Ein Kompromiss für den Frieden, nicht für die Zukunft
Der Bosnienkrieg wurde vor 20 Jahren durch das Abkommen von Dayton beendet. Doch die Lage in dem kleinen Staat in Südosteuropa ist immer noch schwierig. Korruption, Misswirtschaft und Bürokratie lähmen das Land. Der ersehnte EU-Beitritt ist ferner denn je.
Amra war dabei, als die Regierungsgebäude brannten. Sie hat sich nicht an den gewaltsamen Protesten gegen die schlechte wirtschaftliche Situation Anfang vergangenen Jahres beteiligt, aber demonstriert hat sie doch. Denn die 21-jährige Bosnierin ist gut ausgebildet, mehrsprachig und doch chancenlos in ihrem eigenen Land.
20 Jahre ist der Krieg nun vorbei, trotzdem kämpft der südosteuropäische Staat Bosnien und Herzegowina immer noch mit dessen Folgen. Rund 25 Prozent der bosnischen Erwerbsbevölkerung sind laut Weltbank arbeitslos. Das Land müsste dringend grundlegende Reformen anstoßen. Doch die politische Situation, die seit dem Dayton-Abkommen 1995 besteht, lähmt den Staat.
Ein geteilter Staat
Nach dem blutigen Krieg von 1992 bis 1995, in dem die drei großen ethnischen Gruppen der Region – Serben, Bosniaken und Kroaten – gegeneinander kämpften, konnten sich die Konfliktparteien erst unter Druck der USA und der EU auf das Abkommen von Dayton einigen, das die heutige Grundlage für den Staat Bosnien und Herzegowina ist. Er ist nach wie vor aufgeteilt in die Republika Srpska, die 49 Prozent des Landes ausmacht, und in die kroatisch-bosniakische Föderation Bosnien und Herzegowina, die 50 Prozent der Landesfläche einnimmt.
Der Rest gehört zur Sonderverwaltungszone Brčko, die von den Teilrepubliken verwaltet wird. Zudem gibt es den Hohen Repräsentant für Bosnien und Herzegowina, der seit 1995 die Umsetzung des Abkommens im Auftrag der internationalen Gemeinschaft überwachen soll und dafür umfangreiche Kompetenzen hat. Er darf sogar Gesetze erlassen sowie Minister ernennen und entlassen.
Das politische System Bosniens ist aufgebläht
Nicht nur die große Unabhängigkeit der Entitäten und die unterschiedlichen ethnischen Interessen innerhalb der politischen Institutionen erschweren die politische Koordination. Die Föderation ist darüber hinaus in elf Kantone aufgeteilt, die alle eine eigene Regierung und eigene Ministerien haben. „Das politische System Bosniens ist aufgebläht“, sagt Christian Braun, Konfliktforscher an der Universität Marburg. „Das Dayton-Abkommen hat damals Sinn gemacht, weil es ein Kompromiss war, um Frieden zu schaffen“, sagt er. Zukunftsfähig sei das Land so aber nicht. „Heute müsste das Abkommen geändert werden, damit der Staat funktionieren kann.“
Die nationalen Parteien haben daran aber kein Interesse. Die Änderungen wären zu unpopulär, da zu viele Jobs von ihnen abhängen. Zudem ist Bosnien ethnisch immer noch sehr gespalten. „In der Politik wird das genutzt, um Stimmen zu sammeln, indem man Stimmung gegen andere Gruppen macht“, sagt Braun. Eine Reform des Status quo ist aber auch durch die internationale Gemeinschaft schwer vorstellbar. „Die internationale Gemeinschaft hat Angst vor diesem Schritt, weil sie dadurch ihren Einfluss in Bosnien verliert und nicht absehen kann, was dann passiert“, sagt Wissenschaftler Braun.
