Die Rückseite des Forderns ist Pflicht
Es war ja so einfach damals für die Schwarz-Kreuzer: „Heul‘ nicht, ich habe Stoiber gewählt.“, stand auf T-Shirts nach der hauchdünn verlorenen Bundestagswahl 2002. Bis heute glaube ich, dass vor allem anbiedernde Jungliberale das T-Shirt gekauft haben. (Dagegen spricht allerdings, dass ich nach der letzten Wahl kein „Heul‘ mit, ich habe Rösler gewählt“, gesehen habe.) […]
Es war ja so einfach damals für die Schwarz-Kreuzer: „Heul‘ nicht, ich habe Stoiber gewählt.“, stand auf T-Shirts nach der hauchdünn verlorenen Bundestagswahl 2002. Bis heute glaube ich, dass vor allem anbiedernde Jungliberale das T-Shirt gekauft haben. (Dagegen spricht allerdings, dass ich nach der letzten Wahl kein „Heul‘ mit, ich habe Rösler gewählt“, gesehen habe.)
Mit der Diskussion um Teilhabe hat das mehr zu tun als man auf den ersten Blick glaubt: Enttäuschte Wähler der Opposition distanzieren sich vom Wahlergebnis und verabschieden sich aus dem halb-aktiven politischen Geschehen – begrenzt nachvollziehbar. Aber die Sieger unter den Wählern machen es genauso.
Etwas mehr als eine Million Deutsche sind Mitglied einer Partei. Das ist eine im internationalen Vergleich immer noch recht stattliche Zahl. Zumal wir alle den Spruch kennen, dass sich Menschen erst dann politisch engagieren, wenn es einem Land richtig schlecht geht.
Aber dass politische Teilhabe im Grundgesetz mit so viel Liebe, Sorgfalt und Vorsicht geregelt worden ist, hat noch einen weiteren Grund: Der Souverän sind wir alle – und wenn sich mehr als 90 Prozent seiner Körperteile aufs Sofa zurückziehen, wird daraus eine sehr träge Angelegenheit.
„Demokratie ist eine Gemeinschaft, die ihre Zukunft miteinander gestaltet.“, schrieb Heribert Prantl in seinem Manifest „Wir sind viele“ (Edition der Süddeutschen Zeitung). Die Rolle des Sozialstaates sah Prantl darin, die Menschen in die Lage zu versetzen, Bürger zu sein:
„Der kluge Sozialstaat investiert ins Soziale, zum Beispiel in die Bildung der Kinder der neuen Unterschichten; er verwandelt die Schwächen der Generation Migration in Stärken, er fördert die sprachlichen Kompetenzen und den interkulturellen Reichtum dieser Generation.“
Das ist alles richtig und darüber müssen wir – gerade an dieser Stelle – nicht mehr diskutieren.
Für mich griff Prantl in seiner Verve aber zu kurz: Ja, der Staat steht in der Bringschuld und muss für eine Infrastruktur der Demokratie sorgen. Da gilt es einiges aufzuholen [PDF-Download, S. 96ff.].
Aber das bringt nichts, so lange nicht auch die Rückseite betrachtet wird: auch der Wähler verpflichtet sich zur Teilhabe. Wenn wir nicht akzeptieren, dass das Konstrukt „Bundesrepublik Deutschland“ ein Baukasten ist, werden die nächsten Jahre mächtig unangenehm.
Heinz Buschkowsky, streitbarer Bürgermeister von Neukölln, erzählte mir einmal vom Brief einer aufgeregten Bürgerin. Sie sei im Besitz eines besonders großen Hundes – ich habe die Rasse vergessen, nehmen wir einfach an, es sei ein Bernhardiner gewesen. Für diesen Riesenköter, so die Dame („Riesenköter“ hatte sie nicht geschrieben) seien nun die wenigen und zudem ungepflegten Grünflächen des Bezirks Neukölln beim Gassigehen lächerlich zu klein. Will heißen: ihr Bubu (oder wie auch immer das Tier heißen mag) mache zu viel Kacka für das bisschen Natur. Die Bürgerin hatte daher eine Bitte: Sorgen sie dafür, dass mein Hund adäquate Auslaufflächen vorfindet.
Buschkowsky hat sich vermutlich sehr gefreut über diese Vorlage. Vielleicht hatte er auch einen schlechten Tag, weil er jemandem von der CDU begegnet war. Jedenfalls beschied er der Dame: „Ich bin froh, dass Sie kein Pferd haben.“
Gut, solche Sätze funktionieren wohl nur in Berlin und auch dort eher in Neukölln als in Zehlendorf. Aber wer sich hiervon provoziert fühlt, sollte den Sinngehalt noch einmal überprüfen. Manchmal ist das Ganze schlicht die Summe seiner Teile. Und wer haben will, muss auch teilen können.
Der Alte schrieb: „Die Gleichgültigkeit so vieler Menschen beruht auf ihrem Mangel an Phantasie.“
Wohlan: Es ist IHR Staat. Lassen Sie sich was einfallen.
