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Big Brother im Umbau: Warum das Haus langsam zur Baustelle wird

Von Sophie Wurmb (Politikorange) / 11. Juni 2024
picture alliance / Carmen Anne Marie Iordache/Shots | Carmen Anne Marie Iordache

Wir schreiben das Jahr 2000: Reality-Formate erleben in den USA, dem Ursprungsland von Real Life Soaps, einen Boom und auch in Deutschland sorgt nun „Big Brother“ für Aufmerksamkeit.

RTL 2, Produzent der ersten Staffel, kündigt diese bereits als „alles andere als korrekt“ an, was schließlich von Landesmedienanstalten sowie deutschen Politiker*innen hinsichtlich der Menschenwürde diskutiert wird und das schon vor Ausstrahlung des Formates, bei welchem Personen ständig von Kameras umgeben sein und eine Revolution des Fernsehens einschlagen soll.

Von Tradition zu Trash

Aufgrund der Einführung des dualen Systems in der BRD, wodurch privat-kommerzieller dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gleichgesetzt wird, erhalten private Fernsehsender, welche keinen festen Programmauftrag verfolgen müssen, mehr Aufmerksamkeit. Kandidat*innen dieser Reality-Shows sollen hierbei einer zugewiesenen Biografie entsprechen, was auch von Seiten der Redaktion festgelegt wird. Bereits in der ersten Staffel von „Big Brother“ werden so Kandidat*innen als „Machosingle“ präsentiert und auch noch 2020 hat sich an dieser Art der Sexualisierung nichts geändert. Im Jahr 2000 läuten Reality-Shows den Wandel einer Gesellschaft ein, welche geprägt ist von traditionellen Lebensformen und nach persönlicher Identität und eigener Entscheidung sucht. Nach dem Soziologen Michael Hainz ist dieser Vorgang durch die Individualisierung der Menschen und die folgende Ausstrahlung und Präsentation des Privatlebens nach außen zu begründen. Ulrich M. Schmitz, Psychologe in der ersten Staffel, nennt das neue Zeitalter bereits 2001 ein Zeitalter der Grenzüberschreitung, welches durch die neue Verbindung durch das Internet ermöglicht wird. „Big Brother“ integriert bereits zu Anfang die Zuschauer*innen und entwickelt die Zuschauerbeziehung bis heute immer weiter, wodurch es den Zuschauer*innen ermöglicht wird, Entscheidungen durch das Internet für die Kandidat*innen zu treffen und auch auf Streaming-Formaten die Sendung zu verfolgen.

Von Kritik zu Interessenverlust

Die Show erreicht 2000 einen durchschnittlichen Marktanteil von 20 Prozent der 14 bis 49-jährigen Zielgruppe. Doch diese Zahl nimmt stetig ab. Bereits in der dritten Staffel eröffnet sich eine große Breite an „Big Brother“ ähnlichen Formaten, welche Zuschauer*innen den Überblick verlieren und die Quoten einstürzen lässt. Die Kritik ist zahlreich und sorgt auch dafür, dass 20 Jahre später die Zuschauerzahlen pro Folge bei 0,3 Millionen Zuschauer*innen und der Marktanteil der jungen Zielgruppe bei nur noch bei 2,2 Prozent liegt. Und dennoch: Die Zielgruppe der Show bleibt über die Jahre gleich. Unklar bleibt jedoch auch nach Jahren der Entwicklung, wie viel Teilnehmer*innen der Reality-Formate über ihre anstehenden Aufgaben und Risiken wissen und welche Einschränkungen mit der aktiven Entscheidung des Einzuges einhergehen. Eine Privatsphäre würde, bestätigt durch Interne, ermöglicht werden, doch Toiletten-Szenen aus den Anfangsjahren und eine noch heute andauernde Überwachung auf der Toilette, welche für Sicherheit sorgen solle, stellt hierzu ein Gegengewicht dar und veranlasst auch die Landesmedienanstalten 2000 dazu, ein Ausstrahlungsverbot erreichen zu wollen.

