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Engagement mit Einschränkungen

Von Judith Dauwalter / 1. März 2014
Für seine Zeitschrift „Heimfocus“ bekam der Äthiopier Addis Mulugeta 2011 den Würzburger Friedenspreis. (Foto: Judith Dauwalter)

Es ist längst normal geworden, dass sich Menschen mit Einwanderungsgeschichte in Deutschland politisch engagieren. Doch ihre Beteiligung wird erschwert. Immer noch sind Migranten im Bundestag unterrepräsentiert, es gibt ein stark eingeschränktes Wahlrecht für Nichtdeutsche und Vorurteile gegenüber politisch engagierten Migranten. Zwei Beispiele aus Würzburg. Addis Mulugeta sitzt aufrecht, aber entspannt im Gemeinschaftsraum eines Würzburger Studentenwohnheims. […]

Es ist längst normal geworden, dass sich Menschen mit Einwanderungsgeschichte in Deutschland politisch engagieren. Doch ihre Beteiligung wird erschwert. Immer noch sind Migranten im Bundestag unterrepräsentiert, es gibt ein stark eingeschränktes Wahlrecht für Nichtdeutsche und Vorurteile gegenüber politisch engagierten Migranten. Zwei Beispiele aus Würzburg.

Addis Mulugeta sitzt aufrecht, aber entspannt im Gemeinschaftsraum eines Würzburger Studentenwohnheims. Durch die großen Fenster fällt warmes Sonnenlicht auf seine dunkle Haut. Eigentlich ist der 30-jährige Äthiopier gut drauf, nur die anstehenden Uni-Klausuren trüben seine Stimmung etwas. Vor vier Jahren noch wären ihm solche Sorgen lächerlich erschienen. Damals wurde er, ein regierungskritischer Journalist, in seinem Heimatland verfolgt, gefoltert und landete mehrere Male im Gefängnis. 2009 floh er nach Deutschland.

Mit dem Schreiben hat Mulugeta auch in Deutschland nicht aufgehört, doch nun hat er eine andere Mission. „Ich möchte Flüchtlinge ermutigen, für eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen einzutreten und die Kluft zu den Einheimischen schließen“, sagt er. Kurz nach seiner Ankunft in der Würzburger Unterkunft für Asylbewerber gründete er ehrenamtlich die Zeitschrift „Heimfocus“, die sich vor allem an Flüchtlinge richtet.

Für andere Flüchtlinge kämpfen

15 Ausgaben des Mediums sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren erschienen, es wurde sogar mit dem Würzburger Friedenspreis ausgezeichnet. Das Magazin erfüllt viele Zwecke. Es berichtet nicht nur kritisch über die deutsche Asylpolitik, sondern informiert und motiviert seine Leserschaft, beispielsweise mit der Geschichte eines Flüchtlings aus dem Iran, der im Raum Würzburg eine neue Stelle als Techniker und sogar eine Heimat gefunden hat.

„Heimfocus“ hilft auch konkret: Ein iranischer Layouter, der seit fünf Jahren auf die Anerkennung seines Flüchtlingsstatus wartet, hat durch seine ehrenamtliche Arbeit bei dem Magazin eine Beschäftigung gefunden. „Wir sind die Macher und mittendrin“, erklärt Mulugeta. „Ich möchte auch den sogenannten Einheimischen zeigen, dass auch wir Flüchtlinge ein Gewinn für die Gesellschaft sind.“

Mulugeta selbst wurde im Sommer 2012 als Flüchtling anerkannt, machte seinen Master und will bald promovieren. In seiner Doktorarbeit würde er am liebsten die Politik eines ostafrikanischen Landes analysieren. Außerdem engagiert er sich für andere – neben seiner Arbeit für den „Heimfocus“ spricht er an Schulen und Universitäten über seine Lebensgeschichte und seine Asylerfahrungen in Deutschland. Im vergangenen Jahr hielt er eine Neujahresrede im Würzburger Rathaus. „Ich habe viel gekämpft und möchte auch für andere Flüchtlinge etwas bewirken. Mein Lohn ist die positive Rückmeldung vieler Leute“, sagt Mulugeta.

