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Clash of Cultures – Warum TTIP scheitern könnte

Von Jonas Freist-Held / 12. Mai 2016
picture alliance / Eibner-Pressefoto | Horn/ Eibner-Pressefoto

Die globale Dominanz des US-amerikanischen Handelsregimes hat eine lange Geschichte – genauso wie die soziokulturellen Reibungen zwischen Europa und den USA. Daran könnte das gemeinsame Handelsabkommen TTIP scheitern.

„Geht raus und verkauft Güter, die die Welt angenehmer und glücklicher machen und richtet sie aus nach den Prinzipien der Vereinigten Staaten von Amerika.“ Mit diesen Worten eröffnete der damalige US-Präsident Woodrow Wilson vor 100 Jahren den ersten World Salesmanship Congress in Detroit.

Freiheit, Gerechtigkeit und Humanität: Das waren die Prinzipien der Vereinigten Staaten, die Wilson mit einer weltweit orientierten Handelspolitik und einem Abbau der Handelsgrenzen in die Welt tragen wollte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die USA wie kein anderes Land in der Lage, in großer Menge standardisierte Güter herzustellen. Mit der Schaffung eines globalen Massenmarktes wollten die USA ihren Unternehmen Zugang zum ganz großen Geld eröffnen.

In den darauffolgenden Jahrzehnten forcierten die USA eine Liberalisierung des Welthandels und diktierten als größte Handelsmacht die Regeln. Durch eine institutionelle Reform im Jahre 1934, den sogenannten Reciprocal Trade Agreements Act, trieben die USA die Liberalisierung des globalen Handels voran. Damit legten sie die Grundlage für die Schaffung eines multilateralen Regimes für Wirtschafts- und Handelskooperation, das mit der Gründung der BrettonWoods-Institutionen 1944 und des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens GATT 1947, dem Vorläufer der heutigen Welthandelsorganisation, seinen ersten Höhepunkt erreichte.

Die Kinder von Marx und Coca-Cola

Die USA kreierten das erste Regime des Massenkonsums mit dem Ziel, allen Bürgern Zugang zu standardisierten Produkten zu ermöglichen. Im freien Markt konnten die Konsumenten ihre Grundbedürfnisse befriedigen und sich individuell entfalten. Freiheit, das war die Wahlfreiheit beim Konsum.

Die amerikanische Vision des souveränen Konsumenten prallte in den 1950er Jahren auf die europäische Vision des sozialen Bürgers. Der französische Drehbuchautor Jean-Luc Godard brachte dieses Spannungsverhältnis auf den Punkt, als er Europas Jugend der 1960er Jahre als die Kinder von Coca-Cola und Marx bezeichnete.

Die vom Krieg gescholtenen Gesellschaften in Europa waren mehr als empfänglich für amerikanische Produkte und Popkultur. Der amerikanische Kapitalismus prägt die europäischen Gesellschaften und das Konsumverhalten weltweit.

Aber: Nicht ohne eine gewisse Arroganz sehen sich die Europäerinnen und Europäer bis heute aus historischer Tradition als das bürgerliche Zentrum der Welt. In Europa ist Kultur ein staatlich gefördertes, hohes gesellschaftliches Gut, Qualität kommt vor Quantität und die Erhaltung der sozialen Gleichheit ist Aufgabe des Staates und nicht des Marktes. Viele Europäer begegnen den USA mit einer paradoxen Mischung aus Faszination und Misstrauen.

TTIP entblößt die kulturellen Unterschiede

Die von Greenpeace enthüllten geheimen TTIP-Dokumente über das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa zeigen eindrucksvoll, wie sich diese Muster bis heute fortsetzen. Die Dokumente legen offen, dass in den Verhandlungen das Setzen von Standards im Welthandel das Ziel von EU und USA ist – und dass dabei die europäischen Vorstellungen eines globalen Handelsregimes auf die der USA prallen.

Mit TTIP wollen die Amerikaner den EU-Markt für ihre Agrarprodukte öffnen. Die industrielle Massenproduktion in den USA erlaubt es den US-Landwirten, um ein Vielfaches günstiger als die Europäer zu produzieren. Trotzdem exportiert die EU viel mehr Agrarprodukte in die USA als umgekehrt. Das US-Handelsdefizit in der Landwirtschaft gegenüber der EU betrug zuletzt mehr als 5 Milliarden Euro pro Jahr. Aufgrund des in der EU geltenden Vorsorgeprinzips – ein fundierter Risikoverdacht rechtfertig ein Verbot – sind gen- und hormonmanipulierte Lebensmittel verboten, was viele der US-Produkte betrifft.

Die US-Landwirte wollen mit TTIP das wissenschaftsbasierte Nachsorgesystem – nur ein klarer Risikonachweis berechtigt die Verbannung eines Produktes – nach Europa bringen, um endlich einen lukrativen Absatzmarkt zu erschließen. Das Unverständnis über das als ungerechtfertigt empfundene europäische Verbot ist groß.

Darüber hinaus beschweren sich die USA über die europäische Praxis, Produkte mit besonderer regionaler und kultureller Bedeutung mit der regionalen Herkunftsbezeichnung zu schützen. Sie sehen darin eine Diskriminierung amerikanischer Erzeuger und ein Handelshemmnis – die Europäer einen Schutz von Qualität und kulturellem Erbe.

Umweltschutz, Zusammenarbeit bei Regulierungen, Arbeitsstandards, Investitionsschutz, öffentliches Beschaffungswesen: die Liste der Differenzen zwischen den USA und der EU ließe sich weiter fortführen. Für die USA ist es das erste Mal, dass sie mit einem Partner mit gleicher wirtschaftlicher Schlagkraft über ein Handelsabkommen verhandeln.

Auch die EU konnte in bisher mehr als hundert bi- und multilateralen Handelsabkommen ihre Vorstellungen durchsetzen. Bei den Verhandlungen über TTIP stehen sich die beiden größten Handelsmächte der Welt nun gegenüber. Wie es derzeit aussieht, sind die kulturellen und ideologischen Unterschiede zu groß, um detaillierte gemeinsame Regeln zu definieren.

Die in diesem Artikel geäußerten Einschätzungen und Auffassungen liegen in der Verantwortung der Autoren und spiegeln nicht unbedingt die
Meinung der Friedrich-Ebert-Stiftung oder der Herausgeber wider.

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