Ehrenamt unter Leistungsdruck
Ehrenamtliches Engagement wird auch bei jungen Menschen immer beliebter. Häufig konkurriert es jedoch mit dem Leistungsdruck an den Universitäten und Schulen, der viel Zeit einfordert. Sportvereine, Presseverbände, Gewerkschaften oder Parteien: Die Möglichkeiten, sich als junger Mensch zu engagieren, sind vielfältig. Doch manchmal fehlt einfach die Zeit, sich für andere Menschen zu engagieren, meint die 21-jährige […]
Ehrenamtliches Engagement wird auch bei jungen Menschen immer beliebter. Häufig konkurriert es jedoch mit dem Leistungsdruck an den Universitäten und Schulen, der viel Zeit einfordert.
Sportvereine, Presseverbände, Gewerkschaften oder Parteien: Die Möglichkeiten, sich als junger Mensch zu engagieren, sind vielfältig. Doch manchmal fehlt einfach die Zeit, sich für andere Menschen zu engagieren, meint die 21-jährige Hanna Fischer. Sie ist im Vorstand des Vereins Youth Bank Deutschland. „Der Leistungsdruck in meinem Studium bringt mich an einen Punkt, an dem ich Prioritäten setzen muss zwischen Dingen, die ich eigentlich beide gern tun will.“, sagt Fischer. „Mein ehrenamtliches Engagement muss ich dann meistens zurückstellen, auch wenn das eigentlich die Sache ist, die ich wegen des Interesses und Spaßes viel lieber mache.“
Bei Youth Bank Deutschland arbeite sie in einem tollen Team an gemeinsamen Zielen und könne so indirekt Jugendlichen die Gestaltung ihrer Umgebung ermöglichen. Die Idee von Youth Bank: Jugendliche bekommen von Sponsoren einen bestimmten Geldbetrag zur Verfügung gestellt, den sie anderen Jugendlichen in ihrer Stadt für Projekte zukommen lassen – eine ehrenamtliche Stiftung von Jugendlichen für Jugendliche. Doch auch gut organisierte, breit geförderte Projekte wie Youth Bank ringen um ehrenamtliche Helfer.
Alles unter einem Hut
Laut dem Freiwilligensurvey der Bertelsmann Stiftung haben vor allem Schüler und Studierende immer weniger Zeit für ehrenamtliches Engagement – obwohl der Wille, sich ehrenamtlich zu engagieren, größer ist als in den Vorjahren. Ganztagsschulen, die Verkürzung der Gymnasialzeit und stark verschulte Bachelor- und Masterstudiengänge sorgen dafür, dass Lernende rund um die Uhr beschäftigt sind. Mehr Inhalte müssen in weniger Zeit nach einem strengen Stundenplan gelernt werden. Außerdem machen immer mehr Jugendliche Abitur und sind deshalb zeitlich sehr stark involviert.
Dennoch gibt es viele junge Menschen, die sich engagieren, auch der 22-jährige Marcel Metzner, der unter anderem in der Junge IG Bau Gewerkschaft aktiv ist, nachdem er dort ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert hat. „Irgendwie bekommt man das schon alles unter einen Hut“, sagt Metzner. Man müsse bloß Prioritäten setzen. „Wenn man sich wirklich engagieren will, schafft man das auch“, bestätigt der 20-jährige Tobias Henke, der sich schon seit Jahren unter anderem bei den Jusos engagiert. Er will „Politik nicht nur miterleben, sondern auch live dabei sein und sie gestalten“.
Verändern wollen
„Das nötige Interesse und ein wenig Veränderungsutopie sind eine gute Voraussetzung für ein funktionierendes ehrenamtliches Engagement“, sagt Henke. Diese Veränderungsutopie treibe ihn auch in seinem täglichen Engagement an. Die Vision, etwas bewegen zu können, ist für Henke und andere Ehrenamtliche der Halt, den sie brauchen, um dem Leistungsdruck und Zeitmangel zu trotzen und ihre Freizeit für ein Ehrenamt zu investieren. Auch eine altruistische Denkweise spielt oft eine zentrale Rolle bei sozial Engagierten.
Für Youth-Bank-Vorstand Hanna Fischer müssen keine großen Voraussetzungen erfüllt sein, um sich zu engagieren: „Ich persönlich brauche lediglich Zeit“, sagt sie. Jürgen Ertelt, Koordinator bei IJAB, der Fachstelle für Internationale Jugendarbeit, empfiehlt: „Die Felder des Engagements müssen wirksam und lebensnah sein. Dazu gehören gleichwertig Medien und Kommunikationsnetze.“ Wenn das erfüllt sei, sei auch die Motivation größer, ehrenamtlich anzupacken. Gewerkschafter Marcel Metzner fordert von Engagierten den „Willen, etwas zu bewegen, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten“ – eine Gegenleistung zumindest im materiellen Sinne.
„Informelles Lernen in Praxisfeldern“
Dem unentgeltlichen Aufwand steht nämlich auch ein Nutzen gegenüber. Sogenannte „soft skills“, beispielsweise das Präsentieren von Ideen vor vielen Menschen, Moderationen von Veranstaltungen und die Akquise von Fördermitteln, sind Fähigkeiten, die man in der Schule oder im Studium eher selten erlernt – und die sich natürlich auch gut im Lebenslauf machen. Hanna Fischer bestätigt: „Mein Ehrenamt gibt mir einen guten Einstieg in einen möglichen Beruf.“ Außerdem sei es ein praktischer Ausgleich zum theoretischen Lernen an der Uni„Das verschulte Studium lässt kaum Raum für wichtiges informelles, selbstbestimmtes Lernen in Praxisfeldern“, sagt Jürgen Ertelt. „Selbst ein engagiertes Praktikum kann die Notwendigkeit des Raums für interessengesteuertes, freiwilliges Engagement nicht ersetzen.“ Umso wichtiger also, dass für diesen Raum Platz geschaffen wird – zum Beispiel durch Organisationen wie die Landesfreiwilligenagentur Berlin. Sie vermittelt mit Hilfe einer riesigen Online-Datenbank Ehrenämter, die genau auf die Bedürfnisse – Ort, Themenfeld, zeitlicher Umfang – der Suchenden abgestimmt werden. So kann auch der Spagat zwischen Leistungsdruck und Engagement gemeistert werden.