„Der Journalismus als System ist im Kern kaputt“
Medien üben seit jeher Einfluss aus – in Zeiten von Social Media und Filterblasen aber mehr denn je. Mit ihrer App „Buzzard“ wollen Dario Nassal und Felix Friedrich die vielfältigen Stimmen in der Medienwelt abbilden und journalistisch einordnen. Wie das funktionieren soll und welches Ziel dahintersteckt, verrät einer der Gründer im Interview.
Sagwas: Wie ist die Idee für Buzzard entstanden?
Felix Friedrich: In den letzten Jahren ist uns aufgefallen, dass politische Diskussionen zunehmend mit einer unglaublichen Einseitigkeit und teils auch unfair geführt werden. Es wird extrem hart stigmatisiert und mit Vorurteilen um sich geworfen. Debatten laufen nicht auf Augenhöhe.
Stattdessen geht es häufig um den Einfluss mächtiger Interessengruppen – Wirtschaftsverbände und Lobbys wie die Kohleindustrie oder der Energiesektor. Interessenvertretungen mit weniger Geld und Einfluss werden auch weniger gehört, egal, wie sinnvoll ihre Argumente sind. Das kann und darf in einer Demokratie nicht Voraussetzung für eine politische Auseinandersetzung sein.
Mit Buzzard glauben wir einen Weg gefunden zu haben, wieder sachlich zu diskutieren, verschiedene Argumente abzubilden, Andersdenkende nicht auszugrenzen – es sei denn, es sind antidemokratische Stimmen – und so zu fairen politischen Lösungen zu gelangen.
Ihr werbt mit dem Slogan „Raus aus der Filterblase“. Glaubt ihr, dass ihr mit eurer App auch Menschen erreicht, die anfällig für vorsortierte Informationen oder Fake News sind?
Leicht ist das nicht. Allerdings glaube ich, dass es vielen Medienmachenden so geht. Teilweise besteht bei diesen gar kein Interesse daran, die gesamte Gesellschaft anzusprechen, sondern nur bestimmte Zielgruppen.
Dahingehend unterscheiden wir uns meiner Meinung nach schon. Wir haben den Anspruch, dass wir zu aktuellen Debatten sehr breit schauen, was in den Medien berichtet wird – von rechtskonservativen bis zu linksprogressiven Blogs, klassischen Zeitungen bis zu den Öffentlich-Rechtlichen, national bis international. Täglich sondieren wir rund 1800 Quellen.
Wie wählt ihr aus dieser Fülle eure Themen aus?
Zuerst sortieren wir sie nach Aktualität. Dann konzentrieren wir uns auf gesellschaftspolitische Themen, die für die Menschen hier eine Bedeutung haben. Außerdem fokussieren wir uns auf Kontroversen, bei denen wir merken, dass sie eine gewisse Emotionalität und Vorurteile mittransportieren, sodass der Diskurs abzudriften oder sogar zu vergiften droht.
Auf Buzzard präsentieren wir zu unseren drei Tagesthemen gezielt gegensätzliche Blickwinkel aus der Medienlandschaft. So wollen wir LeserInnen helfen, die ganze Bandbreite von Argumenten zu sehen und sich daraus eine Meinung zu bilden: sachlich, nüchtern und lösungsorientiert.
Mit dieser Auswahl setzt ihr aber auch eigene Schwerpunkte. Steht das nicht im Widerspruch zur These, dass Medien zu wenig neutral und umfassend berichten?
Medien sind nie Selbstzweck. In erster Linie sollen sie zwar ein Kanal sein, der Stimmen aus der Politik in die Gesellschaft oder andersherum transportiert. Dieses Bild ist aber nicht realistisch. Medien sind selbst auch Akteure und werden von Menschen gemacht, die die Welt auf bestimmte Weise wahrnehmen. Dadurch ist es unausweichlich, dass auch JournalistInnen Interessen vertreten.
Manche wollen sich dabei profilieren, andere Meinung machen. Mit Buzzard wollen wir uns auf die grundlegenden Funktionen des Journalismus besinnen: eine Kontrollfunktion gegenüber den Mächtigen einnehmen und die BürgerInnen durch Informationen dazu ermächtigen, eigene politische Entscheidungen zu treffen.
Wir glauben, dass dieser Einfluss notwendig ist, denn der Journalismus als System ist im Kern kaputt, weil er zu interessensdominiert und zu wenig divers ist. Wir wollen bewirken, dass er wieder bürger- und lösungsorientierter wird.
Seid ihr damit bislang erfolgreich?
Natürlich sind wir noch nicht am Ziel. Wir brauchen mehr Menschen, die unsere Idee und unser Konzept verstehen und sich uns anschließen. Aktuell haben wir mehr als 2.600 Mitglieder, die regelmäßig Beiträge zahlen, um unsere Arbeit zu finanzieren. Wir hoffen, dass es bald 3.000 werden, damit wir uns weiterentwickeln und neue Formate ausprobieren können.
Um unser Ziel schneller zu erreichen, haben wir ein Medienkompetenz-Projekt an Schulen in Deutschland gestartet. SchülerInnen können die App dabei kostenlos nutzen und lernen, wie Fake News und Filterblasen entstehen und wie man diese durchschaut. Da bin ich sehr optimistisch, dass das insgesamt einen positiven Einfluss haben wird.
Ansonsten haben wir viele Ideen, wie man Buzzard ausbauen könnte. Unser nächstes Ziel ist es jetzt, UserInnen zu ermöglichen, selbst an Debatten teilzuhaben.
Momentan ist das noch nicht möglich. Warum hat Buzzard bislang keine Kommentarfunktion?
Aktuell fehlen uns die Ressourcen, um die Diskussionsfunktion so umzusetzen, dass sie unserem Anspruch gerecht wird. Wir wollen als Team involviert sein und ein Format schaffen, das unserem Grundsatz gerecht wird: sich sachlich, konstruktiv, vernetzt und auf Augenhöhe miteinander auszutauschen.
Danke für das Gespräch!