Bachelor-Studium: Faster, Harder, Better?
Der Bologna-Prozess soll zu einem einheitlichen europäischen Hochschulraum führen. Prinzipiell eine gute Idee, findet sagwas-Autorin Camilla Lindner. Statt auf das Sammeln von ECTS-Leistungspunkten sollte der Studienschwerpunkt aber auf mehr individuell gestaltbare Freizeit gelegt werden.
Mittag in der Mensa. Die Kürbissuppe verschwindet in Sekundenschnelle im Dunkeln. Student Markus H. schlingt beim Essen und ist einer von vielen – ein Einzelkämpfer im Land des Bachelor-Marathons. Je schneller er Leistungspunkte sammele, desto besser, meint er. Der sogenannte Bologna-Prozess, eine umgreifende Hochschulreform, verkürzt nicht nur die Dauer der meisten Bachelorstudiengänge auf sechs Semester, er produziert ebenfalls junge Absolventen, die zu Einzelgängern ausgebildet worden sind.
Studenten werden zu Einzelgängern
Die Ausbildung zum Einzelgänger ist allerdings kein offizielles Ziel der Bologna-Reform. Die Bologna-Erklärung wurde 1999 von Vertretern aus 29 europäischen Staaten unterzeichnet, um einen einheitlichen europäischen Hochschulraum zu schaffen. Das bedeutet, dass Studierende und wissenschaftliches Personal sich mobiler zwischen Europas Hochschulen bewegen können sollen – eine gute Idee und ein wichtiger Schritt für die Stärkung der europäischen Identität durch Einheit in Vielfalt. In Deutschland bedeutete die Reform vor allem eine Umstellung von Diplomstudiengängen auf ein Bachelor- und Mastersystem.
Die geplante Vereinfachung und Vereinheitlichung auf europäischer Ebene ist bis heute keineswegs gelungen. Caroline W., die an der Universität Hamburg studiert, hat ein Semester an der Universität Sciences Po in Paris belegt. Die innerhalb des Erasmus-Auslandssemesters erbrachten Leistungen wurden ihr aber nicht adäquat von ihrer Heimatuniversität angerechnet. „Ich hatte richtig gute Noten in Paris – die Uni Hamburg meinte aber, dass die französischen Einser-Noten einer deutschen Drei entsprächen“, so die Studentin. Caroline hat daraufhin alle Kurse nochmals in Hamburg belegt. „Ich habe dafür ein Semester länger studiert – aber das war es wert“, sagt sie.
Lernen, lernen, lernen
Der studentische Alltag zeigt, dass Bologna viele Studierende überfordert. Laura G., Studentin an der Universität Manchester, hat einen 15-Stunden-Tag. Sie studiert Human Resource Management im Master und steht unter extremem Druck. „Ich muss sehr gut sein, sonst zahlen meine Eltern mein teures Studium nicht“, sagt die 23-Jährige. Deshalb muss Laura ein enormes Lernpensum absolvieren.
Jeden Tag steht sie um 6 Uhr morgens auf, macht eine Stunde Sport und ist dann bis 22 Uhr an der Uni. „Mir bleibt nur wenig Zeit, den ganzen Stoff irgendwie zu lernen. Im Moment habe ich noch nicht einmal Zeit für mehr als meine zwei besten Freunde.“ Die Beziehung zu ihrem Freund leide ebenfalls. Laura könne sich kein Wochenende freinehmen: Das würde sie nur in Verzug bringen.
Durch eine verkürzte Studienzeit bleiben viele individuelle Interessen auf der Strecke. Viele Unternehmen kritisieren nun die Umstellung auf das klausurenreiche Bachelor- und Mastersystem. Zwar stehen Unternehmen laut einer vom DAAD in Auftrag gegebenen Studie von 2010 der Bologna-Reform generell positiv gegenüber, sie bemerken jedoch den Rückgang von Eigenverantwortung und eine Einschränkung der Wahlfreiheit der Studierenden. Dies beeinträchtige die soziale und persönliche, kommunikative Kompetenz. Außerdem bemängeln die meisten Unternehmen den fehlenden Praxisbezug der Absolventen.
Wenn eine Studentin in einem Seminar fragt, ob sie das an der Tafel Stehende abschreiben solle, und viele andere Studierende den Professor fragend anschauen, dann ist die Kritik der Unternehmen wohl gerechtfertigt. Studierende kommen durch G8 und Bologna mit jungen Jahren und ohne viel Lebenserfahrung in die Berufswelt.
Es ist aber falsch, die Studierenden dafür zu kritisieren. Stattdessen muss an der Studienstruktur gearbeitet werden. Denn das jetzige System fördert Einzelkämpfer und Einzelgänger. Studierende essen alleine und hastig in der Mensa, besuchen Seminare, ohne sich mündlich zu beteiligen, und bereiten sich alleine auf Klausuren vor.
Psychische Belastung steigt
Faster und harder bedeutet nicht gleich besser und glücklicher. Die psychischen Belastungen der Studierenden, die mit der Vereinsamung einhergehen, steigen seit Jahren an. Psychologen der Universität Heidelberg haben festgestellt, dass es gerade im Studium wichtig sei, miteinander statt gegeneinander zu arbeiten. 40 Prozent der in der Studie untersuchten Studierenden wiesen psychische Belastungen auf, welche sich negativ auf das soziale Umfeld auswirkten.
Vor allem die Freiräume, die Zeit für ein kritisches Auseinandersetzen mit Themen und Alltäglichem zulassen, werden weniger. Laut der Heidelberger Studie nehmen dadurch intrinsische Motivationen wie Wissbegierde und Neugierde ab. Es sind Faktoren, die mit Spaß und Zufriedenheit einhergehen, und die für eine Gesellschaft in Deutschland und Europa wichtig sind.
Fast schon widersprüchlich erscheint demgegenüber das von der Europäischen Union initiierte Erasmussemester. Denn im Ausland entdeckt der ein oder andere erst, dass Studieren auch entspannter gehen kann. Auf einmal rücken Dinge in den Vordergrund, für die sonst keine Zeit bleibt: Freunde und Freizeit, Spaß und Neugierde.