Auf dem Weg zur gemeinsamen Erinnerung
25 Jahre ist es nun her, dass aus BRD und DDR die wiedervereinte Bundesrepublik Deutschland wurde. Was ist noch von dieser Erfahrung übrig? von Carl Melchers In der Erinnerungskultur rund um den Zusammenschluss von BRD und DDR prägen die Begriffe Wiedervereinigung und Wende maßgeblich jene politischen Ereignisse, die dazu führten, dass in den Jahren 1989 […]
25 Jahre ist es nun her, dass aus BRD und DDR die wiedervereinte Bundesrepublik Deutschland wurde. Was ist noch von dieser Erfahrung übrig?
von Carl Melchers
In der Erinnerungskultur rund um den Zusammenschluss von BRD und DDR prägen die Begriffe Wiedervereinigung und Wende maßgeblich jene politischen Ereignisse, die dazu führten, dass in den Jahren 1989 und 1990 aus zwei deutschen Staaten ein einziger wurde.
Umstrittener Begriff der Wiedervereinigung
Der Begriff der Wiedervereinigung entspringt der Vorstellung, dass die Nachkriegsordnung zwei deutsche Teilstaaten geschaffen hat, die nur ein Provisorium darstellten. Mit der Vereinigung von BRD und DDR kam demnach wieder zusammen, was schon einmal zusammengehört hat. Allerdings gab es bereits seit Mitte der 1960er Jahre Kritik an dem Begriff der Wiedervereinigung, da er mit der Rückkehr zum Deutschen Reich unter Bismarck assoziiert wurde.
Sorgen vor erneuten deutschen Hegemoniebestrebungen wie auch in der NS-Zeit teilte neben linken Intellektuellen und Politikern auch die politische Klasse in den Vereinigten Staaten, Frankreich und Großbritannien. Erinnerungskultur bezüglich des Holocausts ist deshalb auch mit der Erinnerungskultur zur Teilung und Wiedervereinigung Deutschlands verbunden.
Experiment Deutschland
Die Wiedervereinigung ist ein Experiment der Angleichung von den Lebensbedingungen zweier Bevölkerungen, die in den vier Jahrzehnten der Trennung ganz unterschiedlichen Systemen ausgesetzt waren. Der von Helmut Kohl geprägte Wunsch nach „blühenden Landschaften“, die in der ehemaligen DDR entstehen sollten, hat sich nicht realisiert. In einer Fernsehansprache am 1. Juli 1990 hatte Kohl gesagt, es solle sich in der ehemaligen DDR „lohnen zu leben und zu arbeiten“, das sei das Ziel einer bevorstehenden „gemeinsamen Anstrengung“.
Leerer Osten
Kaum ein zeitgenössisches Kulturprodukt beschreibt den Unterschied zwischen dem damals formulierten Ziel und der heutigen sozialen Wirklichkeit besser als Reinald Grebes „Brandenburg-Lied“. Liedtexte wie „Es ist nicht alles Chanel, es ist eher Schlecker – kein Wunder, dass so viele hier weggehen“ und „Ich fühl mich so leer, ich fühl mich Brandenburg“ verdeutlichen: Die neuen Bundesländer sind, abgesehen von den sogenannten Leuchttürmen wie Dresden und Leipzig, geprägt von Strukturschwäche und Landflucht der örtlichen Jugend, die es angesichts einer ungebrochen hohen Arbeitslosigkeit und einem geringerem Lohnniveau in den Westen zieht. Im April 2014 lag die Arbeitslosenquote in den ostdeutschen Bundesländern mit rund zehn Prozent etwa vier Prozentpunkte höher als im Westen.
Für Ostdeutsche mehr Wende als Wiedervereinigung
In diesem Zusammenhang ist es auffällig, wie viel gebräuchlicher es im Osten ist, statt von der Wiedervereinigung von der „Wende“ zu sprechen. Am Begriff der Wende zeigen sich fortbestehende Unterschiede zwischen Ost und West. Für Ostdeutsche jenseits der Dreißig ist der Fall der Mauer ein einschneidendes Erlebnis – das dürfte bei den wenigsten Westdeutschen der Fall sein.
Für Westdeutsche war die Wende oft nicht mehr als die Ausdehnung ihrer Lebensweise auf ein größeres Territorium und eine größere Reisefreiheit nach Osten hin. Dementsprechend war und ist das Interesse am Transformationsprozess nicht allzu hoch. Für Ostdeutsche jedoch war die Wende eine tatsächliche: ein völliges Umkrempeln aller Gewohnheiten, manchmal sogar der massive Verlust sozialer Sicherheit.
Diese völlig unterschiedlichen Wahrnehmungen des gleichen Ereignisses stellen die Erinnerungskultur vor eine große Herausforderung. Wie sollen der Einzelne und die Gesellschaft mit der Vergangenheit umgehen? Wie soll die Erfahrung des geteilten Deutschland aufgearbeitet werden – wenn überhaupt?
Welche Erfahrungen Ost- und Westdeutsche politisch und persönlich aus der jüngsten deutschen Geschichte mitgenommen haben, wieviel Bedeutung jene geteilten Geschichten und unterschiedlichen sozialen Realitäten in Ost und West noch haben, und ob wir uns bereits einer gemeinsamen Geschichte nähern, wird auch und gerade mit zunehmendem zeitlichen Abstand zur Wende diskutiert.
Die vom Forum Berlin der Friedrich-Ebert-Stiftung veranstaltete Podiumsdiskussion „Vorwärts, und nicht vergessen? 25 Jahre nach der Wiedervereinigung“ am 23. Mai 2014 in Berlin leistet einen Beitrag dazu. Natürlich werden wir diese Veranstaltung hier auf www.sagwas.net per Livestream übertragen.