Auf der Suche nach der richtigen Entwicklungspolitik
Jeder sollte ein Leben in Würde führen können und unter menschenwürdigen Bedingungen arbeiten. Diese Ziele stehen in der „Zukunftscharta“, die auf dem EINEWELT-Zukunftsforum in Berlin Angela Merkel übergeben wurde. Mit der Charta soll die deutsche Entwicklungspolitik revolutioniert werden. Wenn es um die Zukunft geht, darf die Jugend natürlich nicht fehlen: Bundesentwicklungsminister Gerd Müller strahlt von […]
Jeder sollte ein Leben in Würde führen können und unter menschenwürdigen Bedingungen arbeiten. Diese Ziele stehen in der „Zukunftscharta“, die auf dem EINEWELT-Zukunftsforum in Berlin Angela Merkel übergeben wurde. Mit der Charta soll die deutsche Entwicklungspolitik revolutioniert werden.
Wenn es um die Zukunft geht, darf die Jugend natürlich nicht fehlen: Bundesentwicklungsminister Gerd Müller strahlt von der Bühne des EINEWELT-Zukunftsforums in Berlin, als sich um ihn herum ein Haufen Kinder in blauen UNICEF-T-Shirts für ein Selfie-Foto gruppiert.
„Wir setzen uns für fair gehandelten Kakao ein“, erklärt Frederik, einer der Schüler. „Unsere Idee ist der sogenannte Schokoladen-TÜV. Wir wollen die Lieferketten transparenter machen.“ Müller wirkt zufrieden. So eine Aktion ist ganz nach dem Geschmack des Ministers: Weltverbesserung von unten und durch eine engagierte Jugend.
Vor knapp 3.000 Gästen überreicht Müller auf dem Zukunftsforum Bundeskanzlerin Angela Merkel die 60-seitige „Zukunftscharta“. Die Fragen, die die Charta beantworten soll, sind schwerwiegend: Wie soll eine nachhaltige und gerechte Welt aussehen? Wie werden wir unserer Verantwortung für die Zukunft gerecht? Wie setzen wir die Idee einer globalen Partnerschaft um?
Entwicklungspolitik für alle von allen
Müllers Ministerium will mit der Charta die Leitlinien für die Entwicklungspolitik der kommenden Jahre definieren. Um die Akzeptanz zu erhöhen, wurde die Charta gemeinsam mit Vertretern von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie Amnesty International und dem WWF, mit Mitarbeitern von Stiftungen und Kirchen, Bürgerinnen und Bürgern und Schulkindern wie Frederik erarbeitet.
Seit April hatten sie die Gelegenheit, sich im Internet an der Entwicklung des Papiers zu beteiligen. „Machen Sie mit, reden Sie mit und beteiligen Sie sich an der Suche nach Antworten auf die wichtigen Fragen der Menschheit“, hieß es.
Laut BMZ beteiligten sich 776 Teilnehmer mit rund 1.500 Beiträgen, Kommentaren und Bewertungen. „Es ist nicht so einfach, Leute zu erreichen. Man muss junge Leute erstmal für das Thema gewinnen“, sagt Tim Winter, der bei der Projektgruppe zur „Zukunftscharta“ mitgearbeitet hat. Sieben Schulkassen hätten Einsendungen geschickt und seien auch zur Übergabe nach Berlin eingeladen.
Gemeinsam für eine gute Sache kämpfen
Auch Micha Fritz und Claudia Gersdorf von Viva Con Agua sind dabei. Mit ihrem Verein setzen sie sich dafür ein, dass alle Menschen einen Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitärer Grundversorgung bekommen. „Ich finde es gut, dass sich hier auf dem Zukunftsforum NGOs gegenseitig kennenlernen und vernetzen können“, sagt Fritz. „Wir haben mit Vertretern der Welthungerhilfe gesprochen, mit denen wir schon zusammengearbeitet haben.“
Es sei absurd, dass noch immer NGOs, die eigentlich das gleiche Ziel verfolgten, gegeneinander arbeiteten statt zusammen. „Der eine kann besser Jugendliche aktivieren, der andere kann besser Fundraising, der nächste besser Anträge von GIZ-Geldern durchbringen – da müsste noch viel mehr Austausch entstehen, gerade, wenn man für eine gemeinsame Sache kämpft. Das könnte man alles zusammenwerfen, dann hätte man viel mehr Strahlkraft und Wirkung“, so Fritz.
Das Format des EINEWELT-Zukunftsforums, wie es von Engagement Global, einer 100-prozentigen Tochtergesellschaft des BMZ, organisiert wurde, hätte noch viel mehr Potenzial, genau diese Vernetzung zu leisten, findet Fritz. „Das Format ist immer noch nicht so, dass es wirklich Zusammenarbeit kreiert“, sagt er. „Damit es das leisten kann, müsste es noch spezieller sein. Da müssten wahrscheinlich Experten aus verschiedenen Bereichen zusammenarbeiten und Task Forces bilden, damit was passiert.“
Öffentlichkeitswirksam diskutieren
Statt Task Forces gibt es beim Zukunftsforum Stände von Vereinen und Diskussionsrunden über Klimaschutz, den Kampf gegen den Hunger, über würdige Arbeitsbedingungen, fairen Handel und über Entwicklungsziele. Entwicklungsminister Müller möchte eine breite Debatte.
Dafür konnte er auch die Unterstützung einiger Kabinettsmitglieder gewinnen: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD), Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) und Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) haben sich eingefunden, um mit weiteren, auch internationalen Gästen zu diskutieren.
