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Mehr als ein kurzer Protest

Von Sophie Hubbe / 26. März 2015
picture alliance / Bildagentur-online | Bildagentur-online

Das demokratische System in Deutschland ist stabil. Dennoch wird es immer wieder von rechtspopulistischen Stimmen auf Bewährungsproben gestellt.

Seit Oktober 2014 stehen die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (PEGIDA) auf der Agenda der öffentlichen Diskussion. Zunächst in Dresden, dann auch in vielen anderen Städten trafen sich Anhänger der Bewegung, um gegen die aus ihrer Sicht zu großzügige Einwanderungs- und Asylpolitik Deutschlands und Europas zu demonstrieren. Die Endung -GIDA wurde schnell zum Erkennungszeichen für regionale Ableger der Bewegung.

Politischer Mainstream reicht nicht mehr aus

Ob sich die Bewegung lange halten können wird, ist fraglich. Oft entstehen und verschwinden Bewegungen und sogar Parteien innerhalb kurzer Zeit von der Bildoberfläche. Vor nicht einmal zehn Jahren sprach jeder über die Piraten-Partei. Begriffe wie Transparenz und Urheberrecht wurden viel diskutiert. Heute verliert die Partei bundesweit immer mehr Mitglieder.

Stijn van Kessel ist Politikdozent an der britsichen Loughborough University und an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Vor kurzem veröffentlichte er das Buch „Populist Parties in Europe: Agents of Discontent?“ (Foto: Mascha Jansen)
Stijn van Kessel ist Politikdozent an der britsichen Loughborough University und an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Vor kurzem veröffentlichte er das Buch „Populist Parties in Europe: Agents of Discontent?“ (Foto: Mascha Jansen)

„In heutigen parlamentarischen Demokratien Europas ist es durchaus normal, dass sich neue politische Bewegungen gründen. In Westeuropa sinkt die Loyalität der Wähler gegenüber traditionellen Parteien immer mehr“, sagt Stijn van Kessel, Politikdozent an der britischen Loughborough University. Grund dafür seien soziale Veränderungen wie die schwindende Bedeutung von Gesellschaftsschichten und religiösem Glauben. Derlei Faktoren seien für Wähler früher Gründe für eine Bindung an traditionelle Parteien gewesen. „Neue Gruppierungen bringen Themen auf die politische Agenda, die bisher zu wenig oder gar nicht vom traditionellen politischen Mainstream angesprochen werden.“

Die langfristige Durchsetzungskraft der neuen Organisationen hängt laut van Kessel zu großen Teilen von der Reaktion der „Mainstream-Parteien“ ab. „Sie können versuchen, die Themen der neuen Herausforderer in ihr Parteiprogramm einzubauen und auf diesem Weg die Wahlbedrohung neutralisieren.“

Auch der Aufbau einer stabilen Organisation ist wichtig für die Etablierung einer Bewegung. Werden interne Querelen in aller Öffentlichkeit ausgetragen, wie bei PEGIDA oder der „Alternative für Deutschland“ (AfD) geschehen, gibt es oft langfristig keinen Zulauf an Anhängern und Wählerstimmen.

Schlussendlich kommt es jedoch auf das Programm, die Ideologie, an. Es muss große Teile der Bevölkerung langfristig binden. Themen wie Europaskepsis und Migrationsbegrenzung sind in der Bevölkerung durchaus präsent.[2] So gesehen sprechen sowohl PEGIDA als auch AfD einige Menschen an.

Dennoch gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen diesen beiden Organisationen. Der Partei ist es innerhalb kurzer Zeit gelungen, in allen Bundesländern Landesverbände zu gründen und eine flächendeckende Organisationsstruktur aufzubauen. Neue Mitglieder kamen zu einem Viertel aus anderen Parteien, vorwiegend aus der CDU und der FDP, womit ein Grundbaustein an politischem Interesse und an Erfahrungen vorhanden war.

Der PEGIDA ist es nicht gelungen, sich so zu organisieren – sie ist auch keine Partei. PEGIDA-Anhänger stammen im Gegensatz zu den AfD-Anhängern überwiegend aus Gegenden, in denen eine verhältnismäßig große Politikverdrossenheit herrscht und die Bereitschaft zu politischen Dialogen fehlt. Dennoch gibt es wegen der ähnlichen europakritischen Leitlinien viele Überschneidungen: Unter den PEGIDA-Sympathisanten befinden sich vor allem AfD-Anhänger.

