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Auf einen Tee mit Luther

Von Ines Bresler / 6. Oktober 2017
picture alliance / Zoonar | ArTo

Am 31. Oktober haben wir frei, weil Martin Luther an jenem Tag vor 500 Jahren seine Meinung zur Kirche an eine Tür schlug. Ein guter Anlass, um über unseren (Nicht-)Glauben nachzudenken.

Sie beten, singen, feiern und diskutieren: Seit Anfang des Jahres kommen immer wieder tausende Gläubige bei Veranstaltungen rund um Martin Luther zusammen. 2017 – ein halbes Jahrtausend nach der Veröffentlichung der Thesen des berühmten Mönches. Wegen ihm haben am Ende dieses Monats erstmalig in ganz Deutschland Arbeitnehmer aller Religionen, Glaubens- und Nichtglaubensrichtungen am Reformationstag frei. Dann darf man sich zu Ehren Luthers einmalig die Arbeit Arbeit sein lassen.

95 Thesen hatte der Augustinermönch aufgestellt und damit die Kirche gespalten. Er wehrte sich gegen den Brauch, Gläubigen gegen Geld ihre Sünden zu erlassen und andere Ungerechtigkeiten. Seitdem herrschen unter Christen in Deutschland zwei Konfessionsrichtungen vor: die Katholiken und die Protestanten.

Das gesellschaftliche Interesse für das Jubiläumsjahr hält sich jedoch in Grenzen. Die Kirchenaustritte nehmen weiter zu. Wer sich heute zum Glauben – egal welcher Ausrichtung – bekennt, dem begegnen viele erst einmal skeptisch. „Religion braucht heute doch kein Mensch mehr“ oder „Wenn es keine Religion gäbe, würde es auch viel weniger Kriege geben“, meinen die Religionskritiker. Einem Menschen, der an Gott, Allah oder Krishna glaubt, unterstellen sie, dass er sich nicht die Mühe mache, selbst zu denken. Zum einen, weil er doch nicht alles, was im Namen der Religion geschehen ist – von Kreuzzügen bis zum islamischem Terrorismus – ignorieren könne. Zum anderen, weil er sich nicht mit Blick auf ein höheres Wesen aus der Verantwortung stehlen dürfe.

Kritisch und trotzdem gläubig

Martin Luther war gläubig und dennoch sehr wohl in der Lage, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Einen kritischen Reformator wie ihn machte aus, dass er nicht leichtgläubig dem folgte, was die Kirche sagte. Er glaubte an Gott und verließ sich trotzdem (oder gerade deshalb?) auf seine eigene Urteilskraft. Eines von Luthers bekannten Zitaten lautet: „Hier stehe ich und kann nicht anders.“ Der Kaiser hatte ihn zum Reichstag nach Worms berufen, damit er seine Thesen widerrufe. Doch selbst die Aussicht auf den Scheiterhaufen – eine beliebte Strafe für jemanden, der die Autorität der Kirche infrage stellte – ließ ihn nicht von seiner Position abrücken.

Luther konnte die Ungerechtigkeit einer Kirche nicht aushalten, in der sich Reiche den Eintritt in den ihnen dafür versprochenen Himmel kauften und Arme auf ihren Sünden sitzen blieben. Er wollte seine Glaubensbrüder lehren, dass sie besser handeln, wenn sie Bedürftigen helfen, anstatt ihr Geld in Ablassbriefe zu investieren. „Denn durch ein Werk der Liebe wächst die Liebe, und der Mensch wird besser“, lautet entsprechend seine 44. These.

Wer heute zunächst aufzählt, wem die Kirche geschadet hat, vergisst oft zu erwähnen, wem sie hilft. Das fängt im Kleinen an: Bei der alten Frau, für die der Kirchgang soziales Ereignis und nicht selten Höhepunkt der Woche ist. Oder bei den Arbeitskreisen Christlicher Kirchen, die bundesweit Trauerfeiern für alle halten, die gestorben sind und keine Angehörigen hinterlassen. Kirchengemeindemitglieder engagieren sich für Obdachlose. Auch Verzweifelten, die sich lieber anonym auf eine Kirchenbank setzen, um sich eine zeitlang ihrem Inneren zuzuwenden, als sofort zu einem Psychologen zu gehen oder Yoga zu machen, bietet die Kirche ein Refugium. Die Liste könnte fortgeführt werden.

In der politischen und gesellschaftlichen Debatte scheint die eigene Religion heute vor allem in Abgrenzung zu anderen ein Thema zu sein: Während des „Kanzler-Duells“ diskutierten die Kandidaten lange über den Islam in Deutschland. Schließlich stellte die Moderatorin die Frage: „Ist einer von ihnen heute in der Kirche gewesen?“ Martin Schulz und Angela Merkel erzählten daraufhin von Momenten, in denen sie an einen Verstorbenen gedacht haben.

Verbindung zum Göttlichen

Ihre Antworten sind beispielhaft für unseren Umgang mit der Religion. An den Rändern des Seins, wo die Wissenschaft nicht ausreicht, kommt der Glauben wieder ins Spiel. Wenn es um den Tod geht oder um das, was uns als Menschen ausmacht, geben Psychologie, Physik oder Biologie zwar logische Erklärungen. Aber auf die große Frage nach dem Warum haben sie keine Antwort. Hier kann Religion Orientierung bieten.

Viele kirchliche Organisationen nutzen diese Rolle der Religion, um unsere Gesellschaft besser zu machen, sie Gemeinschaft werden zu lassen. Immerhin werben sie für Verantwortung und soziales Engagement. So rufen Brot für die Welt und Misereor gemeinsam mit anderen Nichtregierungsorganisationen zur Demonstration für den Kohleausstieg auf. Die Evangelische Kirche betont, wo sie kann, Barmherzigkeit und Gastfreundschaft, während vielerorts andere gegen Geflüchtete hetzen.

Brauchen wir Religion also doch? Ein anderer spiritueller Mann hat es so beschrieben: „Ethik und Religion verhalten sich wie Wasser zu Tee. Wir können ohne Tee leben, jedoch nicht ohne Wasser. Wir werden ohne Religion geboren, können ohne sie leben – jedoch nicht ohne das urmenschliche Grundbedürfnis nach Mitgefühl.“ Seine Heiligkeit, der 14. Dalai Lama, ist sich im Alter von 82 Jahren sicher: Religion kann eine Verbindung zu ethischem Leben sein. Oder eben zu Gott.

Letztlich aber müssen wir unserem eigenen inneren Urteil über uns selbst standhalten können. Falls es doch keinen Gott gibt, von dem wir uns erretten lassen wollen.

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