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Die deutsche Wiedervereinigung als Vorbild für Korea

Von Lea Deuber / 1. Oktober 2014
picture alliance / dpa | ©nicolas Datiche/wostok Press

Seit der Teilung der Koreanischen Halbinsel vor mehr als 60 Jahren kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen dem kapitalistischen Süden und dem kommunistischen Norden des Landes. Eine baldige Wiedervereinigung ist nicht in Sicht. Trotzdem bereitet man sich darauf vor und sieht dabei die deutsch-deutsche Wiedervereinigung als Vorbild. Ein Bericht von Lea Deuber Er sitzt […]

Seit der Teilung der Koreanischen Halbinsel vor mehr als 60 Jahren kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen dem kapitalistischen Süden und dem kommunistischen Norden des Landes. Eine baldige Wiedervereinigung ist nicht in Sicht. Trotzdem bereitet man sich darauf vor und sieht dabei die deutsch-deutsche Wiedervereinigung als Vorbild. Ein Bericht von Lea Deuber

Er sitzt im Bus und wartet. Gleich ist es soweit. Imjingak. Das erste Schild taucht auf. Er lächelt. Der Südkoreaner Kim Young-jin ist 57 Jahre alt und Pastor. Seine Familie stammt aus Kaesong. Das ist ein Ort unweit der koreanischen Grenze. Als der Krieg in Korea ausbrach, wurde seine Familie getrennt. Der Kontakt zur Tante und den Großeltern in Nordkorea ist abgebrochen. Trotzdem fährt er häufig in das Dorf Imjingak, das an der Grenze liegt. Aber nicht alle Südkoreaner haben einen Bezug zu diesem Thema. Manche würden sich überhaupt nicht für diese Situation interessieren, sagt Kim. Er aber glaubt an die Wiedervereinigung. „Es ist wichtig, dass die Teilung nicht vergessen wird, und was sie für die Menschen in Korea bedeutet.“

Imjingak. Ein Besucher blickt durch den mit Wunschbändern gesäumten Grenzzaun nach Nordkorea.  (Foto:  picture alliance / AP Photo / Lee Jin-man)
Imjingak. Ein Besucher blickt durch den mit Wunschbändern gesäumten Grenzzaun nach Nordkorea. (Foto: picture alliance / AP Photo / Lee Jin-man)

Die Besucher Imjingaks können von einer Aussichtsplattform in Richtung der nordkoreanischen Grenze schauen, wo bei gutem Wetter nordkoreanische, marschierende Soldaten zu erkennen sind. Näher kommt man kaum. An den Grenzzäunen hängen farbige Stoffbänder mit Friedensbotschaften der Besucher. Viele sind südkoreanische Touristen, die einfach einmal über die Grenze schauen wollen. Sie drängen sich um die Ferngläser auf der Aussichtsplattform. Spannend, finden das die meisten. „Einfach mal schauen, wie das da so ist“, sagt eine Studentin aus Seoul.

Aber auch andere Menschen kommen hierher. Garland Pohl Debner beispielsweise. Nachdenklich steht sie vor dem hohen Stacheldraht, der den Durchgang nach Nordkorea versperrt. Ihr Ehemann war gerade mal 20 und hatte angefangen zu studieren, kurz bevor er in den Koreakrieg zog, berichtet die 75-Jährige. „Als Amerikanerin ist es natürlich eine besondere Situation hierher zukommen“, erzählt sie. Dass ihr Ehemann sich damals freiwillig gemeldet hatte, um „ein paar Kommunisten zu töten“, bereitet ihr heute Kopfschütteln. „Es erfüllt mich mit Schuldgefühlen. Ich hoffe, dass es bald eine politischen Wende geben wird.“

Leider könne man derzeit immer noch nicht von einer wirklichen Annäherung Sud- und Nordkoreas sprechen, so Prof. Ralf Wrobel. (Foto: privat)
Leider könne man derzeit immer noch nicht von einer wirklichen Annäherung Süd- und Nordkoreas sprechen, so Prof. Ralf Wrobel. (Foto: privat)

Die Koreanische Halbinsel ist seit dem Koreakrieg von 1950 bis 1953 geteilt. Von 1998 bis 2008 betrieb das kapitalistische Südkorea eine sogenannte Sonnenscheinpolitik. Man bemühte sich stark um die Verbesserung der Beziehung zu Nordkorea. Dazu gehörten beispielsweise die Zusammenführung von koreanischen Familien und der Aufbau des nordkoreanischen Kaesong-Industrieparks, der an die südkoreanische Provinz Gyeonggi-do grenzt. „Die Sonnenscheinpolitik führte zunächst zu einer Entspannung“, sagt Ralph Wrobel. Er ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Westsächsischen Hochschule Zwickau und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Koreakonflikt. 2006 war er selbst in Nordkorea. In dieser Zeit bedrohte Nordkorea zum wiederholten Mal den Süden mit Atom- und Raketentests. „Südkorea musste sich irgendwann ausgenutzt fühlen“, sagt Wrobel.

