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Altruismus light

Von Ariana Dongus / 15. Juli 2017
picture alliance / dieKLEINERT | Ivonne Schulze

Große Technologieunternehmen wie Google fördern digitale Kompetenzen mit Weiterbildungsangeboten – auch in Entwicklungsländern. Ihre Motivation ist alles andere als selbstlos.

Eine Gesellschaft ohne Digitalisierung ist nicht mehr vorstellbar. Nicht nur die UNESCO bezeichnet daher den kompetenten Umgang mit dem Internet als essentiell. Digital Literacy ist inzwischen ähnlich wichtig wie Lesen und Schreiben. Auch auf dem Arbeitsmarkt spielen digitale Kompetenzen eine immer größere Rolle.

Besonders die Technologieunternehmen sind natürlich besonders an entsprechend geschulten Mitarbeitern interessiert und engagieren sich deshalb für die digitale Aus- und Weiterbildung. Konkretes Beispiel gefällig? Google, Amazon, SAP und andere Unternehmen arbeiten eng mit der Onlineplattform Udacity zusammen. Auf der Plattform können Interessierte gegen Gebühr ortsungebundene Kurse in Webentwicklung, verschiedenen Programmiersprachen, Data Science oder Machine Learning ablegen.

Die Weiterbildungsmaßnahmen der Tech-Giganten beschränken sich nicht auf Industrienationen. Google fördert mit 50 Millionen US-Dollar Initiativen, die Jugendliche vor allem in ärmeren Regionen der Welt wie Indien oder afrikanischen Ländern kostenlos zu Programmierern ausbilden. Humanitäre und unternehmerische Interessen verschwimmen dabei.

Online-Outsourcing auch in Krisenregionen

„Coding ist eine neue Sprache. Jedes Kind verdient es, sie flüssig zu sprechen“, heißt es in einer Werbebroschüre von SAP. Laut seiner Webseite hat das Unternehmen in Zusammenarbeit mit der UN fast eine halbe Million junger Menschen aus Afrika und dem Mittleren Osten in sogenannten Code Weeks Programmierkenntnisse im Schnelldurchlauf beigebracht – und sie nebenbei in die hauseigene Managementsoftware eingeführt. Soweit, so gut. Das Problem: Auf diese Weise bilden die Unternehmen maßgeschneiderten Nachwuchs aus, anstatt eine wirklich profunde Bildung anzubieten.

Microsoft etwa macht sich die Programmierkenntnisse von Ägyptern zunutze, indem es zusammen mit der UN die Plattform Freelance.me anbietet, auf der sich Jugendliche um Programmieraufträge bewerben können. „Brachliegendes Talent junger Softwareentwickler soll abgeschöpft und die junge Generation durch Technik aus der Arbeitslosigkeit geholt werden“, sagt Ghada Khalifa von Microsoft Philantrophies.

Das Unternehmen liegt damit voll im Trend. „Internetvermittelte Arbeit, also das Outsourcing von Geschäftsprozessen wie Buchhaltung hat schon vor zwei Jahrzehnten angefangen und wächst weiter“, sagt Martin Krzywdzinski, der am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung zur Digitalisierung von Arbeit forscht. In den vergangenen Jahren seien vermehrt auch komplexere Arbeitsvorgänge wie Programmieren online an Externe vermittelt worden. Laut einer Schätzung der Weltbank wächst der globale Online-Outsourcing-Markt bis 2020 von einem Marktvolumen von derzeit rund fünf auf 20 Milliarden US-Dollar.

Der Trend erreicht immer mehr Länder, auch jene, die bisher nicht als klassische Outsourcing-Länder in Erscheinung getreten sind, darunter vor allem Länder des Mittleren Ostens. Das habe unter anderem damit zu tun, dass die Lohnkosten für indische und philippinische Programmierer gestiegen seien, so Krzywdzinski.

„Dass zunehmend internetbasierte Aufgaben outgesourced werden, ist für Schwellen- und Entwicklungsländer trotz der Lohnunterschiede eine gute Einkommens- und Entwicklungsmöglichkeit.” Krzywdzinski warnt aber vor den strukturellen Folgen. „Diese Lohnunterschiede führen zu verstärktem Wettbewerb und zu Druck auf die Programmierer in Europa und den USA.“

Geld von Unternehmen willkommen

Die Schere zwischen Arm und Reich, zwischen Gebildeten und Ungebildeten, könnte sogar noch wachsen, wenn Privatunternehmen einseitig bestimmen, wie sie Digitalkompetenzen und damit die Schlüsselkompetenzen der Zukunft fördern. Da öffentliche Institutionen im Bereich der Entwicklungshilfe oft unterfinanziert sind, ist eine Aufbesserung der Kassen durch Privatfirmen jedoch willkommen.

Allerdings erfordert die fortschreitende Ökonomisierung der Entwicklungshilfe durch das vermeintlich philanthropische Engagement von Privatfirmen, dass die Entwicklungshilfeorganisationen zunehmend wie Unternehmen agieren müssen. Benjamin White von der Universität Glasgow warnt in der Zeitung Le Monde diplomatique vor dem Vordringen der Marktlogik in die Entwicklungshilfe. „Durch die Finanzierung über Ausschreibungen und die permanente Analyse und Quantifizierung des Bedarfs zwingen die Geberländer, allen voran die USA, das Flüchtlingshilfswerk dazu, wie ein normales Wirtschaftsunternehmen zu arbeiten, mit Marketingabteilung, Rechenschaftspflicht, Evaluierung und einem festen Budget.“ Die Organisationen seien zu „humanitären Unternehmen“ geworden.

Das Silicon Valley hält ungeachtet aller Kritik an dem Prinzip des „Solutionism“ fest: Algorithmen und Programmiercodes sollen alle Probleme der Menschheit lösen. Diese Logik beschert den Unternehmen nur Vorteile: billige Arbeitskräfte, neue Absatzmärkte und dazu noch Gutes tun. Der so notwendige Aufbau öffentlicher Bildungseinrichtungen, kostenlos zugänglich für alle Menschen, bleibt dabei oftmals auf der Strecke.

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