Patriotische Onanie: ein Jahr Thilos Thesen
Glückwunsch, Thilo! Dein Buch feiert Einjähriges, und es ist immer noch in aller Munde. Respekt vor dieser PR-Leistung. Du bist von Hause aus Ökonom, aber als Marketing-Berater hättest Du es auch weit gebracht. In den letzten Jahrzehnten war in Deutschland kaum einer so kreativ wie Du, wenn es um die Vermarktung des eigenen Buchs ging. […]
Glückwunsch, Thilo!
Dein Buch feiert Einjähriges, und es ist immer noch in aller Munde. Respekt vor dieser PR-Leistung.
Du bist von Hause aus Ökonom, aber als Marketing-Berater hättest Du es auch weit gebracht.
In den letzten Jahrzehnten war in Deutschland kaum einer so kreativ wie Du, wenn es um die Vermarktung des eigenen Buchs ging. Es begann mit strategisch perfekt platzierten Vorabdrucken in zwei deutschen Leitmedien. Dann kam die Buchpräsentation in den Räumen der Bundespressekonferenz. Etliche TV-Talkrunden, Lesungen und Podiumsdiskussionen folgten. Kein Medium, das nicht über Dein Buch, die Thesen und den ganzen gesellschaftlichen Rattenschwanz berichtete, monatelang.
Das Leitmotiv Deiner Selbstinszenierung
Zuletzt Dein Moonwalk durch Kreuzberg. Fast wäre es Dir gelungen, ein zweites Mal das Sommerloch komplett mit Deinem „Anliegen“ und Kalkül auszufüllen. Aus bisher nicht geklärten Gründen war diesmal die mediale Resonanz zeitlich gesehen nicht so nachhaltig. Vielleicht war die Sache in Norwegen der Grund. Ich weiß es nicht. Aber die Chronologie der Ereignisse lässt zumindest diesen Eindruck entstehen.
Wie machst Du das nur, wie funktioniert Deine Marketingstrategie?
Das Leitmotiv Deiner Selbstinszenierung ist die asymmetrische Art der Kommunikation und das bewusste Provozieren scheinbarer Missverständnisse. Du beziehst Dich ausschließlich auf Zahlen, während Deine Rezipienten, Gegner wie Befürworter, sich auf ihr Bauchgefühl verlassen und emotional reagieren.
Es ist legitim, nur mit Zahlen zu hantieren. Allerdings sollte man dann die Arena der gesellschaftspolitischen Diskussion meiden und sich eher in Vorlesungssäle, Gutachterrunden und wissenschaftliche Seminare begeben.
Vor allem aber sollte man ALLE Zahlen mit derselben Vehemenz vortragen.
Interessant in diesem Zusammenhang: Dein kürzlich durchgeführter Kiezlauf durch Kreuzberg führte Dich erst NACH dem Erscheinen Deines Bestsellers in eine der Hochburgen Deines Untersuchungsgegenstands (wenn man das so sagen darf, schließlich reden wir über Menschen) – kein seriöser Umstand für einen Zahlenjongleur, der sich auf sicherem Faktenterrain wähnt und glaubt, wissenschaftlich wasserdicht zu argumentieren.
Du beteuerst in der Öffentlichkeit gelegentlich, dass Du von Minderheiten innerhalb von Minderheiten sprechen würdest, wenn es um Dein Ali- und Fatma-Bashing geht. Dieser Hinweis ist gut und wichtig und könnte viel zur Beruhigung der Diskussion beitragen. Aber leider sagst Du das lediglich einen Satz lang, um anschließend wieder mit einer solchen Insistenz und auf so pauschale Weise über diese Gruppe herzufallen, dass man den Eindruck erhält, Du seiest nicht nur ein Meister der Eigenwerbung, sondern auch einer in massenpsychologischer Hinsicht.
Wenn 35 Prozent der „Türken und Araber“ von Sozialtransfers leben, was ist mit den anderen 65 Prozent? Warum sprichst Du nicht mit derselben Beharrlichkeit über diesen Teil Deiner Statistiken? Weil Differenzieren nicht die Auflage steigert und keine Emotionen bedient!
Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie Du während Deiner Buchpräsentation letztes Jahr davon sprachst, dass an einigen Stellen auch Dein Stammhirn mitgeschrieben habe. Auf genau diesem Niveau kommunizierst Du auch mit dem Publikum, wohl wissend, dass die Menschen „da draußen“ weniger die eigentlichen Zahlen interessieren, als Deine dann schließlich doch pauschal wirkenden Verurteilungen. Du nimmst ganze Bevölkerungsgruppen verbal in „Sippenhaft“.
Man kann sich nicht seine Leser und Befürworter aussuchen.