Die konservative Regierung Südkoreas unter Präsident Lee Myung-bak setzte deshalb von 2008 bis 2013 auf eine kompromisslosere Politik. Seitdem hat sich die Beziehung zwischen Süd- und Nordkorea rapide verschlechtert. „Nordkorea antwortete aggressiv auf diese veränderte außenpolitische Linie Südkoreas“, sagt Wrobel. Im März 2010 wurde ein südkoreanisches Schiff von Nordkorea im Grenzgebiet versenkt, im November desselben Jahres wurde die südkoreanische Insel Yeonpyeong von Nordkorea beschossen. Auch führte Nordkorea erneut Raketentests durch. Zudem will das Land sein Atomprogramm wieder aufnehmen.

Grund für die aggressive Politik Nordkoreas in den vergangenen Jahren ist aber nicht nur der Kurswechsel der südkoreanischen Regierung, sondern auch der Machtwechsel im Norden. Der neue Diktator, Kim Jong-un, der 2012 die Nachfolge seines Vaters Kim Jong-il antrat, wollte sich durch die Aggressionen profilieren und seine Macht festigen. Diese Phase scheint nun langsam vorbei zu sein. So besteht mittlerweile auch wieder Gesprächsbereitschaft und man kann versöhnlichere Töne aus Nordkorea hören. So kam es im Februar 2014 wieder zu direkten Gesprächen zwischen den Ländern, und im darauf folgenden Sommer schlug die nordkoreanische Regierung eine „Einstellung der Feindseligkeiten“ vor. Dennoch könne man derzeit kaum von einer wirklichen Annäherung sprechen, sagt Wrobel. Er ist jedoch davon überzeugt, dass eine Wiedervereinigung grundsätzlich möglich ist. „Wer hat schließlich im Frühjahr 1989 an eine deutsche Wiedervereinigung geglaubt?“

Für die Menschen in Nordkorea ist laut Amnesty International die Situation immer wieder kritisch. Es gibt starke Verstöße gegen die Menschenrechte, Hunderttausende müssen in politischen Straflagern Zwangsarbeit verrichten. Die Nahrungsmittelversorgung ist schlecht. Auch wenn zuletzt die Ernteerträge verbessert werden konnten, ist chronische Unterernährung immer noch Alltag. Viele Menschen sind auf Lebensmittelhilfe angewiesen und es wird immer wieder über Hungertote berichtet. Auch an anderen Grundversorgungsmitteln wie Wasser und Strom mangelt es. „Es gibt seit Langem Hinweise darauf, dass das nordkoreanische Wirtschaftssystem am Ende ist“, sagt Wrobel. Trotzdem kann sich die Diktatur der Kim-Dynastie in dem abgeschotteten Land an der Macht halten. „Wenn man Nordkorea besucht, stellt man fest, dass es sich um ein typisch stalinistisches System mit Überwachung, Hirnwäsche, Arbeitslagern und Führerkult handelt“, sagt Wrobel, „die Kinder werden schon im jüngsten Alter auf den ‚Führer’ eingeschworen“. Die Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten der einfachen Bevölkerung sind beschränkt. An Reisen ins Ausland ist für die meisten nicht zu denken. Angesichts der Repressionen und fehlenden Freiheiten verlassen jedes Jahr Tausende Flüchtlinge das Land.

Nordkorea wird nach wie vor durch China unterstützt, da es ein wichtiger geostrategischer Puffer zwischen der Volksrepublik und dem amerikanischen Stützpunkt in Südkorea ist. Außerdem hat Nordkorea Mineralien, Metalle und Arbeitskräfte, die China gut gebrauchen kann. Zudem fürchtet sich die Volksrepublik vor Flüchtlingsströmen, die im Fall eines Zusammenbruchs Nordkoreas aus dem Nachbarstaat ins Land kommen würden. „So lange China Nordkorea nicht fallen lässt, ist kaum mit einer Wiedervereinigung zu rechnen“, sagt Wrobel.

Ungeachtet dessen gibt man auf südkoreanischer Seite nicht auf. Die neue Regierung unter Präsidentin Park Geun-hye, die seit Februar 2013 im Amt ist, beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Wiedervereinigung. Das Land hat mehrere Think Tanks und Forschungsinstitute eingerichtet, die sich den Entwicklungen in Nordkorea und den Möglichkeiten einer Wiedervereinigung widmen. Zwischenzeitlich sollte eine Wiedervereinigungssteuer eingeführt werden, um im Fall des Zusammenbruchs Nordkoreas über die notwendigen Mittel zur Finanzierung der Wiedervereinigung zu verfügen.