Besonders für Jugendliche wie Amra ist die Situation in Bosnien schwierig. Die Jugendarbeitslosigkeit lag laut Weltbank 2013 bei rund 60 Prozent. „Alles ist hier von Korruption durchdrungen“, sagt Amra, die Journalismus an der Universität Tuzla studiert. „Wenn Du kein Geld und keine Kontakte hast, dann ist es sehr schwierig, einen Job zu bekommen.“ Zudem sei es für junge Menschen schwierig, ihr Studium zu finanzieren. Amra bekommt ein Stipendium, sonst könnte auch sie sich die Studiengebühren nicht leisten. Viele ihrer Freunde hätten ihr Studium in den vergangenen Jahren aufgeben müssen, weil das Geld nicht mehr gereicht habe, erzählt Amra.
Politische Reformen bleiben aus
Die Wirtschaft des Transitionslandes hängt vor allem vom Export von Elektrizität, Metallen, Textilien und Möbeln ab. Ausländische Investoren schrecken vor den undurchsichtigen politischen Strukturen zurück. Zudem hat das Land in den vergangenen Jahren in vielen Bereichen die Anpassung an die Standards und die Marktbedingungen der EU verpasst.
Zu den Protesten gegen die hohe Arbeitslosigkeit und gegen die schlechte Wirtschaftslage im vergangenen Februar war es gekommen, nachdem mehrere privatisierte Fabriken Pleite gegangen waren und die Arbeiter ihren ausstehenden Lohn nicht bekommen hatten. Die Proteste, die die internationale Gemeinschaft schnell von einem „Bosnischen Frühling“ träumen ließen, weiteten sich auch auf Sarajevo und andere Städte vor allem in der Föderation aus. Der Regierungschef des Kantons Tuzla und der Premier sowie das ganze Kabinett des Kantons Zenica-Doboj mussten in Folge der Krise zurücktreten. Die Wahlen wurden vorgezogen.
Trotzdem hat sich seit den Protesten nicht viel getan. Sie waren dennoch nicht vollkommen wirkungslos, sagt Konfliktforscher Christian Braun. „Sie haben gezeigt, dass den Menschen die schwierige Situation im Land bewusst ist und dass sie wollen, dass sich etwas verändert.“ Die dringend notwendigen Reformen seien aber bisher ausgeblieben.
Viele Menschen verlassen das Land
Dieser Meinung ist auch der 16-jährige Zekerijah. Er spricht Deutsch mit österreichischem Dialekt, weil seine Schwester seit einigen Jahren in Österreich lebt und er sie oft besucht. Nach den Sommerferien möchte er ganz dorthin ziehen. „Hier in Bosnien kann man nicht leben“, sagt er. „Ich werde lieber LKW-Fahrer in Österreich, als hier nichts machen zu können.“ Er wisse zwar noch nicht, ob er die notwendigen Papiere für den Aufenthalt in Österreich bekommen werde. „Aber alles ist besser, als in Bosnien zu bleiben. Hier herrscht nur der Stillstand.“
Wie Zekerijah verlassen viele Menschen das Land. Einfache Arbeiter ziehen in Länder wie Deutschland oder Österreich, um dort zu arbeiten und Geld nach Hause schicken zu können. Gut ausgebildete Fachkräfte gehen sowieso.
Ähnlich düster sieht es für Bosnien auch im EU-Integrationsprozess aus. „2008 wurde zwar ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU geschlossen, aber die EU-Euphorie ist verschwunden“, sagt Braun. Einerseits wolle die EU zwar spätestens seit der Ukrainekrise das Land nicht in Richtung Russland driften lassen, gleichzeitig habe man aber auch bereits genug eigene Sorgenkinder innerhalb der EU. „Aufgrund des Mangels an landesweiten Strategien in vielen Bereichen, wie Demokratie, Recht und Grundrechten“ sehe die EU das Vorankommen des potenziellen Beitrittskandidaten kritisch, heißt es in dem Fortschrittsbericht zum EU-Integrationsprozess von 2014.
Amra versucht dennoch, positiv in die Zukunft zu blicken. Sie will ihr Land nicht verlassen. „Ich liebe Bosnien“, sagt die Studentin. „Und nur wenn ich bleibe, kann ich hier auch etwas erreichen.“