Eine Binsenweisheit, schon klar. Aber man kann nach wenigen Wochen Debatte und den ersten Veranstaltungen quer durch Deutschland das zustande gekommene Klima wahrnehmen und darauf mäßigend reagieren.
Stattdessen hast Du aber gerne immer wieder Öl ins Feuer Deiner Jünger gegossen. Diese Momente waren zugleich Höhepunkte Deiner Perfidie in Sachen Selbstinszenierung.
Du hast dich als Erbe der Aufklärung feiern lassen, als jemand, der gegen die Missachtung des Rechts auf freie Meinungs- äußerung kämpfen und dem gemeinen Volk eine Stimme verleihen würde. Und Du hast dich als Opfer einer Meinungszensur betrauern lassen.
Hallo?
Dein Buch ist nicht Gottes neueste Offenbarung
Du durftest von Talk zu Talk tingeln, namhafte Medien standen hinter Dir, Dein „Werk“ wurde nicht nur in Buchhandlungen, sondern auch an Kiosken verkauft. Deine Kritiker aber wurden auf öffentlichen Veranstaltungen durch ein aufgebrachtes Publikum mundtot gemacht – vor Deinen Augen. Andere erhielten Drohungen, nachdem sie Deinen Thesen widersprochen haben. Nicht Dein Recht auf freie Meinungsäußerung ist beschnitten worden, sondern das Deiner Gegner.
Jedem, der es wagt, Dir zu widersprechen, wirfst Du vor, er habe Dein Buch nicht gelesen oder es nicht verstanden.
Lieber Thilo, bei allem Respekt für Deine Werbeleistung, Dein Buch ist nicht Gottes neueste Offenbarung. Selbst da wären ja Interpretationen erlaubt, Exegese ist ja keine Blasphemie.
Dein Buch ist das Produkt eines einzelnen Menschen, der eine bestimmte Sicht auf die Dinge hat und mit der anschließenden Kritik umgehen können muss.
Selbst diejenigen, die keine einzige Seite Deines Buches gelesen haben, kannst Du nicht ohne weiteres von der Debatte ausschließen. Denn Du hast Dich ja auch durch etliche Interviews positioniert, was bedeutet, man konnte Deine Sicht auf die ja in der Tat vorhandenen Probleme in unserem Land auch jenseits der Buchlektüre ausreichend mitbekommen.
Interessanterweise wirfst Du den Dir zustimmenden Massen ja auch nicht vor, sie hätten dein Buch nicht gelesen. Mal ganz ehrlich, glaubst Du wirklich, dass jeder deiner Befürworter auch tatsächlich Dein Buch gelesen hat?
Weißt Du Thilo, so unterm Strich bleibt mir eigentlich nur ein möglicher Eindruck übrig: Dir geht es nicht um Deutschland.
Dir ist es ziemlich egal, ob sich dieses Land abschafft oder nicht. Denn wem es tatsächlich um die Zukunft seiner Heimat und um authentischen Patriotismus geht, der ist nicht mit den Sporen des Spaltpilzes unterwegs und treibt keine Keile in die Gesellschaft hinein.
Wem es wirklich um sein Land geht, der benennt nicht in der Tat bestehende Probleme in einer Form, die dazu führt, dass verschiedene gesellschaftliche Gruppen verbal und auch tätlich aufeinander losgehen.
Wesenszüge der Onanie
Du befriedigst ausschließlich Deine Aufmerksamkeits-Libido. Mit vermeintlich patriotischen Thesen hast Du Geld verdienen wollen, das wär’s dann auch schon! Es ging Dir nur um Dich und nicht um Dein Gegenüber – einer der Wesenzüge der Onanie!
Sieh endlich ein, dieses Land befindet sich mitten in einer Umbruchphase.
Dein Buch hat zu keinem einzigen mir bekannten Fortschritt bezüglich der Zukunft Deutschlands geführt. Du hast keine gesellschaftlichen Gruppen zusammen gebracht. Du hast in keiner Form dafür gesorgt, dass alle an einem Strang ziehen, um den nachfolgenden Generationen ein Deutschland zu bieten, das für die Nachfahren aller heute hier lebender Menschen eine Heimat sein kann, mit der sie sich identifizieren.
Du hast eine Gesellschaft, die seit einigen Jahren dabei war, wenn auch zaghaft, Probleme anzusprechen, um Jahrzehnte zurück geworfen. Du hast keine Tabus, sondern Dämme gebrochen – ganz nach dem Motto: Nach mir die Sintflut.
Tu mir einen Gefallen: Zieh Dir beim nächsten Mal doch bitte einfach nur einen Heimatfilm rein!