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Der kulturelle Einfluss auf Frauen und Mädchen auf dem Land

Von John Kazadi / 10. Januar 2023
picture alliance / imageBROKER | Michael Runkel

Viele Menschen sind stolz auf ihre kulturellen Traditionen und Gebräuche, ihre religiöse und ethnische Zugehörigkeit. Wir dürfen aber nicht außer Acht lassen, dass viele kulturelle Praktiken nach wie vor Mädchen und Frauen benachteiligen – besonders auf dem Land.

Die Globalisierung und die Ausbreitung der westlichen Kultur haben dazu geführt, dass sich Einstellungen zu kulturellen Traditionen und Geschlechterrollen stark gewandelt haben. Trotzdem werden noch heute, während wir weltweit mit verheerenden Ereignissen wie der Klimakatastrophe, Finanzkrisen und COVID-19 zu kämpfen haben, die Stimmen von tausenden von Mädchen in Afrika ignoriert, die ihre Träume und Potenziale nicht verwirklichen können. Auch diese Mädchen identifizieren sich mit ihrem Land, ihrer ethnischen Gemeinschaft, ihrer Hautfarbe oder ihrer politischen Partei. Sie werden aber auch noch durch etwas anderes geprägt – und das ist vielen gar nicht bewusst.

Ich weiß über meine eigenen kulturellen Wurzeln, dass viele unserer Traditionen Frauen weniger Freiräume zugestehen als Männern. Ich komme aus dem Kongo, genauer: aus einer Provinz namens Kasaï-Oriental. In der Ethnie der Luba, die dort lebt, gilt die Versorgung von Kindern und Haushalt als reine Frauensache.

Wenn ich mir meine Mutter anschaue, kann ich nur sagen: Sie hat sich nie auf eine so eng gefasste Rolle festlegen lassen. Das liegt aber daran, dass sie nicht in einem Dorf aufwuchs, wo jeder Handgriff und jede Entscheidung kulturell geprägt ist und Frauen nach wie vor unterdrückt werden. Für meine Mutter war es ein großer Vorteil, in der Stadt aufgewachsen zu sein – und für mich letztlich auch.

Meine Mutter hat ein kleines Unternehmen, das meine Familie seit Jahren ernährt. Das unterscheidet sie von den meisten Mädchen und Frauen, die nicht selbst entscheiden dürfen, welchen Weg sie einschlagen, wie sie ihren Lebensunterhalt verdienen oder wie ihre Familie versorgt wird. Diese Entscheidungen haben ihre Vorfahren schon für sie getroffen. Im Lauf der Jahrhunderte haben auch Frauen diese „Normalität“ verinnerlicht. Wie aber können solche Traditionen als „normal“ gelten? Wenn ich es kritisch betrachte, sehe ich, wie viele Potenziale und Fähigkeiten im Namen kultureller Werte einfach vergeudet werden.

Die Männerwelt und der Schaden, den sie anrichtet

Stellt euch vor, ihr lebt als Frau in einem Lager für Geflüchtete, und eure Eltern erlauben euch nicht, die Schule zu besuchen. Für euch selbst sorgen dürft ihr aber auch nicht, denn das ist die Aufgabe des Mannes, der euch heiraten wird. Was würdet ihr tun? Anstatt die Entscheidung einer Person zu akzeptieren oder sogar zu unterstützen, gibt es immer noch diesen fragwürdigen Respekt vor überkommenen Traditionen, die nichts außer Schaden anrichten. Man muss stark sein und einen offenen Geist haben, um diese Traditionen in Frage zu stellen. Bis das geschieht, werden Frauen und Mädchen weiterhin die Leidtragenden sein.

In den meisten afrikanischen Gemeinschaften sind es die gebildeten Männer und Frauen, die am ehesten bereit sind, neue Wege zu gehen. Auf dem Land, wo man weniger frei ist, seinen Weg zu gehen, und in den Schichten mit weniger Zugang zu Bildung gelten diese ungeschriebenen Regeln noch heute. Frühe Eheschließungen und Zwangsverheiratungen gehören in den meisten entlegenen Regionen Afrikas zu den am weitesten verbreiteten Riten.

Aus Gesprächen mit 30 jungen Menschen aus Malawi, der DR Kongo, Burundi, Ruanda und Somalia habe ich erfahren, dass viele junge Mädchen ihre Träume und Ziele aufgeben müssen, um sich traditionellen Normen zu unterwerfen. In einigen Familien, die in finanzieller Armut leben, werden Mädchen wie Vermögensgegenstände verschachert, um die Familie zu ernähren: Sie werden einfach in Beziehungen gezwungen, obwohl sie nicht wollen. In Malawi gibt es eine Praxis namens „Fisi“, die das Leben zahlloser junger Frauen zerstört. Gemäß dieser Tradition werden Mädchen, die zum ersten Mal menstruieren, zu einem Heiligtum gebracht, wo sie einem älteren Mann aus dem Dorf überlassen wird, der mit ihnen allen Geschlechtsverkehr hat.

Es ist klar, dass eine sexuelle Erfahrung in einem so jungen Alter Mädchen körperlich und psychisch schwer belastet. In der Tat reden wir hier von Vergewaltigung. Aber Mädchen auf dem Land wurden so erzogen, dass sie gehorchen. Aus Gesprächen mit anderen jungen Menschen aus den Dörfern rund um das Lager Dzaleka in Malawi habe ich erfahren, dass ein Mädchen (sie ist jetzt 19) durch diese Praxis sogar mit HIV infiziert wurde. Das hat mich schockiert.

