Die Mitte von … ?
Wer sind wir und wie viele? Der Begriff der “Mitte“ wird oft gebraucht, ohne sich dessen Bedeutung klarzumachen. Insbesondere im nationalen Kontext zeigen sich einige Unterschiede in der Wahrnehmung.
Beeindruckendes Zentrum, repräsentativ und doch individuell in seinen Details… Die Mitte, das Herzstück, umfasst einen spannenden und vielfältigen Bereich, besonders wenn wir verschiedene Länder betrachten. So sind die Franzosen offenbar allesamt problemlos einer Meinung, dass selbstredend Paris das Zentrum Frankreichs repräsentiert. Auch den Italienern gilt, ganz nach dem Motto „alle Wege führen nach Rom“, ihre Hauptstadt als ein besonders wichtiger Ort. Warum? Gute Frage, nächste Frage! Andere ebenso eindrückliche Städte wie Florenz, Bologna oder Venedig gibt es schließlich genug.
Fakt ist: Es sind oft die Hauptstädte, welche nicht den geografischen, wohl aber den nationalen Mittelpunkt ausmachen. Ein Land nimmt dabei eine außergewöhnliche Haltung ein: China. Als selbst bezeichnetes “Reich der Mitte” betrachtet man sich heute noch als das zivilisatorische und kulturelle Zentrum der Welt. Dass früher auch die geografische Mitte der Erde gemeint war, davon erzählen chinesische Kinderpuzzles, die die Volksrepublik als das große, zentrale Land der Erde zeigen, das von etlichen Kontinenten und Meeren umgeben ist. Die Botschaft: Mit der so genannten „Außenwelt“ soll man sich nicht unnötig lange aufhalten.
Und bei uns? Wo befindet sich die Mitte Deutschlands? „Keine Ahnung“ lautet eine Antwort auf meine Frage, die hellhörig macht. Halten die Deutschen denn nicht Berlin für die Mitte Deutschlands? Ich entscheide mich, eine kleine anonyme Online-Umfrage durchzuführen. 33 Personen im Alter von 20 bis 35 Jahren nehmen teil – vorwiegend aus dem Rhein-Main-Gebiet. Zugegeben, repräsentativ ist das Ganze damit nicht, aber aufschlussreich.
Öffentliche Wahrnehmung der Mitte Deutschlands
Bei der ersten Frage der fünfteiligen Erhebung geht es darum, die geografische Mitte Deutschlands zu verorten. Antwortmöglichkeiten: Thüringen, Hessen, Bayern oder “Sonstiges“. „Ich habe fünf Minuten überlegt, wo oder welche Mitte ich in Deutschland sehe. Doch mir fällt es schwer, eine zu erkennen“, lautet eine Antwort. Mit insgesamt 64 Prozent wird die Mitte Deutschlands in Hessen vermutet, gefolgt von 24 Prozent in Thüringen, sechs Prozent in Bayern und ein Prozent in Sachsen.
Tatsächlich haben Verschiebungen zu verschiedenen Definitionen der “Mitte von Deutschland“ geführt. Grund dafür sind unterschiedliche wissenschaftliche Berechnungsmethoden des zweidimensionalen Landkartenmodells. Diese verzeichnen auf einer Nord-Süd-Achse relevante Punkte, die überwiegend im Westen von Thüringen, aber auch im Südosten von Niedersachsen liegen. Auch im östlichen Hessen, genauer im Städtedreieck von Erfurt, Kassel und Göttingen, sind demnach mögliche, aber keine eindeutigen geografischen Mittelpunkte Deutschlands verankert.
Dass es nicht ganz einfach ist, die deutsche Mitte zu identifizieren, liegt vielleicht auch an den vielen Grenzverschiebungen im vergangenen Jahrhundert: 1918 der Versailler Vertrag, 1945 der Verlust der Ostgebiete und 1957 der Anschluss des Saarlandes an die Bundesrepublik. Zuletzt die Wiedervereinigung Deutschlands 1990.