Von Gewinnern und Verlierern der Globalisierung

Europakritische Stimmen und damit zusammenhängend die Entstehung von Bewegungen wie PEGIDA sind kein ausschließlich deutsches Phänomen. Eine große Anzahl der Bürger westeuropäischer Länder ist besorgt über die Entwicklungen der Globalisierung und sehen diese gar als Bedrohung für ihre nationalen Kulturen und Traditionen an. In der Wissenschaft werden sie vereinzelt als „globalisation losers“ bezeichnet. Demgegenüber sind „globalisation winners“ in der Regel stärker international orientiert, offener gegenüber multikulturellen Gesellschaften und identifizieren sich weniger mit ihrer Nation.

Laut einer Studie der Technischen Universität Dresden ist der durchschnittliche PEGIDA-Demonstrant männlich, gut ausgebildet und übt einen Beruf mit überdurchschnittlichem Einkommen aus. Er ist Dresdner oder kommt zumindest aus Sachsen.

Rechtspopulistische Parteien und Bewegungen haben in den neuen Bundesländern einen stärkeren Zulauf als in den alten. Doch auch radikal linke Gruppierungen fänden hier höheren Zuspruch, so van Kessel. „Trotz der verschiedenen ideologischen Profile zeigt dies, dass in dem post-kommunistischen Teil Deutschlands der Nährboden für radikal politisch Aktive fruchtbarer ist.“ Das liege zum großen Teil an der Unzufriedenheit mit den sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen seit der Wende.

Laut einer Forsa-Umfrage des STERN sind 71 Prozent der rechtspopulistischen AfD-Anhänger der Meinung, dass der Islam auf das Leben in Deutschland einen zu großen Einfluss hat. Allerdings stellt die Umfrage auch heraus, dass jene Sympathisanten eine Minderheit innerhalb der deutschen Gesellschaft darstellen. So fänden 67 Prozent der Deutschen, dass die Gefahr einer Islamisierung übertrieben dargestellt werde.

Es sieht so aus, als ob europafeindliche und rechtspopulistische Parteien und Bewegungen in Deutschland weiterhin Randgruppen seien. Im Vergleich erreichen rechtsgerichtete Parteien in Österreich, Dänemark, Frankreich und den Niederlanden weit größere Wahlerfolge als in Deutschland. Oftmals wird jedoch aufgrund der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands rechten Strömungen in Deutschland eine größere Brisanz zugeschrieben als in anderen europäischen Nationen.

Bewegungen wie PEGIDA sollten nicht unterschätzt werden. Laut van Kessel ist die Bewegung eine Verkörperung kulturell-konservativer Positionen. Er ist besorgt: „Es besteht eine Spannung zwischen den fremdenfeindlichen Ideen auf der einen und den Prinzipien einer liberalen Demokratie auf der anderen Seite – hierbei vor allem die gleichrangige Behandlung und der Schutz von Minderheiten.“ Dennoch sei es falsch, und zudem undemokratisch, PEGIDA-Anhängern zu verbieten, ihre Stimme zu erheben, ohne wenigstens die Ursache für ihre Fremdenfeindlichkeit zu erforschen. „Das heißt nicht, dass die politisch etablierten Parteien in Deutschland die Agenda der Rechten adaptieren sollen, aber sie sollten zumindest ihre eigenen Antworten auf Fragen zu Multikulturalismus und Immigration formulieren.“ Dazu gehört auch die Diskussion mit unliebsamen Bewegungen.

Auf der anderen Seite scheint es, als wollten viele PEGIDA-Anhänger gar nicht diskutieren, sondern lieber alles verdammen, sagte der Konfliktforscher Andreas Zick in einem tagesschau-Interview. Wer sich aber abschotte, habe in einer Demokratie keine Überlebenschancen. Dennoch sei PEGIDA nicht ohne Grund entstanden. „Das Neue und Gefährliche an der Bewegung ist, dass sie sich als „das Volk“ bezeichnet und starke Begriffe wie „Wahrheit“ benutzt.“

Allerdings bilden sich Bewegungen wie PEGIDA der Erfahrung nach eher lokal aus. Der Ermüdungseffekt wird laut Zick sehr bald eintreten. Die Bewegung werde nicht weiter wachsen, sich aber stärker strukturieren und Rollen verteilen. „In kleineren Gruppen und Aktionsformen werden PEGIDA-Anhänger sicher auch bundesweit Akzente setzen. Allerdings wird die Bewegung in der Form, wie sie im letzten Herbst aufkam, bald nicht mehr sichtbar sein.“

Grund zur Sorge besteht trotzdem. Wir müssen uns fragen, woher jene Vorurteile kommen, die immerhin zehntausende Menschen in ganz Deutschland auf die Straße getrieben haben.

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