Es heißt, wir leben in einer Männerwelt. Das ist aber weder eine Erklärung noch eine Entschuldigung für all das Unrecht, das Frauen angetan wird. Verinnerlichte Verhaltensmuster sind schwer zu bekämpfen. Wir müssen den Menschen aber vermitteln, dass es nicht zu spät ist, diese gesellschaftlichen Strukturen zu verändern.

Aufklärung, die befreit

Ich bin fest davon überzeugt, dass trotz unserer unterschiedlichen Hintergründe Männer und Frauen die gleiche, gerechte Behandlung verdienen. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, bevor wir schädliche kulturelle Praktiken endgültig abgeschüttelt haben. Wenn wir uns in einer kollektiven Entscheidung dazu durchringen, haben wir die Chance, die Menschen zu erreichen und aufzuzeigen, welche gefährlichen (und auch gesundheitsgefährdenden) Auswirkungen diese veralteten Einstellungen haben, die immer noch das gesellschaftliche Leben prägen. Ziel muss sein, die Mädchen – die nichts dafür können – vor diesen Praktiken zu schützen und ihnen die Freiheit zu geben, ihre eigenen Wünsche zu verfolgen und realisieren.

Die Auswirkungen dieser Praktiken wollte ich unbedingt besser verstehen, und ich will nach Wegen suchen, wie wir sie überwinden können. Also habe ich eine Podiumsdiskussion mit Jungen und Mädchen aus Dzaleka und der Umgebung organisiert, um darüber zu sprechen. Die meisten hielten politische Bildung für eine wirksame Möglichkeit, das Thema anzugehen. Der Grund, warum die meisten Mädchen und Frauen unterdrückt werden, ist, dass sie keinen Zugang zu den richtigen Informationen haben. Wenn wir ihnen diesen Zugang bieten, werden sie wahrscheinlich sehen, dass diese Praktiken nur negative Auswirkungen auf sie haben. Außerdem brauchen Mädchen Zugang zu geschützten Räumen, in denen sie über sexuelle und reproduktive Gesundheit aufgeklärt werden. Dieses Wissen kann sie darin bestärken, selbst über ihren Körper bestimmen zu wollen.

Wie immer bei politischer Bildung braucht es jedoch auch Lobbyarbeit. Gesellschaftlicher Druck hält viele Mädchen immer noch davon ab, ihre Stimme zu erheben. Wenn wir sie ermutigen wollen, ihre Anliegen zur Sprache zu bringen, müssen wir selbst diese Themen in den betreffenden Gesellschaften auf die Tagesordnung setzen. Hier in Dzaleka ist Plan International sehr engagiert dabei, Kampagnen zur Bewusstseinsbildung zu organisieren, um Praktiken zu bekämpfen, die Mädchen und Frauen gefährden. Wir alle müssen aber auch selbst immer wieder das öffentliche Gespräch suchen, damit Menschen aus den vulnerabelsten Gruppen endlich grundlegenden Schutz genießen.

„Frühe Eheschließungen zwingen viele Mädchen dazu, die Schule zu verlassen. Dadurch haben sie keine Chance mehr, ihre eigenen Wünsche und Ziele für die Zukunft zu verwirklichen. Jeder Mensch, egal welchen Geschlechts, verdient es, über sein eigenes Leben entscheiden zu dürfen. Gerade Mädchen müssen Entscheidungsfreiheit haben, denn es geht um ihre eigene sexuelle und reproduktive Gesundheit.“

Nyota (DR Kongo), 22

„Frühe Eheschließungen führen zu immer mehr geschlechtsbezogener Gewalt. Auch Ehescheidungen werden immer häufiger. Unsere Eltern müssen verstehen, dass die Ehe keine Lösung für familiäre Probleme ist. Klar, vielleicht bekommt man von den Männern ein bisschen finanzielle Hilfe – aber zu welchem Preis? Ich glaube, der einzige Weg zur Lösung des Problems ist Aufklärungsarbeit bei den Eltern.“

Devota (Burundi), 25

„Als ich 14 Jahre alt war, stellte man mich einem alten Mann vor, der mir im Namen der Kultur ohne meine Zustimmung die Jungfräulichkeit nahm. In Malawi nennen wir das ‚Fisi‘. Jedes Mädchen muss über ihren eigenen Körper verfügen dürfen. Die Erinnerung ist zehn Jahre danach immer noch so frisch. Fisi zerstört Menschenleben. Die meisten Mädchen, die sich dem Ritual unterziehen müssen, lernen dabei, dass sie ihre Träume begraben müssen, wenn sie verantwortungsbewusste Frauen werden wollen, die ihre ehelichen Pflichten kennen. Man bringt ihnen auch bei, dass das Beste an der Ehe der Sex und eine frühe Schwangerschaft sei. Aber was ist mit HIV und AIDS? Wir müssen diese toxischen Praktiken abschaffen, wenn unser Land erfolgreich und jugendfreundlich werden soll.“

Jill (Malawi), 24

(Von Bianca Walther übersetzter Text hier im englischen Originalbeitrag, Bilder: privat)

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