerdem würden sie das Problem des Wohnungsmangels nicht lösen, da dadurch kein neuer Wohnraum geschaffen wird.

„Housing First“ – viele Bewerber, wenig Mietverträge

Und schließlich fehlt ja gerade der, auch bei anderen innovativen Projekten wie etwa „Housing First“. Obdachlose Menschen, die oft nur besonders schwer an eine Wohnung kommen, bekommen dabei ohne Vorbedingungen einen Mietvertrag. Dieses Modell soll ihnen den Weg zurück in die Gesellschaft erleichtern und wurde bereits in verschiedenen Ländern erfolgreich erprobt – auch in Deutschland. Allerdings fehlen Wohnungsgeber, die den Raum dafür zur Verfügung stellen.)

Und so bleibt das Recht auf angemessenen Wohnraum, wie es eigentlich im Artikel 11 des UN-Sozialpakts verbrieft ist, weiterhin vielen Menschen auch in Deutschland verwehrt. Michaela Engelmeier, Vorstandsvorsitzende des Sozialverbandes Deutschlands fordert als ersten Schritt von den Ländern, die Mietpreisbremse zu verlängern, die Kappungsgrenzen zu verschärfen und Möblierungszuschläge stärker zu regulieren „Wer weiter untätig bleibt, nimmt in Kauf, dass immer mehr Menschen in finanzielle Not geraten oder sogar Obdachlosigkeit droht.“



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