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Eine Männerwelt, die es nicht mehr gibt

Von Sebastian Krieger / 19. Februar 2025
picture alliance / Caro | Lueger

Kameradschaft und harte Arbeit: So war das doch unter Tage – oder nicht? Im Deutschen Bergbaumuseum geben ehemalige Bergmänner Einblicke in ihr früheres Berufsleben. Was ist dran an den Geschichten und Mythen über die Kumpel? Und was bleibt vom Bergbau, der eine ganze Region und seine Menschen prägte?

Wer hart unter Tage malocht, muss sich aufeinander verlassen können. Echte Solidarität gab es unter den Kumpeln. Das ist Paul Schenkel zufolge ein Mythos. Wenn er seine Besuchergruppen durch das Deutsche Bergbaumuseum Bochum führt, dann „sind einige nach der Tour desillusioniert“, sagt Schenkel. Denn: „Aus meiner Sicht ist das Quatsch, eine Erzählung, weil man die Leute auf der Arbeit brauchte.“ Er selbst hat das in seiner Zeit auf dem Pütt von 1980 bis 2009 anders erlebt, als er als ehemaliger Reviersteiger Arbeit und Sicherheit unter Tage kontrollierte. „Das war eine Männerwelt, strikt militaristisch und hierarchisch strukturiert.“

Und das wirke bis heute nach. Die anderen Ehrenamtlichen in Bochum, die Gruppen führen und Besucher*innen im Rahmen der Reihe „Triff den Bergmann“ Einblicke in ihre frühere Arbeit geben, sähen das teils anders. „Die halten mich für keinen richtigen Bergmann, weil ich sage: Ich würde nicht nochmal auf‘m Pütt anfangen. So doof kannste nicht sein.“

Der Bergbau hat mit dem Ruhrgebiet eine besondere Beziehung. Das Wachstum der Städte verlief parallel zur Kohleförderung, Bochum beispielsweise wuchs von knapp 50.000 Einwohner*innen 1890 auf 320.000 Einwohner*innen 1930. Hier entstanden ganze Wertschöpfungsketten. Die Zechen und mit Kohle und Stahl verbundenen Industrien schafften nicht nur Arbeitsplätze, sondern prägten auch das soziale Leben, etwa in Bergbausiedlungen. Ein besonderes Beispiel ist die Margarethenhöhe in Essen, ein Hochzeitsgeschenk von Margarethe Krupp an ihre Tochter Bertha. Ab 1906 entstand sie als eigener Stadtteil, angelegt für bis zu 10.000 Menschen.

Der ehemalige Bergarbeiter Paul Schenkel zeigt heute Gruppen seine ehemalige Arbeitsstelle.
Foto: Sebastian Krieger

Die Zeche starb langsam

Als Paul Schenkel 1980 seine Ausbildung anfängt, hat das Zechensterben schon begonnen – aber wahrhaben wollte es niemand. Bereits Ende der 50er Jahre gab es eine Phase, in der mehr Kohle gefördert wurde als nachgefragt, in den 60ern schlossen mehrere Zechen. Aber: „Nach der Ölkrise 1971 ging es nochmal aufwärts. Und als Thatcher in den 80ern die Kohleförderung in England reduzierte, haben wir hier mehr gefördert“, erinnert sich Schenkel.

Das ist auch die Zeit, in der die Tugenden des Bergbaus in den Sprachgebrauch gelangen: „Sie werden als Hilfsbereitschaft, Verlässlichkeit, Solidarität, Pragmatismus, Offenheit, Wandlungsfähigkeit aufgerufen und refigurieren eigene Erfahrungen“, schreibt Uta C. Schmidt in der Aufsatzsammlung „Heimat im Wandel – Das WIR im Revier“. Auch in den Dienstleistungsbereichen, die damals entstanden, wurden diese Werte ins Selbstbild übernommen – so entwickelte sich der Mythos. „Ob es diese Arbeitswelt gibt oder nicht mehr, spielt dafür eine untergeordnete Rolle“, so Schmidt. Was bleibt, ist die Identifikation mit den Werten.

Tschüss Zeche(n), hallo Dienstleistungsgesellschaft? 

Für Schenkel endet seine Zeit in dieser Arbeitswelt 2007 mit dem Steinkohlegesetz. Das sah vor, bis Ende 2018 aus dem Steinkohlebergbau auszusteigen. Schenkel ist zu dem Zeitpunkt als Sprengsteiger (er sprengte Gestein unter Tage) und Reviersteiger für 40-50 Mann verantwortlich, muss Einzelgespräche führen. Die Leute sollen umgeschult werden, wer in Rente geht, wird nicht mehr ersetzt. So reduziert sich die Zahl der Arbeiter in den Zechen schnell. „Das waren ja top ausgebildete Leute“, stellt Schenkel im Rückblick fest. Auch wenn einige nach dem Probearbeiten in anderen Branchen wieder zurückkamen, weil es sie doch in die Zeche zog.

Paul Schenkel unter Tage.
Foto: Sebastian Krieger

Damit spricht Schenkel ein anderes Klischee über das Ruhrgebiet an: die hohe Arbeitslosigkeit.
Doch in Befragungen von Menschen zeigt sich, dass diese zumindest in der Selbsterfahrung so nicht belegbar ist. 2020 gab in einer breit angelegten Studie zwar fast jede*r Fünfte im Ruhrgebiet an, im Arbeitsleben Arbeitslosigkeit erlebt zu haben, jede*r Zwölfte länger als sechs Monate. Aber für Westdeutschland insgesamt berichtet sogar jede*r Vierte von Arbeitslosigkeit im bisherigen Arbeitsleben. In Ostdeutschland ist diese Quote noch höher, begründet durch die Umbrüche nach 1989.

Die Vergangenheit ist heute Freizeitattraktion

Schenkel selbst ging 2009 in Rente. Aber so ganz lässt ihn der Bergbau nicht los und so führt er nun regelmäßig Besuchergruppen durch das Bergbaumuseum. Dabei beobachtet er vor allem bei den Älteren, deren Eltern noch unter Tage gearbeitet haben, bestimmte Vorurteile und Annahmen. Die Jugendlichen sind meist „unbeleckt“. Sie bekommen im Bergbaustollen 20 Meter unter der Erde einen realistischen Einblick in die Arbeitswelt vergangener Tage. Den Einfahrtsimulator mögen Schenkel und seine Kollegen allerdings nicht so gerne. „Dieses Gegröhle und die Sprüche in den eingespielten Videos, das ist Folklore“.

Man kann mit Paul Schenkel aber auch mit dem ganz normalen Aufzug auf den Doppelbock hochfahren, den sie hier in Bochum frisch lackiert haben und Ende Februar 2025 feierlich wiedereröffnen werden. Auch wenn es diesig ist, zeigt Schenkel dann runter auf die Herner Straße, wo sich früher die Zechen aneinanderreihten und erklärt, dass darin der Ursprung der BoGeStra (Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahn AG) als eines der ältesten Nahverkehrsunternehmen im Land liegt. Die Bergmänner mussten schließlich zur Arbeit kommen. Was sie dort erlebten, unter Tage im Ruhrgebiet, ist inzwischen museal. Die Kulisse aber wirkt nach.

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