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Ach, Bayram.

Von Timotheus Tiger / 30. Oktober 2013
picture alliance / Rainer Hackenberg | Rainer Hackenberg

Kennen Sie Bayram? Nein, SIE wahrscheinlich nicht. Aber all die anderen Gäste, die ihn zehnmal am Tag gesehen haben, sollten ihn kennen. Andererseits: Vielleicht ist es besser so – Moment, der Reihe nach. Bayram ist Kellner in einem Hotel an der türkischen Riviera. In aller Dekadenz gönnte ich mir vor kurzem eine längere Auszeit unter […]

Kennen Sie Bayram? Nein, SIE wahrscheinlich nicht. Aber all die anderen Gäste, die ihn zehnmal am Tag gesehen haben, sollten ihn kennen. Andererseits: Vielleicht ist es besser so – Moment, der Reihe nach.

Bayram ist Kellner in einem Hotel an der türkischen Riviera. In aller Dekadenz gönnte ich mir vor kurzem eine längere Auszeit unter dem Halbmond und vielen Hotel-Sternen.

So lernte ich Bayram kennen, der morgens beim Frühstück bediente, mittags mit Tabletts kurvte, abends fröhlich Ayrans und Şarab durch die Gegend trug. Und zwischendrin an der Poolbar Drinks und kühles Bier kredenzte. Sieben Tage die Woche, zwölf Stunden am Tag.

Ich war nicht mit Bayram allein. Um mich herum waren gefühlt 300 deutsche Urlauber. Auch Tschechen, Briten, Schweden. Doch wirklich geschämt habe ich mich in erster Linie für die Deutschen.

Schon am ersten Morgen prallte ich in den Flur-Dialog zwischen einer türkischen Reinigungsfrau und einer ungepflegten deutschen Proll-Oma. Sie zupfte die Türkin an der Schulter, deutete auf ihr Zimmer und erklärte gönnerhaft: „Ich habe einen Euro auf den Tisch gelegt. Versteh’n?“

Nein, das ist nicht neu. Schon der Alte schrieb damals: „Als deutscher Tourist im Ausland steht man vor der Frage, ob man sich benehmen muss oder ob schon deutsche Touristen dagewesen sind.“ Aber macht es das besser?

Die türkische Küche, dieses Wunderwerk an konzentrierten Kalorien, dieses liebevoll konservierte Kochbuch aus den 20er-Jahren. Dieses „Nein!“ an jede Low-Carb-Logik – sie hatte sich in meinem Hotel irgendwann ergeben. Lange vor meiner Zeit, mit Sicherheit aber erst nach Ankunft der deutschen Urlauber.

Das Buffet  reichte noch immer Tag und Nacht an den Horizont, aber die meisten Gerichte waren „als ob“-Inszenierungen: Als ob der dicke Mann aus Braunschweig in seiner VW-Kantine stünde. Die türkische Küche kennt weder Marmeladebrötchen und noch fette Wurststulle. Dennoch bot das Frühstück auch diesen Unfug feil – nachgeahmt, denn aus wundervollem Ekmek werden einfach keine Semmeln. Und doch ließ die Armada aus gefälschten Camp-David-Polos alles liegen, das Anlass zu dieser Urlaubsreise geboten hätte. Und versuchte stattdessen, den deutschen Essensalltag in Perfektion nachzubasteln.

Der liebe Bayram zuckte schon nicht mehr, wenn ihm abends statt eines Grußes nur „fünf Bier“ entgegen knallte. („Fünf“ sicherheitshalber mit Fingern illustriert.)

Trauriger Höhepunkt einer für mich kaum zu ertragenden Serie an kultureller Demütigung war der Abend, an dem einer der Chefköche Spanferkel anzuschneiden hatte. Ein faltiger Engländer baute sich vor ihm auf und brüllte „Oh my God, it’s pork!“ (Für einen kleinen Moment war ich froh, dass es kein Deutscher war. Und gab mich der Illusion hin, dass es sich um einen versprengten Monty Python handelte.)