Die Regierung zielt auch darauf, das Bewusstsein der Bevölkerung für eine mögliche Wiedervereinigung zu stärken, etwa durch die sogenannte Wiedervereinigungserziehung. So hat Wrobel beispielsweise vor südkoreanischen Lehrern über die deutsche Wiedervereinigung gesprochen. Die Lehrkräfte sollen dieses Thema dann wiederum in ihre Klassenräume tragen.

Allerdings ist das Interesse an der Wiedervereinigung aufseiten der Bevölkerung nur gering. In einer Studie der südkoreanischen Fernsehanstalt Korea Broadcasting System (KBS) 2012 sprachen sich nur 25 Prozent der befragten Südkoreaner für eine Wiedervereinigung aus. 43 Prozent würden diese nur unterstützen, wenn sie keine zu große Bürde für Südkorea bedeuten würde. Weitere 25 Prozent halten lediglich eine stärkere Kooperation der Staaten für möglich. 7 Prozent wollen gar keinen Kontakt zu Korea.

Die Gründe dafür sind verschieden. Im geteilten Deutschland konnten Westdeutsche zum Beispiel „Westpakete“ an Familiengehörige im Osten verschicken, die westliche Lebensmittel, Kleider und persönliche Briefe enthielten. Auch konnten Westdeutsche als Tourist oder für Familienbesuche den ostdeutschen Teil eingeschränkt bereisen. In Südkorea hat nur noch die ältere Bevölkerung eine Erinnerung an das vereinigte Korea. Sie sind 80 Jahre und älter. Es gibt zwar Nichtregierungsorganisationen, die sich für eine Wiedervereinigung einsetzen. Die koreanische Kirche gehört beispielsweise dazu. Ein Drittel der Koreaner ist christlich. Die Stimmen der Kirchenorganisationen haben durchaus Gewicht. Sie organisieren Andachten, Demonstrationen und Diskussionsveranstaltungen zu dem Thema. „Aber die meisten sehen keinen Nutzen in einer Wiedervereinigung, sondern nur die möglichen Wohlstandsverluste für sich und die hohen Kosten für Südkorea“, sagt Wrobel.

Schätzungen, was die koreanische Vereinigung kosten könnte, gibt es nicht. „Man muss aber davon ausgehen, dass sie deutlich teurer werden würde, als die deutsche Wiedervereinigung“, sagt Wrobel. Der gegenwärtige Abstand in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zwischen Nord- und Südkorea ist deutlich größer als im Jahr 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. Wrobel sagt, dass einige Analysten sogar von einem etwa 30 Mal größeren Abstand ausgehen. Auch gibt es zwischen Korea und Deutschland deutliche Unterschiede in den Bevölkerungszahlen. In Südkorea leben etwa 50 Millionen Einwohner, in Nordkorea ungefähr 24 Millionen – das Verhältnis ist also etwa zwei zu eins. In Deutschland lebten im Jahr der Wiedervereinigung etwa 64 Millionen Menschen im Westen und nur knapp 16 Millionen im Osten. Südkorea müsste also enorme finanzielle Hilfen aufbringen und gleichzeitig Millionen Flüchtlinge aus dem nördlichen Teil aufnehmen.

Wrobel macht deutlich, dass das Land dafür auf einen großen Teil seines derzeit vorhandenen Wohlstands verzichten müsste. So müsste zum Beispiel kurzfristig ein Ernährungsprogramm für 24 Millionen Nordkoreaner aufgelegt werden. In der Studie der KBS erklärten 40 Prozent der Befragten, dass sie nicht dazu bereit wären, finanzielle Einbußen für eine Wiedervereinigung hinzunehmen. Mehr als 40 Prozent würden dafür lediglich weniger als ein Prozent ihres Einkommens geben.

Die Parallelen zur deutsch-deutschen Situation 1989/90 liegen zwar auf der Hand: Wie im damaligen Deutschland stehen sich im heutigen Korea ein demokratischer, marktwirtschaftlicher und stabiler Staat und eine kommunistische Diktatur, die wirtschaftlich am Ende ist, gegenüber. „Das Interesse am deutschen Beispiel ist deshalb groß“, sagt Wrobel. „Die südkoreanische Regierung blickt ganz bewusst nach Deutschland und versucht, aus unseren Fehlern und Erfolgen zu lernen.“ Aber auch die Unterschiede sind groß. Nord- und Südkorea haben im Koreakrieg vier Jahre gegeneinander gekämpft. Die stalinistische Diktatur in Norden ist zudem wirtschaftlich viel schwächer als es die DDR 1990 war. Die Ostdeutschen hatten zudem viel mehr Westkontakte als die Nordkoreaner. Für Wrobel ist deshalb klar: „Eine potenzielle Wiedervereinigung in Korea ist psychologisch, politisch und wirtschaftlich um ein Vielfaches schwerer als im deutschen Fall.“ Wer heute auf der Straße mit Südkoreanern über die Wiedervereinigung spricht, bekommt deshalb zwar immer ein Ja. Aber dem folgt meist ein Aber.

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