Artikelbild: Ed Yourdon / fotopedia.com
Danke für den Blog, der mir aus dem Herzen spricht! Oft nerven mich pauschale Sprüche wie bespielsweise „Durch das Primat der Ökonomie geht unsere Demokratie zugrunde“. Demokratie ist doch ein gelebter Prozess und lebt doch von jedem Einzelnen. Manchmal denke ich: können wir nicht oder wollen wir nicht? Ein gutes Beispiel über Engagement des Einzelnen zu diskutieren ist meiner Meinung nach der Volksentscheid zur Stromversorgung in Berlin dieses Wochenende. Er scheiterte, da 29000 Stimmen zu wenig waren. Was sagt uns das? Haben die Berliner den Inhalt des Entscheids nicht mittragen wollen oder waren sie nur „zu träge“ zu den Wahlurnen zu gehen? Was meint ihr?
@Annar: (Direkte) Demokratie und Teilhabe ist schön, leider aber eben anstrengend. Die Menschen wollen in unserer komplexen Welt aber eher weniger als mehr Anstrengung, mehr Aufwand, mehr Engagement. Und wo kein Leidensdruck, da keine Bewegung. That’s it.
Das klingt doch jetzt schon ganz schön desilussioniert, DES_IllUSIO. Warum denkst du so? Hast du negative Erfahrungen bei einem Verein gemacht, dass du da so pessisimistisch bist?
Auf der anderen Seite: ich kann deine Meinung schon ganz gut nachvollziehen: ich denke, wenn man eine große Masse zum „Irgendswas-tun“ bewegen will, dann wird man scheitern. Es geht um die Projekte genau vor unserer Tür, wo wir Leute zum Engagement motivieren können. Ich persönlich hab da gute Erfahrungen gemacht – habe vor einigen Jahren Projekte für Asylbewerber initiiert und die Leute haben mitgemacht, weil sie und unseren Verein kannten und Vertrauen entwickelt haben, dass wenn man bei uns mitmacht, sich auch etwas bewegen kann.
Das Beispiel des Berliner Energietisches, hat, wie du selbst sagst, doch gezeigt, wie wenig Elan bei vielen Bürgern vorherrscht. Solange kein Leidensdruck da ist (Vattenfall tut eben nicht weh), sieht der Großteil keinen Beweggrund, am So. seinen Hintern ins Wahllokal zu bewegen. Teilhabe, soziale Energie etc. bleiben eben abstrakte Themen, zu denen nicht jeder so leicht einen persönlichen Bezug findet. Die Abstimmung betraf eben kein Projekt „vor der Tür“.
Ich habe den Eindruck, dass es einen Trend zu Bürgerbewegungen gibt, und das ist grundsätzlich begrüßenswert. Die Menschen engagieren sich vielleicht weniger in Parteien und Organisationen, sondern vielmehr für oder gegen ganz konkrete Projekte, die sie unmittelbar betreffen, z.B. für oder gegen Baumaßnahmen vor ihrer Haustür, in ihrem Kiez. Gerade in den großen Städten ist dieser Trend, dass die Menschen sich einmischen und etwas bewegen wollen, spürbar. Andererseits sehe ich diesen Trend auch mit gemischten Gefühlen, weil eine Vielzahl dieser Bürgerbewegungen im Kern konservativ sind, und das meine ich nicht in einem grundsätzlich politischen Sinn. Es ist erstaunlich, wie viel Energie Bürger gerade in urbanen Räumen aufbringen, Baumaßnahmen abzulehnen, städtebauliche Veränderungen verhindern zu wollen. Diese Projekte, gegen die sich Bürgerinnen und Bürger auflehnen, mögen im Einzelnen diese kollektive Kritik verdienen, da sie leider nicht in jedem Fall durchdacht sind oder für die Bedürfnisse der Menschen gemacht zu sein scheinen, aber grundsätzlich richten sich viele der Bürgerbewegungen gegen Veränderungen und für die Bewahrung des Vorhandenen. Dabei fragen die sich engagierenden Bürgerinnen und Bürger nicht, ob die Brücke, die Straße, der Bahnhof oder die neue U-Bahnlinie ihren Kindern und Enkeln nützt, sondern sie handeln und protestieren allein aus dem Interesse heraus, dass sich für sie selbst nichts ändert und alles so bleibt, wie es ist. Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass Merkel mit einem solch starken Votum aus der Wahl gegangen ist.
Im Übrigen gibt es wohl kaum eine andere deutsche Stadt, die so viele Grünflächen für „Riesenköter“ anbietet. Ich verstehe die Klage der alten Dame überhaupt nicht.
Auch beim Thema Partizipation geht die gesellschaftliche Schere immer weiter auseinander: Diejenigen, die sich – in welcher Form auch immer – engagieren, sind hauptsächlich Personen mit hohem Bildungsgrad und vergleichsweise hohem Einkommen.