Nahles spricht in der Politikarena des EINEWELT-Zukunftsforums euphorisch, und mit dem Hinweis auf ihre vierjährige Tochter offensichtlich emotional, über den deutschen Anteil zur Umsetzung von fairer Arbeit weltweit. „Jeder soziale Fortschritt fing mit einem ehrgeizigen Ziel an“, sagt Nahles und kündigt an, dass „gute Arbeit weltweit“ während der G7-Präsidentschaft Deutschlands in diesem und im kommenden Jahr besondere Bedeutung erhalten werde.
Wage Aussichten, wenig Konkretes
Das klingt gut, doch die Aussage ist nicht prüfbar. Auch die Charta selbst liefert keine konkreten Zahlen zu weiteren Zielen. Die acht „Handlungsfelder“ der Charta formulieren Ziele wie „ein Leben in Würde weltweit sichern“ und „natürliche Lebensgrundlagen bewahren und nachhaltig nutzen“. Bis 2030 soll die Armut beseitigt werden – wie, ist ungewiss.
Nahles weist in ihrer Rede auf bisherige Erfolge hin: In den Schwellenländern habe man die Forderung nach einem Anteil von 20 Prozent erwerbstätiger Frauen erfüllt und der Mindestlohn stehe in den Startlöchern.
Angela Merkel, die einstige Klimakanzlerin, gibt sich in ihrer Rede gänzlich unkonkret und vermeidet Versprechungen. Während ihr Entwicklungsminister mantraartig eine Sondermilliarde von der EU für die Flüchtlinge fordert, bleibt sie wage: „Es ist absolut richtig, dass jeder Flüchtling einen Anspruch auf menschenwürdigen Umgang hat hier bei uns. Aber es ist genauso richtig, dass wir vor Ort etwas tun müssen, damit nicht alle Menschen den Wunsch haben, aus ihrer Heimat zu fliehen.“
Oxfam fordert inhaltliche Nachbesserungen
Marion Lieser, Geschäftsführerin von Oxfam Deutschland, erklärt: „Inhaltlich begrüßen wir vieles, was in der Zukunftscharta steht. Das betrifft zum Beispiel die Absicht, das Engagement in zentralen Bereichen der Armutsbekämpfung wie Gesundheit und Bildung auszuweiten.“ Auch sei es dringend nötig, verstärkt gegen die weltweit wachsende soziale Ungleichheit, eines der zentralen Hindernisse für die globale Armutsbekämpfung, vorzugehen.
Vor allem aber brauche es einen Aktionsplan, „damit aus den schönen Worten konkrete Taten werden“. Andernfalls werde die Charta eine Absichtserklärung bleiben. „Das wäre zu wenig.“ Die Organisation hat sich an dem Dialog für die „Zukunftscharta“ beteiligt. Doch zufrieden ist man dort nicht mit dem Ergebnis.
Die Kernfrage sei, ob die „Zukunftscharta“ als verbindliches Leitdokument für die gesamte Bundesregierung betrachtet werde und zu echten Veränderungen führe, meint Lieser. „Die Zukunftscharta muss zu einem Dokument der Bundesregierung und nicht nur des Entwicklungsministeriums werden.“
Denn viele entwicklungspolitische Weichenstellungen erfolgten in anderen Ministerien. „An der Umsetzung müssen alle entwicklungspolitisch relevanten Ministerien mitwirken. Der Erfolg der Maßnahmen muss regelmäßig überprüft werden.“
Entwicklungsminister Müller scheint diese Anregung ernstzunehmen. Zumindest hat er die Charta zum Referenzdokument erklärt, „an dem wir uns alle messen lassen wollen“.
Claudia Gersdorf von Viva Con Agua wünscht sich auch konkretere Ansagen. „Ich erwarte mehr konkrete Details, die praxisbezogener sind. Auf dem Zukunftsforum sind sehr viele große Worte gefallen: Nachhaltigkeit, Mindestlohn – was alles sehr wichtig und richtig ist, aber mir fehlt so das Storytelling. Was sind die konkreten Praxisbeispiele?“
Viva Con Agua macht es vor: „Wir aktivieren erst die Jugendlichen und dann sensibilisieren wir sie“, sagt Micha Fritz. Mit kulturellen Veranstaltungen aller Art versucht der Verein auf unbeschwerte Weise, Menschen zu erreichen und zu vernetzen.
Musik, Sport und Kunst sind dabei universelle Multiplikatoren. Beispielsweise kooperiert Viva Con Agua mit Musikfestivals. Die Besucher haben die Chance, ihre Pfandbecher zu spenden. „Du brauchst Spaß, damit du dich sensibilisieren lässt“, sagt Fritz.
Weit weg von Milleniumsvorgaben
Bisher hängt Deutschland in der Entwicklungspolitik noch zurück. Rund 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens sollte Deutschland für Entwicklungshilfe ausgeben. So haben die Nationen es in ihren Millenniumszielen vereinbart.
Deutschland, das Vorbild für andere Länder sein will und dessen Vorreiterrolle Müller auf dem Zukunftsforum betonte, erreichte dieses Ziel im vergangenen Jahr nicht. Der Anteil von Entwicklungshilfen am Bruttonationaleinkommen lag 2013 gerade einmal bei 0,38 Prozent.
hach, das leidige Thema Entwicklungspolitik. Das der „Anführer“ Deutschland noch nicht mal die Ziele einhalten kann, sagt ja schon alles.