Europa in einem Semester
Erasmus ist nicht nur Party, sondern auch eine tolle Möglichkeit, Europa kennenzulernen. Lea Bienhaus berichtet aus Lille.
Mein Erasmussemester hab ich mir ganz anders vorgestellt, als es nun tatsächlich ist. Ich hatte gedacht, ich wohne in einem Studentenwohnheim auf dem Campus und werde vor allem Kontakt zu den Erasmusstudierenden haben. Es ist ja bekannt, das die Erasmuscommunity gerne unter sich bleibt.
Nun, es ist ganz anders gekommen. Ich wohne in einem Privathaus mitten im „Drogenviertel“ von Lille, das nah an der Uni liegt. In diesem Haus wohnen nur Deutsche und eine Halbfranzösin. Das heißt, wir sprechen viel Deutsch untereinander, aber da meine WG französische Freunde hat, lerne ich auch Franzosen kennen und spreche doch auch mal Französisch.
Außerdem wird an der Sciences Po Lille auch fast ausschließlich Französisch gesprochen. Vorlesungen und Seminare werden, selbst wenn sie einen englischen Titel haben, auf Französisch gehalten. Die Franzosen sind stolz auf ihre Sprache, was aber nicht heißt, dass sie nicht versuchen, mir auf Englisch zu vermitteln, was der Dozent eben erklärt hat. Es ist unumgänglich, das eigene Sprachniveau zu verbessern.
Der Begriff „Erasmusstudierende“ hat für mich schnell einen anderen Bedeutungshintergrund bekommen: Nicht nur die europäischen Studierenden werden als Erasmus betitelt, sondern alle Studierenden. Auch wenn einige Studenten aus Australien oder Costa Rica kommen: Die Dozenten fragen meist nur nach den Erasmusstudierenden. Das gibt uns allen das Gefühl, eine zusammengehörige Gruppe zu sein. Nach den Nationalitäten eingeteilt zu werden, das erscheint uns unpassend. Wir haben doch alle das gleiche Ziel: so viel voneinander zu lernen wie möglich.
Austausch der Kulturen
Ich habe momentan viel mit belgischen, australischen und amerikanischen Studierenden zu tun. Jeder bringt viel Kulturelles in die Gruppe mit ein. Mit der Belgierin kochen wir zum Beispiel viel französisches Essen, da sie gebürtige Französin ist. Die Australierinnen reisen besonders viel und mit der Amerikanerin haben wir schon einen ersten Besuch bei ihr in Boston ausgemacht. Ich befinde mich also in Frankreich, lerne aber von Menschen aus vielen verschiedenen Kulturen.
Europa bereisen und neu entdecken
Wer gerne reist, ist sehr gut in Lille aufgehoben. Paris, London und Brüssel sind mit dem Zug nur knapp eine Stunde entfernt. Wir sind fast jedes Wochenende unterwegs und entdecken Europa. Je mehr verschiedene Menschen dabei sind, desto unterschiedlicher betrachtet man die Stadt, in der man sich gerade befindet. Vor allem das europäische Viertel von Brüssel hat allen gefallen. „Hier treffen wir uns alle in ein paar Jahren wieder, allerdings nicht als Touristen“ war das Fazit des Tages. Auf unserer Reiseliste stehen noch Madrid, Lissabon und Dublin: Europa in einem Semester.
Natürlich steht nicht immer nur Kultur auf dem Programm. Parties gehören auch dazu, allein schon, um das belgische Bier probieren zu können, welches ja weltweit berühmt ist. Besonders die Kennenlerntreffen haben in Bars und Pubs stattgefunden. Anschließend sind wir dann auch in Clubs gegangen und haben bis morgens gefeiert. Einen sehr guten Feiergrund gibt es ja: Wir erleben ein Semester, in dem wir mehr lernen werden als nur den Unistoff.
Erasmus ist immer das, was man draus macht. Mich persönlich lässt es Europa kennenlernen – nicht nur Frankreich.