Heute wird nur noch selten über die Risiken und Einschränkungen diskutiert, denn in den letzten 20 Jahren erweitert sich das Angebot- und Streaming-Dienste gewinnen an Reichweite. Außerdem entwickelt sich das Interesse der Zuschauer*innen hinzu Shows mit Prominenten- sowie Dating-Shows, wie es auch eine Umfrage von Statista aus dem Jahr 2023 zeigt. Während sich für die zweite Staffel noch 70.000 Interessierte bewarben, sind es 2024 nur noch knapp 14.000. So wurde auch nach 2011 der Dreh von „Big Brother“ eingestellt und auch bis 2020 nicht mehr fortgeführt. Während dieser Zeit nimmt der ebenfalls privat-kommerzielle Sender Sat.1 den Dreh der Promi-Version von „Big Brother“ auf, welcher eine auffällig hohe Quote erreicht. Diese folgt nun nicht mehr dem Prinzip, dass unbekannte Menschen unvoreingenommen ihren Alltag präsentieren, was nach der Soziologin Angela Keppler das Prinzip von Real-Life-Soaps sei. Der aktuelle Wunsch nach Diversität in Reality-Shows besteht und bereits im Jahr 2000 wird bei „Big Brother“ auf individuelle Charaktere geachtet. Auch der Executive Director Rainer Laux wünscht sich für dieses Jahr Menschen, welche normalerweise nicht abgebildet werden, unabhängig von Alter und Beruf. Warum Sat.1 sich entschieden hat, erneut Prominente zu wählen und damit rückläufig hinsichtlich Diversität arbeitet, liegt wahrscheinlich an dem Interesse der Zuschauer*innen.

Von Erfolg zu Langeweile

2024, nach jahrelangen Unsicherheiten darüber, wer „Big Brother“ ausstrahlt, läuft die Reality-Life-Soap heute fast nur noch auf dem Anbieter Joyn Plus. Für die ständige Liveübertragung muss hier ebenso bezahlt werden wie bereits für die fünfte Staffel. Für die aktuelle Staffel gibt es auf dem Mikro-Blogging-Dienst X viel Kritik. Es wird darüber diskutiert, warum die Teilnehmer*innen in die gleiche Unterkunft ziehen, wie die vorherigen Promi „Big Brother“-Teilnehmer*innen. Die mangelnde Abwechslung und die Live-Streams werden als langweilig betitelt. Sat.1 wird in dem Zuge vorgeworfen, dass diese kein Interesse an „Big Brother“ hätten. Das Ergebnis – die Einzugsshow der Promi-Version erreichte eine Quote von 1,73 Millionen, während „Big Brother“ nur etwa 0,99 Millionen aufweisen kann – spiegelt die Interessen der Zuschauer*innen wider und somit auch die von den Produzent*innen.

Dr. Laura Sūna, Medienwissenschaftlerin beschreibt ebenfalls, dass die moderne Schnitttechnik dafür sorgt, dass heute Spannung entsteht. Da die „Big Brother“-Shows und Livestreams jedoch weniger geschnitten werden, könnte auch dies Grund für das Gefühl der Langeweile sein. In einem Gespräch mit einem Psychologen, welcher die Kandidat*innen der ersten Staffel betreute, spricht dieser im Magazin Spiegel über die verfliegende Faszination des Alltagslebens. Schmitz gibt an, dass Produzent*innen einen gewissen Druck hätten, etwas Neues zu machen, wenn die Faszination nicht mehr da ist, was auch als ein ausschlaggebender Punkt für den Drehstart von Promi-„Big Brother“ gilt. Jene Ergebnisse zeigen auf, dass die Entwicklung von Reality-TV abhängig ist von Interessen der Zuschauer*innen und somit nicht direkt als positiv oder negativ dargestellt werden kann, da diese Shows stückweise unsere Gesellschaft widerspiegeln und Produzent*innen auf Änderungen dieser reagieren.

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