„Man muss nicht alles so genau verstehen, lesen genügt auch.“ Noch so ein Spruch vom Alten. Ich habe am Strand Menschen erlebt, die eine Woche am Stück „Freizeit Revue“ lasen. Und ich schwöre, dass einige von ihnen mit demselben zerfledderten Exemplar wieder für den Rückflug eincheckten.

Während meines Aufenthalts wurde der Bundestag neu gewählt. Von meinem Balkon schallte großer, leicht beschwipster Jubel, als die ersten Ergebnisse der FDP über den Äther gingen. Sonst war im Hotelkomplex nichts wahrzunehmen. Zwei Tage (!) später belauschte ich eine Unterhaltung deutscher Urlauber am Nebentisch. Das eine Rentnerpaar erfuhr in diesem Moment, wie die Wahl ausgegangen war.

Bayram wird demnächst heiraten und ich wünsche ihm und seiner mit Sicherheit wundervollen Frau alles erdenklich Gute. Ich glaube übrigens nicht, dass er nach Deutschland kommen wird.

In der Hürriyet las ich kurz vor meiner Abreise eine Umfrage, wonach drei von vier Türken die Lust auf die EU verloren hätten. Sie werden nicht alle in solchen Hotels arbeiten. Aber es reicht, dort einen Schwager zu haben.

Noch ein Satz vom Alten, aus der Schaubühne: „Trudele durch die Welt. Sie ist so schön: gib dich ihr hin, und sie wird sich dir geben.“

Das hätte ich gern als Endlosschleife in jedem deutschen Ferienflieger. Wer’s nicht aushält, soll ins Hofbräuhaus.

4 Antworten auf „Ach, Bayram.“

  1. Von Rheingold am 30. Oktober 2013

    Oh Gott, ja genauso habe ich mich gefühlt – vor ein paar Jahren in einem Hotel in Antalya. Manche Touristen benehmen sich dort wie die Herrenmenschen!! Genauso habe ich dort aber auch das Gieren nach deutschen Kontakten wahrgenommen – wenn man da zu nett war zu den Mitarbeitern vor Ort, hatte man gleich die ganzen Visitenkarten in der Tasche und die Geschichte von der kranken Oma an der Backe. Für das nächste Mal Urlaub in der Türkei habe ich mir jedenfalls vorgenommen, Kein All inclusive in einer Ferienanlage zu buchen,sondern eine individuelle Reise in dieses wunderschöne Land zu organisieren, um die Leute auch besser kennenlernen zu können! Danke für diesen schelmischen Bericht!!

  2. Von LIMA25 am 30. Oktober 2013

    Ich habe auch mal gehört, dass die Kellner vor Ort kaum Bezahlung von den Hotels bekommen und auf Trinkgeld angewiesen sind – und da sind die Deutschen ja auch leider keine Ausgeburten an Großzügigkeit!! Alles in allem wirklich wie beschrieben – ein trauriger ZUstand..

  3. Von ladylike am 30. Oktober 2013

    ein ganz toller Beitrag, der mir so aus dem Herzen spricht. Die Gäste, es sind nicht nur die Deutschen, sondern alle, die meinen, mit ein bißchen Geld sich über die Menschen zu stellen, sind so unmenschlich gegenüber den Einheimischen, die sich aufopferungsvoll, für Hungerlöhne um die Belange der Gäste kümmert. Wenn ich in einem Hotel arbeiten müsste, mit solchen Gästen, würde ich den Glauben an die Menschheit fast verlieren. Und dennoch, sie sind freundlich und manches mal; wenn man ein bißchen nett zu ihnen ist, dann erzählen sie auch über ihr Leben. Wir versuchen immer den Kontakt zu den Einheimischen aufzubauen. Uns liegt viel daran die Menschen kennenzulernen, egal welcher Nationalität, Religon, Arm- Reich… Für mich zählen die Menschen. Aber so, wie die meisten Touristen sich ausgeben, ja, da muß man sich schon schämen. Aber eigentlich wollte ich ja den Autor loben, toller Beitrag!

  4. Von Paulsonne am 5. November 2013

    Da fährt man schon weg und trifft die eigenen Leute in fieser Konzentration schon zum Frühstück. Aber man kann ja daraus lernen und nicht mehr ganz so viel pauschal reisen!

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