Das „Land der Dichter und Denker“?
Erinnern wir uns an Namen wie Johann Wolfgang von Goethe, Michael Schumacher oder Helmut Kohl, kommt die Frage nach dem gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik auf. Wofür sind die Deutschen bekannt? Wofür sollten wir bekannt sein? Daher lautete Frage Nummer zwei der Recherche: Gibt es eine „kulturelle Mitte Deutschlands“? Wieder wurden Begriffe vorgegeben und ein Freifeld gelassen. Fast ein Drittel der Befragten verbindet Sport mit dem höchsten kulturellen Gut deutscher Nation, gefolgt von Tradition und Literatur mit jeweils gut einem Viertel Zustimmung. Mit Musik verbindet rund ein Fünftel das, was Deutschland zentral ausmache. Seltener genannt wurden Kunst, Politik und Geschichte.
Brezel, Sauerbraten oder Handkäs
Frankreich liebt Baguette und Croissants, Italien Pizza und Pasta, die Chinesen bevorzugen Reis und Pekingente. Und wir? Gibt es hier vielleicht kulinarisch einen eindeutigen Fokus? Nein, aber es lässt sich eine Schwäche erkennen: deftig. Auf Platz eins befinden sich sowohl Bratkartoffeln mit Speck als auch Apfelkuchen, auf Platz zwei gleichauf Weißwurst und Brezel sowie Sauerbraten. Platz drei gehört dem Bienenstich, gefolgt vom Handkäs mit Musik. Nicht fehlen durften offenbar Bratwurst, Currywurst mit Pommes und Spätzle. Wie vielfältig die deutsche Speisekarte darüber hinaus sein kann, zeigt sich an der Erwähnung etablierter neuerer “Nationalgerichte“ wie: Döner Kebab.
Mitte bedeutet Heimat
Die Französische Revolution, der faschistische italienische Führer Benito Mussolini oder die Chinesische Mauer bilden grundlegende geschichtliche Bausteine der einzelnen Nationen. Frage vier zielt daher auf die geschichtliche Mitte von Deutschland ab, ebenfalls mit vorgegebenen Optionen und der Möglichkeit, frei zu antworten. Fast die Hälfte der Befragten gaben an: Berlin. Gefolgt von Mannheim mit 16 und Frankfurt mit 15 Prozent. Dass die Teilnehmer überwiegend einer Region entstammen und ihre eigene Heimat bevorzugen, wird spätestens hier offensichtlich.
Zukünftige Mitte Deutschlands
Die fünfte und letzte Frage lässt die Gegenwart hinter sich und fragt nach der „Zukünftige[n] Mitte Deutschlands?“ mit der Bitte, um einen persönlichen Eindruck sowie Stellungnahme. Zwar lässt sich aus den abgegebenen Antworten keine Tendenz erkennen und somit keine Mitte Deutschlands erfassen. Mit zehn Prozent konnte sich die (kleine) Mehrheit immerhin auf Berlin einigen. Dem Rest fiel es „extrem schwer, [sich] eine ‚Mitte‘ vorzustellen, da sich die deutsche Gesellschaft vor allem durch Vielfältigkeit auszeichnet“. Darüber hinaus wurde der Wunsch geäußert, dass die Mitte Deutschlands bestenfalls unverändert bliebe, denn „Kriege oder innere Konflikte könnten die Mitte gegebenenfalls verändern und Auseinandersetzungen dieser Art wünsche ich uns nicht“. Dass in der Zukunft weiter an Beständigem festgehalten wird, hofft auch eine weitere teilnehmende Person, denn „die Welt da draußen wird immer chaotischer, die Menschheit kalt und oberflächlich. Daher ist der Mittelpunkt die Familie und das Zuhause“.
Döner is nich “deutsch“. Der kommt aus Berlin!