Erasmus in Manchester: Bohnen zum Frühstück
Nach einigen Wochen als Erasmus-Studentin in Manchester weiß ich: In England regnet es gar nicht die ganze Zeit und ungetoastetes Toast ist gar nicht so übel. Ein Erasmus-Semester bildet nicht nur akademisch, sondern baut auch Vorurteile und Unwissen ab. Wer ein Semester im Ausland studieren will, muss vor allem gut planen. Zwischen dem Tag meiner […]
Nach einigen Wochen als Erasmus-Studentin in Manchester weiß ich: In England regnet es gar nicht die ganze Zeit und ungetoastetes Toast ist gar nicht so übel. Ein Erasmus-Semester bildet nicht nur akademisch, sondern baut auch Vorurteile und Unwissen ab.
Wer ein Semester im Ausland studieren will, muss vor allem gut planen. Zwischen dem Tag meiner Entscheidung, mit der Erasmus-Förderung nach England zu gehen, und dem ersten Unitag in Manchester vergeht mehr als ein Jahr. Ich muss ein Motivationsschreiben, einen Lebenslauf, Notennachweise, die mögliche Kursauswahl an der Partneruniversität und andere Dokumente einreichen. Wer sich nicht an die Fristen hält, fliegt raus.
Als ich im September in Manchester ankomme, ist es warm und die Sonne scheint – untypisch, eigentlich soll es hier doch immer regnen, denke ich. Ich verpasse meine Haltestelle, da die Haltestellen weder durchgesagt noch angezeigt werden. Vor einem afghanischen Restaurant rangeln zwei Jungen in Schuluniform.
Das ist dann wohl Manchester, die drittgrößte Stadt Englands, die Stadt der Musik und des Kosmopolitismus. Marx und Engels schrieben hier in Chetham’s Library das Kommunistische Manifest. Doch das ist nicht das Einzige, das ich hier lerne. Manchester ist für einige Monate meine Wahlheimat – dank des Erasmus-Programms der EU, das es seit 1987 gibt.
Der Name Erasmus entstand aus den Anfangsbuchstaben von European Community Action Scheme for the Mobility of University Students. Namenspatron ist der in den Niederlanden geborene Denker und Humanist Erasmus von Rotterdam.
Vorbild Erasmus von Rotterdam
Durch sein Leben in verschiedenen Städten und Ländern steht er bis heute für einen der mobilsten Menschen des ausgehenden Mittelalters. „Ich habe immer eine Art stoischer Gesinnung gehabt, nämlich keiner Gegend mehr zugeneigt zu sein als einer anderen, ich habe vielmehr die ganze Welt als mein Vaterland betrachtet“, schrieb der Kosmopolit 1527 in einem Brief.
Auf seinen Spuren sollen europäische Studenten wandeln – und durch Auslandsaufenthalte ihr Wissen erweitern und Vorurteile abbauen. Im Wintersemester 2013/2014 gingen rund 270.000 Studierende mit dem Erasmus-Stipendium zum Studieren ins Ausland. Dabei handelt es sich um einen Austausch – die Zahl derer, die an die Partneruniversität gehen ist in der Regel gleich der, die an die eigene Universität kommen.
„Es gibt da genaue Regeln“, sagt Wiebke Brockhaus-Grand, langjährige Erasmus-Koordinatorin des Fachbereiches Germanistik an der Universität Manchester. „Dieses Jahr sind drei Studierende der Universität Hamburg im Bereich Germanistik nach Manchester gekommen und drei Engländer nach Hamburg gegangen.“
Die Bewerberzahl sei stark abhängig von der Koordination an der jeweiligen Universität. „Wir hatten eine Zeit lang fast keine Bewerber von einer Berliner Universität, weil sich dort niemand wirklich gekümmert hat“, berichtet Brockhaus-Grand.
Clara Stetin, die an der Universität Kiel Geschichte studiert, hätte auch gerne im Ausland studiert, wusste aber nicht, wie sie das verwirklichen sollte. „Natürlich weiß ich, dass so etwas wie Erasmus existiert, aber die Uni sollte sich mehr darum kümmern, dass wir genau informiert werden“, sagt Clara. „Jetzt bin ich im fünften Semester. Da ist es schon zu spät, noch ein Semester in Ausland zu gehen.“
Nachdem ich mich umfassend informiert hatte, bin ich nun in Manchester gelandet. Das neue Semester beginnt mit der sogenannten Freshers Week. Eine Woche lang werden alle neuen Studierenden willkommen geheißen. Es gibt Gratis-Pizza und Softeis, Gutscheine und Rabatthefte für alles Erdenkliche. Jeden Abend finden Partys statt.
