Film aus statt Film ab
Über ein Jahr lang mussten zahlreiche Kinos wegen der Pandemie schließen. Mit fatalen Folgen für so manche/n Betreiber:innen. Droht dem Geschäft mit der großen Leinwand deshalb nun langfristig das Aus?
Es hätte auch anders ausgehen können. Gunnar Schäfers ist selbst erstaunt: Nach mehr als zwei Jahren Corona, in denen er und viele andere Kinobetreiber:innen aus ganz Deutschland ihre Geschäfte erst monatelang schließen und dann nur unter strengen Auflagen wieder öffnen durften, sei die wirtschaftliche Situation der Kinobranche inzwischen weniger prekär, als man vermuten könnte. Zumindest für den Moment.
„Überraschenderweise ist die Lage gut“, sagt Schäfers, der zwei Kinos in den niedersächsischen Kreisstädten Vechta und Diepholz betreibt. Obwohl die Besucher:innenzahlen noch nicht wieder bei 100 Prozent lägen, hätten die Menschen in der Pandemie das Kino, wie auch gastronomische Angebote, wieder mehr zu schätzen gelernt, ist er überzeugt.
Eine ermutigende Aussicht für die Genossenschaft Kinomarkt Deutschland, deren Aufsichtsratsvorsitzender Schäfers ist. Der Zusammenschluss aus mittelständischen Kinobetrieben möchte den künftigen Herausforderungen der Kinobranche besser gewachsen sein und dafür langfristig rund zwei Drittel der bundesweit ca. 1.500 bestehenden Kinobetriebsstätten als Mitglieder gewinnen. Um gemeinsam zu agieren.
Auflagen treffen die Branche schwer
Mit den Aufgaben, vor denen Kinobetreiber:innen aktuell stehen, kennt sich auch Christian Bräuer aus. Er ist Vorstandsvorsitzender des Branchenverbands AG Kino und Geschäftsführer der Yorck-Kino GmbH in Berlin und fällt, anders als sein Kollege, ein eher besorgniserregendes Urteil über die Lage der Kinos: „Vor allem kleinere, traditionelle Betriebe und Arthouse-Kinos sind zum Teil bis auf das Knochengerüst runtergehungert.“
Ihm zufolge haben die strengen coronabedingten Vorschriften der Politik Schuld. Sie erschwerten Kinobetreiber:innen ihre Arbeit und schreckten Zuschauer:innen ab. Dabei seien Kinos keine Infektionsherde, sondern hätten wirksame Hygienekonzepte und die räumlichen Möglichkeiten, diese auch umzusetzen, so Bräuer. Vor dem Hintergrund einer drohenden neuen Corona-Welle befürchtet er deshalb ein „wahnsinnig schwieriges Jahr“ für die Branche. Wirtschaftsförderprogramme konnten den Kinobetreiber:innen zwar helfen, sich eine Zeitlang über Wasser zu halten. Um langfristig wieder auf die Beine zu kommen, brauche es Bräuers Meinung nach jedoch spezielle Aufbauprogramme.
Ansprüche an das Programm haben sich verändert
Weniger existenzgefährdend für die Branche empfindet er die Konkurrenz durch Streaming-Dienste wie Netflix, Amazon Prime und Co. Wer ins Kino gehe, tue das, weil er Wert auf ein besonderes Erlebnis lege, sagt Schäfers. Kinosäle erlauben seit jeher, in einen Film räumlich und akustisch nahezu ungestört einzutauchen, was Laptop oder Fernseher eher nicht vermögen.
Blockbuster wie „James Bond“ und „Spiderman“, aber auch vielumworbene Arthouse-Produktionen wie „Nomadland“ konnten in Pandemiezeiten viele Menschen vor die große Leinwand locken. Viele andere Filme würden laut Bräuer dagegen weder dort noch im Heimkino auf Interesse stoßen. Gerade das jüngere Publikum stelle inzwischen andere Ansprüche an das Programm.
Themen, die die Gesellschaft aktuell bewegen – wie Migration, Gender oder queeres Leben – möchten viele Leute durch die Filmkunst dargestellt sehen, sagt Bräuer. „Unser Anspruch muss deshalb sein, intensivere Auseinandersetzungen mit der Gesellschaft über ihre Wünsche und Erwartungen zu führen. Nicht exklusiver, sondern inklusiver zu werden.“
Monopolisierung bedroht die Vielfalt der Kinos
Bei aller Kritik – die Digitalisierung eröffne natürlich Chancen, besser auf das Publikum einzugehen. Auch die 2019 gegründete Kinomarkt-Genossenschaft nutzt zunehmend ihr digitales Potenzial, um Produktionen online besser zu vermarkten und Interessierte direkter anzusprechen. Ein Erfolgsrezept, wie Gunnar Schäfers hofft.
Doch der Technik müsse man nicht alles überlassen, sagt sein Kollege Bräuer. Für ihn macht es ein gelungener Mix aus Moderne und Tradition. „In einer Zeit, in der Algorithmen fast alles übernehmen, möchten die Menschen lieber wieder menschlichen Empfehlungen vertrauen“, schätzt der AG-Chef. Das Kuratieren von Filmen gewinne wieder mehr an Bedeutung, glaubt er.
Ein Kinoerlebnis persönlich zu gestalten hält Bräuer besonders vor dem Hintergrund der fortschreitenden Monopolisierung des Kinomarkts für wichtig. Wenn am Ende wenige globale Konzerne bestimmten, was entstehe und entdeckt werden könne, gefährde das die Branche. Und damit die demokratiefördernde Funktion des Kinos, gesellschaftlich relevanten Themen und kritischen Stimmen eine Bühne zu geben, warnt der Experte.
Kinos wieder zum Erstverwerter von Filmen machen
Um langfristig erfolgreich zu bleiben, versucht Kinobetreiber Schäfers aktuell, sein Programm so breit wie möglich aufzustellen und viele Geschmäcker zu bedienen. Also noch mehr Lust auf die Traumfabriken machen und sich von „Sofanien“ losreißen?
Wenn Filme wieder zuerst auf der großen Leinwand und erst dann bei Netflix und Co. liefen, könnte das vielleicht klappen, hofft er – und 2022 zu einem Jahr des Kinos werden.
Das sind ja zum Teil ermutigende Aussichten, aber ich möchte mal darauf hinweisen, dass – unabhängig von Corona – gerade die großen Mainstream-Kinos selbst schuld am Zuschauerschwund sind, denn für Blockbuster mit Überlänge (inzwischen regulär) oder in 3D werden Preisen aufgerufen, die sich eine Familie kaum noch leisten kann. 14 bis 18 Euro pro Person und pro Film (überteuerte Getränke und Popcorn nicht eingerechnet) sind einfach zu viel. Das ist pro Person ein ganzer Abo-Monat bei Netflix und co.