Die Aura des Lustvollen
Sexualität ist an sich ein reines Grundbedürfnis des Menschen. Erst ein erotisches Umfeld treibt den Reiz auf die Spitze. Und Erotik findet in vielen Dingen ihren Ausdruck – ganz explizit oder in sublimer Weise.
Auf dem Weg zum Berliner Museum der Dinge verkündet ein Sticker eine gewagte Botschaft: „A pen is mightier than a penis“. Er klebt an der Glasscheibe eines Antiquitätengeschäfts. Der Satz klingt in Zeiten von #metoo eher wie eine Drohung. (Oder wie eine leise Hoffnung?) Aber den Kampf der Geschlechter lasse ich heute beiseite und gehe zielstrebig der Ausstellung „Erotik der Dinge“ entgegen. Mal sehen, wie sich Sexuelles im Laufe der Geschichte dingfest machen lässt. Und woran.
Mit roten Wangen und etwas außer Atem erreiche ich im ersten Stockwerk die ersten Ausstellungsobjekte. „Erotische Museumsstücke für Zuhause“ besagt ein Schild auf einem Tisch. Es klingt züchtig. Meinen Blick zieht eine rundliche Frauenfigur mit großen Brüsten, Schwabbelbauch, kräftigen Schenkeln und ausladendem Po auf sich: Die Replik der Venus von Willendorf, die vor 30.000 Jahren erschaffen wurde, geizt nicht mit Reizen. Ihr fehlt ein Gesicht, dafür ist die Vulva gut herausgearbeitet.
Ihr beigestellt ist die Venus von Milo, die bekannte Statue der Göttin Aphrodite aus dem 2. Jahrhundert vor Christus. Fast anmutig zeigt sie ihren flachen Bauch und die spitzen Brüste. Ein um ihre Hüften geschlungener Stoff bedeckt Intimbereich und Beine, das Gesicht ist detailgetreu abgebildet. Die zwei Liebesgöttinnen sind nicht nur Ikonen der Kunstgeschichte, sondern auch Sinn- und Abbild der Vorstellungen von Weiblichkeit und sexueller Ausstrahlung ihrer Zeit.
Die antike Aphrodite ist mir indes zu perfekt; sie erinnert mich an mit Photoshop bearbeitete Frauenbilder diverser Werbekampagnen. Die erste Frauenfigur wirkt natürlicher und lebensnaher, was ich als erotischer empfinde. Und damit bin ich nicht allein: 2017 zensierte Facebook ein gepostetes Bild der Venus von Willendorf. Es galt kurzzeitig als „pornografisch“ und widersprach damit den AGB.
Süße Früchte und Doppelmoral
Im nächsten Ausstellungsraum läuft ein Video. Eine Hand greift nach einer Birne, streichelt entlang der Spalte eines Pfirsichs, berührt mit den Fingerkuppen die gewölbten Kammern einer aufgeschnittenen, saftigen Orange. Und ich? Vermisse eine Banane im Früchte-Arrangement. Eine Banane zu essen, ohne einen einzigen Gedanken an ihre erotische Zweideutigkeit zu verschwenden, gelingt mir tatsächlich selten.
In der nächsten Vitrine liegt ein ovaler Quarz mit einer perfekt gewölbten Öffnung. Farbe und Form ähneln einer Vagina – eine Ausnahme, lerne ich, denn die erotische Vielfalt in der Kategorie „Naturdinge“ entspricht bei Kalk- und Kieselsteinen weitaus häufiger der Form eines Phallus. Fast wirkt es so, als ob der männliche Trieb durch symbolhafte Ausformungen nach Aufmerksamkeit und Dominanz strebt. Wenn er darf.