Nicht nur feiern
Wer jedoch denkt, im Erasmus-Semester wird nur gefeiert, der irrt. Zumindest ich feiere nicht mehr als in Hamburg. Da die Seminare auf Englisch sind, muss ich mich intensiver vorbereiten als in Deutschland. Außerdem werden Hausarbeiten während des Semesters geschrieben, Gruppenpräsentationen schon in der zweiten Semesterwoche gehalten und die Mitarbeit im Seminar benotet.
Auch die Endergebnisse lassen nicht auf feierwütige Studierende schließen. „Von unseren Erasmus-Studierenden aus Deutschland ist fast keiner durchgefallen. Eigentlich arbeiten unsere Studenten alle hart“, sagt Brockhaus-Grand.
Dabei ist es gar nicht so einfach, Kurse an der Gastuniversität zu belegen, die man sich auch in Deutschland anrechnen lassen kann. Für manche Kurse müssen Vorseminare belegt werden, außerdem sind Kurse nie deckungsgleich.
Absprachen mit den Dozenten sind deshalb essenziell. „Ich konnte mir die ganzen Kurse, die ich in Frankreich belegt habe, nur im Wahlbereich anrechnen lassen“, sagt die 28-jährige Gloria Frank, die an der Universität Hamburg studiert. „Vor dem Auslandssemester hatte ich keine Zeit, meine Professoren zu fragen, wie ich was anrechnen lassen kann. Auf meine Emails aus Frankreich haben sie nicht geantwortet.“
Diese Erfahrung bestätigt der Spanier Luca Carbonell, der Erasmus in Manchester gemacht hat. „Die Abläufe und die Kommunikation während des Auslandssemesters waren mäßig“, sagt er. „Aber so habe ich gelernt, hartnäckig zu bleiben.“ Nach dem Auslandsjahr erhofft er sich bessere Chancen auf einen Job in England.
Bessere Chancen im Ausland
Laut einer EU-Studie wollen mehr als 85 Prozent der Studierenden durch Erasmus ihre Einstellungschance im Ausland verbessern. Fast die Hälfte aller ehemaligen Erasmus-Studierenden zog tatsächlich nach Studienabschluss in ein anderes Land. Von denen, die nicht im Ausland studiert haben, arbeitete ein Drittel im Ausland.
Erasmus bietet nicht nur die Plattform für den Austausch, sondern versorgt seine Stipendiaten mit einem Taschengeld, das etwa bei 200 Euro monatlich liegt. Außerdem müssen Studierende keine Semestergebühren entrichten. In England zahlen reguläre Bachelorstudierende 2014 bis zu 11.000 Euro. „Ich muss wirklich einen guten Abschluss machen“, sagt die englische Studentin Laura. „Allein schon, weil mein Studium so teuer ist.“
Dass die Universität in Manchester mehr Geld zu haben scheint als die in Hamburg, fällt mir sofort auf. Der Rasen ist perfekt gestutzt, die Bibliothek hat sieben Tage die Woche rund um die Uhr geöffnet, auf dem Campus gibt es hunderte Kameras und viel Sicherheitspersonal. Als Erasmus-Studentin habe ich nun das Glück, hier zu studieren. In der ersten Uniwoche warten hunderte von Studierenden der Universität Manchester darauf, unbeholfenen Neulingen zu helfen – „Ask Me“ steht auf ihren Pullovern. Auch ich darf so viel fragen, wie ich will.
An ungetoastetes Toastbrot und Bohnen zum Frühstück habe ich mich schon gewöhnt, meine Englischkenntnisse und mein Akzent sind auch bereits besser. Außerdem habe ich gelernt, mit der britischen Freundlichkeit umzugehen.
Diese neuen Erfahrungen und das Kennenlernen von jungen Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt haben mein Auslandssemester schon nach ein paar Wochen zu einer wertvollen Zeit gemacht. Ich weiß jetzt schon, dass ich einen Teil meines Masters im Ausland verbringen möchte.