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Die FES in Warschau: deutsche und polnische Perspektiven

Von Leonie Haueisen / 7. Oktober 2015
Foto: Kevin Tiedgen

Europa und Polen – wie geht das zusammen? Die Mitarbeiter des Warschauer Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung machen eine Bestandsaufnahme. Ein Gespräch.

Was sind die dominanten europapolitischen Themen in Polen?
FES Warschau-Mitarbeiterin Joanna Andrychowicz-Skrzeba (A-S): In den vergangenen Monaten haben wir in Polen Wahlzeit, deswegen stehen die europapolitischen Themen eher am Rande und die Innenpolitik spielt stattdessen eine sehr wichtige Rolle, obwohl die Flüchtlingskrise natürlich in den Vordergrund gerückt ist. Damit ist auch das Thema der Solidarität verbunden, der Haltung Polens in der Flüchtlingsfrage und zu den Entscheidungen, die in der EU dazu gefallen sind. Die Ukraine-Krise ist schon längere Zeit wichtig. In diesem Zusammenhang spielt auch die Beziehung zu Russland eine wichtige Rolle.

Welchen Beitrag kann Polen für eine erfolgreiche Zukunft Europas leisten? Was ist die besondere Stärke von Polen?

Büroleiter Roland Feicht: Die Polen stehen eindeutig zu Europa. Das ist in anderen Ländern nicht unbedingt immer der Fall. Es ist auch wichtig, dass Warschau in der Europapolitik darauf besteht, dass wir bei aller Kritik am Stabilitätskurs in Europa nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Warschau vertritt die Meinung, dass man, wenn man erfolgreich wirtschaftet, nicht über seine Verhältnisse leben darf. Damit distanzieren sie sich eindeutig mit Blick auf die Krise in Spanien, vor allen Dingen aber in Griechenland. Das ist sehr positiv zu sehen.

Das Team der FES in Warschau. Im Hintergrund das Königsschloss und die Sigismund-Säule. Am Interview nahmen die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Barbara Szelewa (2. v. l.) und Joanna Andrychowicz-Skrzeba (4. v. l.) sowie Büroleiter Roland Feicht (4. v. r.) teil. (Foto: FES Warschau)

A-S: Polen wollte schon immer „leader“ der osteuropäischen Länder sein. Es will diese Position auch in der EU, in Europa behalten und Mittler zwischen dem Westen und Osten sein. Polen ist eines der osteuropäischen Länder, die den meisten wirtschaftlichen Erfolg hatten nach 1989. Polen hat viel erreicht in der Zeit. Polen versucht solidarisch zu sein zu den Ländern, die Probleme haben, die östlich von uns liegen, und das wollte Polen auch in der EU vermitteln. Die Themen Ukraine und Belarus lagen Polen immer sehr am Herzen.

Wie verhält sich Polen in der Flüchtlingskrise?

A-S: Noch vor ein paar Monaten hätte ich gesagt, dass Polen schon lange Träger des Solidaritätsgedankens ist oder sein möchte, da die Geschichte Polens, die Bewegung Solidarnosc, seine Marke und damit in Europa bekannt ist. Polen wollte immer eigene Interessen und Solidaritätswerte gleichzeitig vertreten. Die Flüchtlingskrise hat wahrscheinlich in den Augen vieler diese Rolle Polens geändert, weil die Debatte darüber, welche Länder wie viele Flüchtlinge aufnehmen sollen, Polen als nicht solidarisch gezeigt hat.

Welches europäische Selbstverständnis hat Polen?

FES Warschau-Mitarbeiterin Barbara Szelewa : Eine der Stärken Polens in Bezug auf die EU ist, dass unsere Gesellschaft eine der EU-freundlichsten innerhalb der EU ist. Letztes Jahr, als wir zehn Jahre Polen in der EU feierten, waren 89 Prozent der Menschen für die Mitgliedschaft in der EU. Ein Grund dafür könnten die finanziellen Hilfen durch EU-Projekte oder die Tatsache sein, dass Polen gut durch die ökonomische Krise gekommen ist. Ich denke, dass die meisten Polen nicht denken, dass die EU zu stark ist, aber sie würden auch nicht mehr Kompetenzen an die EU-Ebene abgeben wollen.

A-S : Obwohl die Polen so EU-enthusiastisch sind, wissen viele leider wenig über die EU. 40 Prozent der Polen wissen gar nicht, wie das Europäische Parlament funktioniert und wie es gewählt wird, auch nicht junge Menschen. 70 Prozent der Menschen wissen nicht, welche EU-Abgeordneten Polen hat, können keine Namen nennen. Auch die Wahlbeteiligung bei den vergangenen Europawahlen lag in Polen nur um die 20 Prozent. Das zeigt das relativ geringe Interesse für die europäischen Themen. Vielleicht ist die EU mehr oder weniger selbstverständlich für die Polen und andererseits unbekannt, weil die Polen nicht so genau wissen, welchen Einfluss das europäische Recht auf Polen hat und wer die Entscheidungen trifft.

Ist die EU für die Menschen in Polen Ort der Hoffnung oder Ort der Perspektivlosigkeit?

A-S: Ich würde auf keinen Fall sagen, dass die Polen die EU mit Perspektivlosigkeit assoziieren. Viele Polen assoziieren die Situation in Polen als perspektivlos und wollen weg, um woanders nach Arbeit zu suchen, aber das machen sie meistens in den Mitgliedstaaten der EU. Die EU wird immer noch sehr positiv gesehen, als Gebiet, in dem man besser leben kann. Viele hoffen, dass es Polen besser gehen wird, wenn die Beziehungen zur EU enger sind. Aber man ist sich natürlich auch der Krisen in der EU bewusst. Mehr als die Hälfte der Polen wollen gar nicht in die Eurozone.

Deutschland und Polen haben ja eine ganz besondere Beziehung …

Feicht: Mich beeindruckt die Art und Weise, wie wir Deutschen wieder aufgenommen werden und willkommen in Polen sind. Vor dem Hintergrund der leidvollen Geschichte Polens über 150 Jahre auch mit Preußen, mit Deutschland und dann natürlich durch die Besatzung und den Krieg und die Vernichtung der polnischen Intelligenz, breiter Kreise und mit Blick auf den Völkermord an den Juden Europas. Das ist für mich immer wieder ein ganz wichtiger Moment.

Inwiefern ist das für die Arbeit der FES in Polen wichtig?

Feicht: Wir beschäftigen uns immer wieder mit der geschichtlichen Dimension und vor allen Dingen mit der Frage des „nie wieder“ und der Frage der Verantwortung, die wir nicht nur als Deutsche, sondern auch gemeinsam alle in Europa tragen, dass Menschenrechte und Demokratie weiterhin als Werte so hoch gehalten werden, dass solche Dinge nicht wieder vorkommen.

Teil II des Interviews erscheint am morgigen Donnerstag.

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