Eine zweiteilige Keramikzuckerdose beleuchtet die Kehrseite dieser Geschichte. Sie trägt den Namen „Zuckerhut“. Unten ein bauchiger Korpus, oben eine enge Öffnung. Der Deckel hat die Form eines Kegels mit schmaler Taille und kugelrundem Abschluss. Ein Design der Marke Kahla aus dem Jahr 2013. Ungläubig lese ich die Erläuterung zu dem Ausstellungsstück: Der Deckel musste für den amerikanischen Markt geändert werden, weil er zu sehr an einen Phallus erinnere. Ich kann nur schwer etwas Erotisches an diesem Objekt erkennen. Außerdem verwundert mich, dass im Zeitalter allgegenwärtigen Pornokonsums ausgerechnet der Deckel einer Zuckerdose von Sittenwächtern als „zu erotisch aufgeladen“ beanstandet wird. Und dann auch wieder nicht – es ist ein weiteres Beispiel für die Prüderie und Doppelmoral der konservativen amerikanischen Gesellschaft, sage ich mir.
Und wir? Mit mir in einem Raum voller Tische sind mehrere Pärchen und zwei Freundinnen. Ich beobachte erstaunte Blicke, höre Geflüster und Lachen. Jeder Tisch ist einer Kategorie zugeordnet. Es gibt: Lehrmittel, Liebesmittel, Fetischobjekte, Körperformen, Erotika – ein Sammelsurium an Gegenständen für den alltäglichen Gebrauch. Aber auch: ein Radio mit roten vollmundigen Plastiklippen, Salz- und Pfefferstreuer in Penis-Form, Teller und Tassen mit Darstellungen erotischer Szenen zwischen Männern oder Frauen, ein Nussknacker mit Damenbeinen, ein in Holz geschnitzter Liebesakt und sogar eine Gürtelschnalle, die aus einer Frau in Nonnenkluft geschickt eine Frau im Evakostüm macht.
Vergangenes und Neues
Der Tisch „Aus dem Herrenzimmer“ präsentiert Objekte zum Rasieren, Rauchen Trinken, Schreiben, alle überwiegend aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Auf der Spitze einer Pfeife sitzt eine Dame mit hochgeschobenem Rock und gespreiztem Beinen. Erotische Szenen zieren Tintenfässer, nackte Frauen Taschenuhren. Auf einem Feuerzeug blickt ein Mann auf die vor ihm kniende Frau herunter, sein erigiertes Glied in ihr. Obwohl die Illustrationen ein Abbild der patriarchalischen Verhältnisse jener Epoche sind, spricht aus ihnen eine pubertäre Harmlosigkeit, die wohl Fantasien beflügeln soll.
Die Zeiten, in denen Frau unhinterfragt als reines Lustobjekt für den Mann gesehen wird, gehören der Vergangenheit an. Zum Glück! Einen offeneren Umgang mit weiblicher Sexualität beweist die umfangreiche Sammlung von Sexspielzeug in der Kategorie „Liebesmittel“. Plastik-Dildos in grellen Farben, schmale Drähte mit Kügelchen und eine Bluetoothbox mit länglich runder Öffnung laden zum Entdecken ein. Dass derartiges Sexspielzeug seinen Schmuddelcharakter verloren hat, ist nicht zuletzt Startups wie Amorelie zu verdanken, die das Ausprobieren von Sextoys herrlich offensiv bewerben.
Wie viel es im sexuellen Universum zu entdecken gibt, zeigen mir die „Werkzeuge der Lust“, die letzte Station der Ausstellung. Das runde Rohr eines Staubsaugeraufsatzes, Frischhaltefolie, Bürsten, Sprühflaschen, Wäscheklammern… hier ist eindeutig Assoziationsvermögen und Fantasie gefragt. Meiner hilft eine Computermaus mit Brüsten auf die Sprünge: Wäscheklammern lassen sich an Brustwarzen klemmen. Oh! Diese Vorstellung finde ich physisch wie visuell zwar seltsam. Aber kein Problem, denn so unterschiedlich die Menschen sind, so verschiedenartig ist ihre Sexualität und das, was für sie ein lustvolles Objekte der Begierde darstellt.