Korsika: Mafia-Krieg statt Unabhängigkeitskampf
Die Unabhängigkeitsbewegung auf Korsika ist nur noch ein Schatten ihrer selbst: Tief gespalten und in einen Mafia-Krieg verstrickt, gab sie dieses Jahr den bewaffneten Kampf auf. Der Großteil der Korsen will ohnehin keine Autonomie mehr. „Mann in seinem Auto ermordet“, „Mann erschossen, während er seinen Rasen mähte“: Diese und ähnliche Schlagzeilen sind in den vergangenen […]
Die Unabhängigkeitsbewegung auf Korsika ist nur noch ein Schatten ihrer selbst: Tief gespalten und in einen Mafia-Krieg verstrickt, gab sie dieses Jahr den bewaffneten Kampf auf. Der Großteil der Korsen will ohnehin keine Autonomie mehr.
„Mann in seinem Auto ermordet“, „Mann erschossen, während er seinen Rasen mähte“: Diese und ähnliche Schlagzeilen sind in den vergangenen Jahren oft auf Korsika erschienen. Zuletzt hieß es Anfang November: „Jogger mit Schrotflinte umgebracht“. Die Opfer waren alle vorbestraft und im korsisch-nationalistischen Milieu verwurzelt.
„Règlement de compte“, Abrechnung, werden diese Attentate in den Zeitungsberichten genannt. Sie zeigen: Aus dem ehemaligen Kampf um die Unabhängigkeit von Frankreich ist längst ein Mafia-Krieg geworden.
„Die meiste Gewalt, von der man heute in den Zeitungen liest, hat nichts mit dem Unabhängigkeitskampf zu tun, sondern mit der Rivalität zwischen Clans auf der Insel“, sagt Douglas Yates, Politikwissenschaftler an der Amerikanischen Universität in Paris. Viele dieser Morde werden nicht aufgeklärt. Sie schwächen die Unabhängigkeitsbewegung, die ohnehin gespalten und mittlerweile fast bedeutungslos ist.
Zunächst sahen sich Korsen als Franzosen
Dass es überhaupt zu einem Unabhängigkeitskampf der Korsen kommen würde, war vor 70 Jahren nicht zu erwarten, sagt John Loughlin, Professor für Europäische Politik und Regionalismusexperte an der Cambridge-Universität. „Die Korsen sahen sich selbst als Franzosen und waren sehr stolz auf dieses kulturelle Erbe.“
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg hätten sich viele enttäuscht vom französischen Staat abgewendet. „Die Bevölkerung hatte erwartet, dass die Regierung ihre zerstörte Insel wirtschaftlich aufbauen würde und war enttäuscht, als das nicht geschah“, so Loughlin.
Hinzu kam, dass Präsident Charles de Gaulle nach der Unabhängigkeit Algeriens von Frankreich im Jahr 1962 flüchtende Algerienfranzosen auf Korsika ansiedelte – auf Land, das eigentlich für die korsische Landwirtschaft vorgesehen war. „Das war für einige der Anlass, in den Widerstand zu gehen gegen den französischen Staat und die herrschenden Familien auf Korsika, die als sein verlängerter Arm betrachtet wurden“, sagt Loughlin.
Erste Gewalt
Es bildeten sich erste regionalistische Bewegungen wie die Front Régionaliste Corse (FRC) und die Action pour la Renaissance de la Corse (ARC), die von Frankreich eine größere Selbstbestimmung forderten. Zunächst verfolgten sie dieses Ziel friedlich, doch schon bald spitzte sich die Lage zu. Im Jahr 1975 besetzten bewaffnete Anhänger der ARC in der Hafenstadt Aléria den Weinkeller eines Algerienfranzosen, der zuvor der Weinpanscherei beschuldigt worden war. Als der Keller schließlich von der Polizei gestürmt wurde, starben zwei Polizisten.
Die ARC wurde daraufhin verboten. Wenige Monate später gründete sich die Front de libération nationale de la Corse (FLNC), eine Gruppe von Untergrundkämpfern, die die Unabhängigkeit Korsikas fordert. Sie bildet die Kerngruppe der korsischen Nationalisten. In den vergangenen Jahrzehnten verübte sie mehrere Bombenanschläge auf der Insel. Vor allem die Zweitwohnsitze reicher Franzosen und Polizeigebäude wurden immer wieder von den Separatisten angegriffen.
Die französische Regierung reagierte mit aller Härte auf die Anschläge, schickte Polizeikräfte und die Fremdenlegion auf die Insel. Erst in den 1980er Jahren kam es durch die Reformen François Mitterands zu einem Entgegenkommen. Der französische Präsident schuf für die französischen Regionen, auch für Korsika, eigene gewählte Versammlungen und räumte ihnen lokale Kompetenzen im Wirtschafts-, Schul- und Transportwesen ein.
Die Spaltung der Unabhängigkeitsbewegung
Diese neuen Regelungen führten zur Spaltung der korsischen Nationalisten. Während ein Flügel den politischen Weg über die korsische Regionalversammlung wählte, radikalisierte sich der militärische Flügel der Bewegung immer weiter und ließ sich mit den Mafia-Clans der Insel ein.
„Wer im Untergrund arbeitet, kommt zwangsläufig auch mit solchen Kreisen in Kontakt“, sagt Christian Lammert, Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Schließlich habe sich die Unabhängigkeitsbewegung irgendwie finanzieren müssen. „Das gelang zunächst durch Banküberfälle auf dem französischen Festland, später auch immer mehr durch Verbrechen auf der Insel selbst.“
1998 schließlich wurde Claude Érignac, der Präfekt der Insel, von einem Nationalisten erschossen. Das Attentat löste auf Korsika eine Welle der Anteilnahme aus. Zehntausende Korsen gingen auf die Straße, um gegen die Separatisten zu demonstrieren.
Die Korsen wollen keine Autonomie mehr
Denn im Gegensatz zu den Separatisten träumen die meisten Korsen längst nicht mehr von der Autonomie. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2008 sind rund 90 Prozent der Korsen gegen die Unabhängigkeit der Insel. Fünf Jahre zuvor scheiterte sogar ein Referendum, das die Kompetenzen der Korsischen Regionalversammlung ausgeweitet hätte.
„Die regionalen Parteien Korsikas haben in den vergangenen Jahren viel erreicht, von der Anerkennung der eigenen Sprache bis zur Besetzung wichtiger Posten mit Korsen“, sagt Politikprofessor Lammert. „Diejenigen, die eine Unabhängigkeit Korsikas fordern, geraten in eine Legitimationskrise.“
Für die meisten Korsen steht statt mehr Selbstverwaltung erstmal der wirtschaftliche Aufbau der Insel auf dem Programm. Und der funktioniert nur in Zusammenarbeit mit dem französischen Staat, sagt John Loughlin. „Vor allem die Infrastruktur und der Qualitätstourismus müssen ausgebaut werden. Dabei ist man auf Mittel aus Frankreich und der EU angewiesen.“
Den Unabhängigkeitskämpfern auf Korsika fehlt eine echte Perspektive. Im Juni dieses Jahres legte die FLNC endgültig ihre Waffen nieder und kündigte an, ihre Ziele fortan politisch zu verfolgen. „Vielleicht werden wir noch einzelne Fälle von Gewalt sehen, aber keinen bewaffneten Konflikt mehr“, sagt der amerikanische Politikprofessor Douglas Yates. „Diese Tage sind vorbei.“ Der Mafia-Krieg jedoch ist es noch lange nicht.