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Berufen zu helfen

Von Tom Albiez / 10. April 2024
picture alliance / Zoonar | Patrick Daxenbichler

Flüchtlingskrise, Corona, Flutkatastrophen, Waldbrände, Ukraine-Krieg – die letzten Jahre waren Krisenjahre. Solche Ausnahmezustände erfordern Organisationen, die auf Katastrophen schnell und professionell reagieren können. Eines davon ist das Hilfswerk GAiN.

Am Anfang war die Abenteuerlust. Der Niedergang der Sowjetunion ging mit dem Zusammenbruch der Versorgung der Bevölkerung einher. Michail Gorbatschow, der damalige Präsident der Sowjetunion bat den ehemaligen Systemgegner, den Westen, um Hilfe. Im Rahmen einer Winterhilfsaktion machte sich deshalb eine Gruppe junger Erwachsener aus Gießen auf den Weg nach Riga und Leningrad (heute St. Petersburg), darunter Klaus Dewald. Er erzählt offen, dass es nicht nur Nächstenliebe, sondern Neugier gewesen war, die ihn hinter den Eisernen Vorhang geführt hatte.

In Leningrad traf Dewald auf eine alte Dame, die erst erbost über die Ankunft der Deutschen war, dann führte die Hilfsbereitschaft der Fremden aber zu einem Sinneswandel der Seniorin. Sie sprach ihnen Vergebung für die Verbrechen der Nazis zu. „Verbrechen, für die ich mich bis dahin nicht schuldig fühlte. Dennoch berührte es mich“, erinnert sich Dewald. Zurück in Deutschland, suchte er das Gespräch mit deutschen Senioren. Über das Leben an sich, über richtige und falsche Entscheidungen. Viele hätten ihr Leben gerne anders geführt, so eine zentrale Aussage. Sie wünschten sich eine zweite Chance, die es für sie nicht mehr gab. „Das rüttelte mich wach. Ich wollte nicht ein Leben führen, das ich im Nachhinein bereue. Ich kündigte meinen gut bezahlten Job bei einer großen Spedition und begann, Menschen in Not zu helfen. Das erschien mir sinnvoll und das wollte ich so lange tun, bis mir etwas anderes einfallen würde.“

Aus Tatkraft wird ein Hilfswerk

„Mein Ziel war es nie, ein Hilfswerk aufzubauen“, fasst Klaus Dewald die Anfänge seiner Hilfsorganisation zusammen. Mittlerweile bietet Global Aid Network (GAiN), wie der Name es sagt, neben dem Hauptsitz in Gießen ein den Globus umspannendes Netzwerk auf. Es gibt GAiN in Österreich, der Schweiz, in Polen und den Niederlanden, Spanien, Großbritannien und selbst in Kanada, Südkorea sowie Australien. Die Niederlassungen agieren selbständig, aber stimmen sich im Katastrophenfall und bei gemeinsamen Projekten ab. In den Einsatzländern wird eng mit lokalen Partnern zusammengearbeitet. Zudem engagieren sich zahlreiche Ehrenamtliche, zum Beispiel bei Sortieraktionen im Lager in Gießen. An deutschlandweit vorhandenen Sammelstellen können Pakete mit Spenden abgegeben oder direkt zum Hauptsitz geschickt werden. Momentan gibt es in ganz Deutschland verschiedene Mitmachaktionen wie das Packen gebrauchter Schulranzen mit Schulmaterialien, Turnbeutel mit Hygieneprodukten und Lebensmittelpaketen für bedürftige ukrainische Kinder.

„Menschen verändern zu wollen“, sei der Kerngedanke von GAiN, beschreibt es Dewald. Es gehe nicht so sehr um die Projekte, erläutert er. Vielmehr seien die Projekte Mittel und Möglichkeit, um nachhaltig Veränderung zu schaffen. Sowohl im Aus- als auch im Inland. „Wenn ein Kind in Deutschland sein Lieblingskuscheltier in einen Schulranzen für ein fernes Kind in Armut packt und mit seiner Mama zusammen Sachspenden im Supermarkt einkauft, verändert das auch das Leben des Kindes hierzulande“, ist Dewald überzeugt.

Projekte als Werkzeuge für Veränderung

Für das Ausland, warnt der GAiN-Gründer, dass Hilfe nicht zur Abhängigkeit der Betroffenen führen dürfe. Sie müsse Menschen dazu befähigen, betont der 58-Jährige, wieder für sich selbst sorgen zu können. Auch Katastrophenhilfe habe seine Zeit und sollte nicht endlos betrieben werden.

Klaus Dewald: „Man muss ganzheitlich denken.“ (Foto: Claudia Dewald)

Gut gemeint ist dabei nicht immer gut gemacht, wie Klaus Dewald feststellt: „Wenn ich einen Brunnen in Afrika bohre und dadurch Tausend Menschen Zugang zu sauberem Wasser gebe und anschließend deswegen unzählige Menschen in diese Region ziehen, kann das die Lebensqualität der bisherigen Bewohner verschlechtern.“ Man müsse ganzheitlich denken, um Probleme zu lösen. Beispielsweise durch die gleichzeitige Anlage von mehreren Brunnen, unter Berücksichtigung der Bevölkerungsverteilung.

Mit Gott auf Achse

Das Netzwerk zeichnet sich durch seine christliche Motivation aus. Klaus Dewald sagt aber in Hinblick auf Menschen, die sich hauptamtlich engagieren wollen: „Für mich zählt in erster Linie die Haltung“.

Angesprochen auf seinen persönlichen Glauben erläutert er: „Manchmal spreche ich bei längeren Lkw-Fahrten mit Gott. Ich habe keine festen Zeiten, zu denen ich Bibel lese oder bete“. Festgefahrene Regeln zur Glaubensausübung lehnt er ab. Vielmehr geht es Dewald darum, dass Christen und Gemeinden tatsächliche Relevanz für die Menschen in ihrem Umfeld bieten. 

Klaus Dewald ist ein großer, kräftiger Mann mit einem zugewandten Blick, einem freundlichen Lächeln. 2007 hat er einen schweren Autounfall überlebt, bei dem er sich sicher ist, dass er ihn nach menschlichen Maßstäben nicht hätte überleben können. Für ihn steht fest, dass hier nicht nur Glück im Spiel war. „Gott hatte noch einen Auftrag für mich, sonst wäre ich tot.“ Solange er GAiN als seinen Auftrag begreift, wird er nicht davor zurückschrecken, sich selbst hinter das Steuer seines Lkws zu setzen. Dabei profitiert er selbst von umfangreichen Supportstrukturen in seinem Rücken: das Team in Gießen, das sich um Logistik und Verwaltung kümmert, die Partner im In- und Ausland, die Ehrenamtlichen und all diejenigen, die sich spontan an den Mitmachaktionen beteiligen. Sie alle treiben GAiN, das Mitmachhilfswerk, voran.

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