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ContraManipulativ und mangelhaft

Von Hans Komorowski / 10. April 2014
picture-alliance / dieKLEINERT.de / Martin Guhl | Martin Guhl

Im Wahlkampf liefern Meinungsforschungsinstitute Umfrageergebnisse im Akkord. Die Stimmenspielereien lenken vom Wesentlichen ab: dem politischen Inhalt. von Isabell Stettin Kaffeesatzleserei, Hokuspokus, Manipulation, gar eine Gefahr für die Demokratie: Seit ihrem Durchbruch Anfang der 1950er Jahre steht die Demoskopie in Deutschland in der Kritik. „Wenn man die Ergebnisse der Meinungsumfragen nebeneinander stellt, muß man entweder den […]

Im Wahlkampf liefern Meinungsforschungsinstitute Umfrageergebnisse im Akkord. Die Stimmenspielereien lenken vom Wesentlichen ab: dem politischen Inhalt.

von Isabell Stettin

Kaffeesatzleserei, Hokuspokus, Manipulation, gar eine Gefahr für die Demokratie: Seit ihrem Durchbruch Anfang der 1950er Jahre steht die Demoskopie in Deutschland in der Kritik. „Wenn man die Ergebnisse der Meinungsumfragen nebeneinander stellt, muß man entweder den Glauben an diese Methode oder den Verstand verlieren“, sagt Franz Josef Strauß bereits 1969 in einem Interview mit der Zeit. In Deutschland herrscht eine Demoskopiedemokratie, in der es darum geht, das Mandat für die nächste Legislaturperiode zu sichern, in der die Gunst der Wähler zählt, die bloße Stimme.

Oft liegen die Meinungsforschungsinstitute falsch: Die Umfrageergebnisse im Vorfeld der Bundestagswahlen 2002 und 2005 wichen um bis zu sechs Prozentpunkte von den tatsächlichen Ergebnissen ab. Der Philosoph Peter Sloterdijk forderte in der anschließenden Debatte ein Gesetz zur Eindämmung der Meinungsforschung, da die Gefahr einer „außerparlamentarischen Herrschaftsinstanz“, einer „unlegitimierten Meinungsdiktatur“ bestehe. Verringert hat sich der Hunger nach Zahlen und vielversprechenden Prognosen trotzdem nicht.

Statistisch ungenau

Besonders die Medien lechzen nach den Ergebnissen. Dabei können Demoskopen nicht mehr als eine kurze Momentaufnahme in der Bevölkerung, eine Stimmungstendenz, abbilden. Doch bis auf die Nachkommastelle „genaue“ Zahlen erwecken den Eindruck treffender Prognosen. „Dies täuscht eine Präzision vor, die schon aufgrund der Stichproben- und Gewichtungsverfahren niemals erreicht werden kann. Allein aufgrund der statistischen Fehlerspanne wäre es korrekt, statt einer Art Mittelwert jeweils Ergebnisspannen von XX bis XX Prozent bekannt zu geben“, sagt der Politikwissenschaftler und Historiker Alexander Gallus von der TU Chemnitz. „Allerdings würde dies den Nachrichtenwert und damit auch den Marktwert bei den Medien schmälern.“ Und genau darin liegt eines der Hauptprobleme. Im Wahlkampf fixieren sich Parteien und Medien allzu oft auf Zahlenspielereien.

Taktische Wahlentscheidungen

Oftmals manipulieren die Statistiken die Wähler. Wird einer Partei ein klarer Wahlsieg vorausgesagt, wählen viele unentschlossene Wähler gerade diese Partei, vermutlich, weil sie zu den Gewinnern zählen wollen. Das nennen die Wahlforscher dann Bandwaggon- oder Mitläufereffekt. Andere glauben, dass unentschlossene Wähler aus Mitleid den schlecht abschneidenden Parteien ihre Stimme geben – der Underdog-Effekt. In jedem Fall wirken die Umfrageergebnisse verzerrend.

Allgemein sinkt seit Jahren der Anteil an Stammwählern, die Zahl der treuen Anhänger der Volksparteien. Die Identifikation mit einer Partei nimmt ab und die Gruppe der Unentschlossenen zu. Ein demoskopischer Trend ist für Unentschiedene darum durchaus ein Einflussfakor – und gerade für taktische Wähler entscheidend. „In der kleinen Gruppe rationaler Wähler werden entsprechende Daten stärker genutzt und bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt“, sagt Alexander Gallus. „So wollen sie ihrer Wahlstimme zu besonders großer Wirkung verhelfen.“ Außerdem wählen viele Wähler nur dann die von ihnen tatsächlich präferierte Partei, wenn Prognosen darauf hindeuten, dass diese die Fünf-Prozent-Hürde knacken wird.

„In der Diskussion um den Einfluss von Umfragen wird manchmal vergessen, dass sie selbst Verhaltensänderungen auslösen können, weil Menschen genau diese Umfragen in ihr Kalkül einbeziehen“, sagt Thorsten Faas, Professor im Bereich Empirische Politikforschung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. „Damit können Umfragen sich selbst ad absurdum führen. Das gilt umso mehr, je näher eine Umfrage am Wahltag liegt.“ Gerade solche vermeintlich sicheren Umfragen kurz vor der Wahl könnten heftige Verhaltensänderungen auslösen, meint Faas. „So ist es in Niedersachsen geschiehen, so ist es vielleicht auch bei der Bundestagswahl passiert. Einmal hat es der FDP erheblich genützt, einmal massiv geschadet.“ Im Endeffekt ist noch nicht einmal sicher, ob die Befragten überhaupt ihre wahre Präferenz in den Umfragen offenlegen.

In Frankreich, Ungarn und Spanien dürfen kurz vor der Wahl keine Umfrageergebnisse mehr veröffentlicht werden. So sollen Manipulationen vermieden werden. Diese Maßnahme hält Alexander Gallus für fragwürdig. „Es ist nicht gesagt, dass dann die Manipulationsmöglichkeiten sinken, denn Politiker, Parteien und deren Berater würden vermutlich in jedem Fall noch solche Informationen bekommen“, sagt Gallus. Eine echte Kontrolle sei nur durch die Konkurrenz der Erhebungsinstitute untereinander zu erreichen. Auf der Seite der Meinungsforschungsinstitute gibt es zwar gemeinsame Qualitätskriterien, die sich nicht nur auf methodische Anforderungen bei der Erstellung von Umfragen, sondern auch auf den öffentlichen Umgang mit ihnen beziehen. Dennoch ist das Verfahren nicht transparent genug.

Glaubwürdig: sich selbst informieren

Nicht nur Medien und Wähler stützen sich gerne auf wie auch immer erhobene Wahlprognosen. Vor allem Politiker klammern sich an die nackten Zahlen. Oft konzentrieren sich Parteien mehr auf Umfragewerte als auf ihr Programm und politische Inhalte. Das fördert schlimmstenfalls die Politikverdrossenheit, wenn Wähler denn Eindruck bekommen, nur der Fang nach Stimmen zählt.

Doch sowohl Politiker als auch Wähler müssen sich unabhängig von den Zahlen machen, um glaubwürdig zu sein. Entscheidungen müssen beide gleichermaßen nach inhaltlichen Kriterien ausrichten. Politiker brauchen ein scharfes Profil. Der Wähler muss wissen, wofür eine Partei steht. Kein Wahlberechtigter kommt darum daran vorbei, sich eigenständig und umfassend zu informieren. Wöchentlich aufflackernde Meinungsbilder der Demoskopen sind vor der Stimmabgabe dann eine Zahl – nicht mehr und nicht weniger.



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