Das soziale und politische Engagement des äthiopischen Flüchtlings ist alles andere als selbstverständlich, vor allem, weil es Menschen mit Migrationshintergrund oft schwerer gemacht wird, sich hier zu beteiligen. Wer beispielsweise keinen deutschen Pass hat, darf nicht wählen – eine Ausnahme bilden nur die EU-Ausländer auf kommunaler Ebene.

Erschwertes Engagement

Laut dem 2012 erschienen Arbeitspapier „Politische Einstellungen und politische Partizipation von Migranten in Deutschland“ des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist es deshalb nicht verwunderlich, dass sich Ausländer in der Regel weniger für Politik interessieren als Einheimische. Leben die Menschen länger in Deutschland und haben sie mehr politische Rechte, ist es auch wahrscheinlicher, dass sie sich engagieren, schlussfolgert das Arbeitspapier auf der Basis von Umfragen.

Im Bundestag sind Menschen mit Einwanderungsgeschichte immer noch unterrepräsentiert. Knapp jeder fünfte in Deutschland lebende Mensch und ein Zehntel der Wahlberechtigten haben einen Migrationshintergrund. Dennoch kommen laut Mediendienst Integration nur 5,9 Prozent der Bundestagsabgeordneten aus Einwandererfamilien, das sind gerade mal 37 Abgeordnete.

Glühende Deutsche mit afghanischen Wurzeln

Nummer 38 wäre beinahe Homaira Mansury geworden, die Würzburger SPD-Direktkandidatin bei der vergangenen Bundestagswahl – wäre da nicht der CSU-Gegenkandidat gewesen. Mansury hat als „Migrantin zweiter Generation“ zwar einen persischen Namen, aber sich mit ihrem Migrationshintergrund nicht so intensiv auseinandersetzen müssen wie Mulugeta. Aufgewachsen sei sie „von diesem Thema relativ unbedarft“.

Ihre afghanischen Eltern brachten sie im Rheinland zur Welt, heute ist sie Soziologin, hat eine geschliffene Sprache, ist „eine glühende Deutsche“, wie sie von sich sagt. Und so ist die 35-Jährige auch politisch sozialisiert: Ihr Engagement ist weniger von Migrationsthemen geprägt, sondern vielmehr vom Ideal gesamtgesellschaftlicher Gerechtigkeit. So liegen ihr zum Beispiel Gleichberechtigung , soziale Absicherung und kostenfreie Bildung am Herzen.

Andere Migranten motivieren

Doch den Stempel „Migrationshintergrund“ wird Mansury nicht los. „Vielfalt ist machbar, Herr Nachbar“ – lautet etwa der Spruch auf einem Kommunalwahl-Plakat, das derzeit in Würzburg für Mansury und einen SPD-Kollegen wirbt. „Ich finde es in Ordnung, dass man dieses Merkmal herausstellt, solange ich nicht darauf reduziert werde“, findet die Politikerin. „Es ist ein gutes Mittel, um zu zeigen, dass sich die Vielfalt in unserer Gesellschaft auch politisch widerspiegelt“, so Mansury. „Mit meiner Geschichte kann ich anderen Migranten einen Anreiz geben, sich selbst zu beteiligen.“

Rassistische Kommentare

Mulugetas und Mansurys Geschichten zeigen, dass die Formen politischer Beteiligung vielfältig sein können, aber letztlich auch dadurch begrenzt sind, wie viele Rechte man den Einwanderern zuspricht. „Wenn ich nicht wählen dürfte, dann würde ich mich auch nicht eingebunden fühlen in diese Gesellschaft“, sagt Mansury. „Warum sollte ich mich einbringen, wenn man mich ausschließt?“ Abgesehen von den rechtlichen Einschränkungen gebe es immer noch viel zu viele Vorurteile gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund, die sich politisch engagieren. Das weiß Mansury aus eigener Erfahrung. Beispielsweise tauchen immer wieder rassistische Kommentare auf ihrer Facebook-Seite auf. Sie habe auch schon mitbekommen, dass Menschen gesagt hätten, sie würden sich ungern von einer „nicht typisch Deutschen“ politisch vertreten lassen.

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