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Eine Segregation im Verkehr findet statt

Von Raul Krauthausen / 7. Juni 2019
picture alliance/KEYSTONE | GAETAN BALLY

In Sachen Mobilität fliegen die Visionen besonders hoch. Mir wäre schon lieb, wenn der Diesel-Mercedes mal bei mir hält.

Limburg an der Lahn soll ein nettes Fleckchen auf der Landkarte sein. Da gibt es kulinarische Spezialitäten wie den Limburger Säcker: ein mit Senf gewürztes und paniertes Kotelett, gefüllt mit Sauerkraut, Dörrfleisch und Essiggurken. Oder die Burg Limburg, jede Menge Kirchen und ein Marine-Museum. Dumm nur, dass der Bahnhof Limburg-Süd mich gerade nicht will – bis Ende Juli werden dort Fahrstühle ausgetauscht und der nächste barrierefreie ICE-Bahnhof ist im 25 Kilometer entfernten Montabaur; nicht wirklich eine Alternative.

In Sachen Verkehr herrscht in Deutschland ein ehernes Gesetz: Zuletzt macht man sich Gedanken um Menschen mit eingeschränkter Mobilität. Es erstaunt mich immer wieder, wie viele Verkehrsorte und -mittel nicht barrierefrei sind. Wir mögen unsere Ingenieurskunst rühmen, den Straßenbau und was weiß ich, aber wenn es um Mobilität für alle geht, ziehen andere Länder stets an uns vorbei. Aktuell erleben wir das bei den kommenden E-Tretrollern, die für blinde Menschen kaum hörbar über die Straße brettern (zum Glück nicht auf dem Bürger*innensteig) oder mitten auf dem Gehweg Familien mit Kinderwagen oder Menschen mit Rollstühlen den Weg versperren.

Es ist doch so: Bei Verkehrsfragen denken wir gleich an die großen Zukunftsthemen, an Drohnentaxis und autonomes Chauffierenlassen. Doch im Alltag gelingt nicht einmal der kleine Wurf.

Ein Beispiel gefällig? Ich mach mich jetzt unbeliebt, aber was soll’s. Taxifahrer sehen ihre Zukunft sorgenvoll wegen der Konkurrenz von Uber und anderen Fahrdiensten. In meinen Augen aber agieren sie wie Vertreter einer alten Zunft, die ihre Privilegien nicht ihrer Leistung verdankt. Eine Verpflichtung zur Barrierefreiheit gibt es bei Taxis nicht – und dies wäre nicht verzweifelnd, wenn eine gewisse Anzahl von Taxis auch die potenzielle Beförderung von zahlenden Gästen mit eingeschränkter Mobilität im Visier hätte. Doch diese Anzahl ist mickrig. Möchte ich als Rollstuhlfahrer ein Taxi benutzen, muss ich es im Schnitt drei Tage vorher bestellen. In Berlin gibt es 8000 Taxen. Acht davon sind barrierefrei. Acht. Ein Promill.

In London, zum Beispiel, ist fast jedes zweite Taxi barrierefrei. Schwer zu realisieren wäre zumindest eine Annäherung an solche Verhältnisse hier bei uns nicht. Es ist eine Frage des politischen Willens. Und der formt sich durch Lobbying. Menschen mit Behinderung haben es bisher nicht geschafft, in Deutschland jene politische Kraft zu mobilisieren, die sich entscheidend gegen die Segregation im Verkehr wehrt.

„Ein Taxi muss ich drei Tage vorher bestellen“

Okay, alles verändert sich zum Besseren. Autonomes Fahren wird intensiv erforscht und wird kommen – eine riesige Verbesserung für Menschen, die nicht selbst fahren können. Und es gibt wenige neue Fahrkonzepte, die gleich zu Beginn inklusiv vorgehen. Die meisten etablieren sich erst einmal und geraten dann später ins Grübeln, ob sie nicht auch mit Menschen mit Behinderung Geld verdienen wollen. In Berlin, zum Beispiel, gibt es den neuen Fahrdienst Berlkönig. Zugegeben, der Name gruselt. Zum einen kam der Sohn im Goethe-Gedicht nur tot an sein Ziel und zum anderen ist dieses Wortspiel aus „Berlin“ und „Erlkönig“ so clever wie: „Sind wir nicht alle ein bisschen Bluna?“ Aber der Berlkönig kommt an. Sprichwörtlich. Einige seiner Fahrzeuge sind barrierefrei. Und als ich letztens eines per App bestellte, kam es binnen 16 Minuten; eine gewisse Verbesserung im Vergleich zu drei Tagen.

Wir sind halt das letzte Rad am Wagen. Üben wir uns in Geduld! Im Jahr 2022 soll es endlich eine Regelung geben, welche eine Zugänglichkeit für alle im ÖPNV – einschließlich des Schienenverkehrs – sicherstellt. (Wobei noch unklar ist, ob Taxen zum ÖPNV zählen.) Bis dahin wird es Bahnhöfe geben, die nur Treppen kennen. Busse, die keine Rollstühle hineinlassen und Taxifahrer – nein, halt: Ich liebe doch alle.

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