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Ein Regenbogen reicht nicht

Von Anna Steinmeier / 18. August 2021
picture alliance / ZUMAPRESS.com | Ana Fernandez

Regenbogenlogos oder warme Worte in grüner Verpackung: Unternehmen haben das Thema Nachhaltigkeit für sich entdeckt. Sogar solche, bei denen man es am wenigsten vermutet. Mit grünem Marketing allein lässt sich die Welt aber nicht retten. Im Gegensatz zum Umsatz.

Der Monat Juni 2021 war ein besonders bunter in den sozialen Medien. Nachdem der Europäische Fußballverband UEFA der Stadt München untersagte, die Allianz-Arena zur Unterstützung der LGBTQ-Gemeinschaft in Ungarn in Regenbogenfarben leuchten zu lassen, begannen immer mehr deutsche Unternehmen ihre Logos in Regenbogenfarben zu hüllen. Inzwischen sind die solidarisch ausgelegten Regenbogenfarben jedoch verschwunden. Nach und nach erschienen die Firmenlogos in altbekannter Darstellung. Ein solches Vorgehen ist mittlerweile als “Rainbowwashing“ bekannt. Außer schlau platziertem Marketing also nichts gewesen?

Über das Farbenspiel hinaus

“Rainbowwashing“ ist nicht die einzige Methode, mit der Firmen verschiedener Branchen sich nach außen hin als wertebasierte Unternehmen präsentieren. Zuvor hat vielfach “Greenwashing“ stattgefunden und damit der Versuch der Unternehmen, sich als besonders umweltfreundlich zu präsentieren. Der Begriff, der erstmals in den Achtzigern verwendet wurde, hat zuletzt wieder an Bedeutung gewonnen. Laut Umfragen aus dem Jahr 2019 gaben zwischen 50 bis 70 Prozent der Befragten an, dass Informationen darüber, wie nachhaltig ein Wirtschaftsunternehmen agiert, ihr Konsumverhalten beeinflussen.

Ob grün oder regenbogenfarben: Dass Firmen sich der Wirkung einer gesellschaftlich-politischen Positionierung gegenüber ihren Kunden nicht nur bewusst sind, sondern für sich nutzen, sollte niemanden mehr überraschen. In einer Gesellschaft, die Wert legt auf „Wokeness“, sprich das eigene Handeln nach ethischen, sozialen und nachhaltigen Standards auszurichten, stehen Unternehmen längst in der Verantwortung, entsprechend angemessen zu wirtschaften. Doch auch die vermeintlich korrekteste Haltung schützt nicht vor Kritik.

Was heißt hier „woke“?

Unternehmen mögen sich zwar in ihrer Öffentlichkeitsarbeit mit „Wokeness“ und Nachhaltigkeit schmücken, in ihrem konkreten Handeln bleiben nicht wenige weiterhin unterhalb selbst gesetzter ökologischer und ethischer Standards. Ideale anvisieren ist nun mal nicht dasselbe, wie sie zu leben. Wie nachhaltig ist ein Elektroauto, wenn Unternehmen sich der Debatte um die umweltschädliche Förderung von Lithium oder der ethisch fragwürdigen Beschaffung von Kobalt entziehen? Wie aussagekräftig ist eine Regenbogenflagge, wenn in Ländern produziert wird, in denen Homosexualität mit dem Tod bestraft wird?

LGBTQ-Personen arbeiten nicht auf die Verwendung eines Icons hin. Für sie ist relevant, ob ein Unternehmen hilft, einen sicheren gesellschaftlichen Raum für sie zu bieten. Es zählt nicht das schwarze Viereck auf Instagram, um sich mit der Black-Lives-Matter-Bewegung zu solidarisieren, wenn eine Personalabteilung gleichzeitig Menschen nach Postleitzahl und Nachnamen im Bewerbungsprozess aussortiert. Man wird unternehmerisch nicht zum innovativen Vorreiter, wenn vorne nachhaltige Produkte und hinten verschmutztes Wasser in einer zerstörten Umwelt rauskommen.

Globaler Handel = Globale Werte?

Doch darf die Frage, ob wirtschaftliche Interessen letztlich über Werten stehen, natürlich nicht nur auf Unternehmen beschränkt werden. In den internationalen Beziehungen ist wertebasiertes Wirtschaften ohnehin nicht unbedingt die Regel. Zwar wurde man von deutscher Seite aus in der Vergangenheit nicht müde zu betonen, wie problematisch die menschenrechtliche Situation in China ist – trotzdem steht auf vielen Produkten, die wir nicht mehr aus unserem Alltag wegdenken können oder auf die wir nicht verzichten wollen, „Made in China“. Währenddessen werden westliche Marken nach Kritik am Umgang mit Minderheiten konsequent aus den Online-Shops des „Reichs der Mitte“ verbannt. Wer setzt also seine Werte in der Wirtschaft durch?

Aber wie könnte eine auf humanistischen Idealen basierende Wirtschaft im Großen und im Kleinen konkret aussehen? Darüber zerbrechen sich Wirtschaftswissenschaftler noch immer den Kopf. Versuche, Lösungswege zu erarbeiten, gibt es zuhauf: Eine auf gemeinsamen Werten basierende Wirtschaftsgemeinschaft wurde zum Beispiel in Form der Europäischen Union gegründet. Ironischerweise ist mit Deutschland genau das Land führendes Mitglied in der EU, das die Regenbogenfarben-Debatte während der Europameisterschaft ausgelöst hat.

Die richtigen Fragen stellen

Eine aufgeweckte Gesellschaft sollte nicht nur von Unternehmen (egal welcher Sparte) fordern, sich werteorientiert auszurichten und nicht nur den Umsatz im Blick zu behalten. Sie sollte von ihnen verlangen, offen dazulegen, wie genau sie welche Werte in puncto Nachhaltigkeit und Soziales umzusetzen gedenken. Statt schöne Bilder von zufriedenen Beschäftigten zu posten, muss ein Unternehmen zunächst gerechte Löhne und gute Arbeitsbedingungen schaffen. Statt mit jedem verkauften Sixpack einen Baum zu pflanzen, müssen Unternehmen angesichts drohender Katastrophen den Umweltschutz selbst aktiv mitvorantreiben.

Und schließlich kommen wir Verbraucher ins Spiel. Eigentlich ist es klar: Wenn wir etwa die finanziellen Möglichkeiten haben, sollten wir uns jede unserer Kaufentscheidungen genau anschauen und uns gegebenenfalls neu orientieren. Auch preislich. Einige haben das verstanden. Bei vielen anderen überwiegt der Stellenwert des Geldes. Aller Ideale zum Trotz. Doch egal, ob grün oder regenbogenfarben: Entscheidend sind die Werte, die tatsächlich gelebt werden, und nicht die, die hübsch aussehen.

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