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Blockbuster vs. Arthouse: Wo fängt Kunst an? Ein Streitgespräch

Von Sophia Hörhold / 16. Februar 2022
picture alliance / SZ Photo | Alessandra Schellnegger

Ivan studiert Regie an der Hochschule für Film und Fernsehen in München. Gianluca hat vor einem Jahr eine Werbeproduktionsfirma in Köln gegründet. Beide verbindet die Liebe zum Film. Beide drehen sie seit Jahren Kurzfilme. Wenn es aber um die Frage geht, was die Kunst dahinter ausmacht, sind sie sich nicht so einig.

Sagwas: Steigen wir direkt ein: Was ist Filmkunst?

Gianluca: Ich unterscheide zwischen zwei großen Bereichen. Da ist einmal der Mainstream-Film, also wirklich das Massenkino. Da kann jeder abschalten und Spaß haben. Dazu zählen für mich auch die ganzen Marvel-Filme. Auf der anderen Seite gibt es das Arthouse-Kino. Da wird es mit der Definition ein bisschen schwieriger, weil mittlerweile Arthouse auch Mainstream sein kann. Ich kenne beispielsweise niemanden, der Wes Anderson nicht mag. Dabei zieht der komplett sein Arthouse-Konzept durch, schafft es aber durch seine tollen Bilder, den Mainstream anzusprechen.

Ivan: Das heißt also, Wes Anderson ist für dich Arthouse?

Gianluca: Auf jeden Fall. Der schreibt sein Werk zu sehr großen Teilen selbst und nimmt sich viel Freiheit.

Das Marvel Cinematic
Universe
ist ein fiktives
Universum, in dem eine Reihe
von Superheldenfilmen spielt,
die alle vom gleichnamigen
Franchise produziert werden.
Filme: u. a. Iron Man, Spider-
Man, Avengers

Arthouse-Filme werden
oft in kleinen Studios
produziert.
Sie sind meist weniger
kommerziell angelegt und haben
einen besonders künstlerischen
Anspruch.

Ivan, wo würdest du Wes Anderson verorten?

Ivan: Wes Anderson ist ein Filmemacher, der sehr viel gesehen wird und sobald etwas viel gesehen wird, ist es Mainstream, allein dem Wortsinn nach. Ich sehe Arthouse dagegen als eine bestimmte Filmrichtung, die immer ein bisschen die Außenseiterrolle einnimmt. Das sind Filme, die weniger gesehen werden, die experimentieren, die sehr bewusst neue Wege gehen, etwas ausprobieren.

Also, sobald ein Film ein Massenpublikum erreicht, zählt er nicht mehr als Kunst?

Ivan: Nein, so würde ich es nicht sagen. Er wird dadurch nur weniger Arthouse.

Gianluca: Je mehr Geld im Spiel ist, desto weniger Freiheiten hat man. Geld ist natürlich hilfreich, denn am Ende musst du den Film finanziert bekommen. Aber wenn dadurch viele Leute mitsprechen wollen, verfälscht es dieses “Autorenstück“. Es kann Kunst töten, wenn man zu sehr allen gerecht werden will. Dementsprechend ist Mainstream-Kino oft keine Kunst.

Ivan: Es gibt aber auch Leute aus dem Arthouse-Bereich, deren neuartige Form später zum Mainstream wurde. Die Filmlandschaft entwickelt sich ja auch. Was vielleicht vor 20 Jahren als Arthouse galt, kann heute Mainstream sein. Zum Beispiel die Marvel-Filme. Sie haben viele Arthouse-Elemente, spielen zum Beispiel mit der Form. Klar sind es keine Autorenfilme, bei denen der Regisseur oder die Regisseurin alles selbst schreibt. Die Marvel-Filmreihe ist ein Kino, das von einer kleinen Gruppe an Leuten geleitet wird, die alle ihre Form kennen und jedes Mal nur Dienstleister einkaufen, die den Film produzieren. Es ist eine kleine Gruppe, die sehr viel Kontrolle hat. Damit ist das gar nicht so weit weg von dem, was wir als Arthouse definieren.

Gianluca, du schüttelst den Kopf. Warum?

Auf der Berlinale: Ivan Dubrovin (Foto: Privat)

Gianluca: Da wird extrem viel vorgegeben. Und ich finde, das merkt man auch. Einem Marvel-Film fehlt die eigene Stimme. An den Filmen arbeiten unterschiedliche Regisseure und trotzdem passt alles in das vorgegebene Spektrum.

Ivan: Ja, weil jemand anderes es kontrolliert, das ist eben nicht mehr die Regie. Das ist ein Kino, das von der Produktion gesteuert wird – und das sehr genau. Denkst du nicht, dass es bei Arthouse so ähnlich ist? Wenn so ein Tarkowski was will, dann muss das auch genau so laufen. Es gibt da diese Ähnlichkeit.

Gianluca: Ich finde Marvel-Filme dann doch ein bisschen zu sehr “Blockbuster“. Sie sind dadurch nicht zwangsläufig schlechter, aber weitaus oberflächlicher, als man das vom das klassischen Arthouse-Film sagen kann.

Wes Anderson ist ein US-amerikanischer Filmemacher. Filme: u. a. Grand Budapest Hotel, The French Dispatch.

Andrej Tarkowski (1932-1986) war ein sowjetischer Filmemacher. Filme: u. a. Iwans Kindheit, Stalker, Nostalghia

Gaspar Noé ist als Skandalfilmemacher bekannt. Filme: u. a. Menschenfeind, Enter The Void, Climax

Am Set: Gianluca Pistoia (Foto: Luca Glisic)

Wir haben jetzt sehr positiv über das Programmkino geredet…

Ivan (lacht): Es gibt auch gescheiterte Filme von Filmstudenten, das ist im Grunde genommen auch Arthouse. Ich glaube, man muss da zwei Themen trennen: Einmal die Frage, wie viel Geld man damit verdient. Einige verdienen viel mit ihren Filmen, andere nicht, obwohl sie vielleicht sogar dieselben Ansätze, Ziele und Inspirationen haben. Der andere Aspekt ist, wie sehr der Film eine Form der Selbstverwirklichung ist. Legt man da etwas von sich rein, bereitet das Freude? Oder arbeitet man es nur ab und denkt gar nicht mehr darüber nach?

Gianluca: Ich denke, Filmkunst ist es dann, wenn der Filmschaffende zum einen dem Zuschauer oder der Gesellschaft einen Spiegel vorhält, zum anderen gewisse eigene Erlebnisse durch seine Filmkunst verarbeitet. Gaspar Noé zum Beispiel ist ein sehr experimenteller Filmemacher. Was er zeigt, ist schon hart, er spielt mit dem Zuschauer und geht bis zum Äußersten. In “Irreversible“ sieht man eine Vergewaltigung, die fünf, sechs Minuten dauert. So etwas würde man nie in einem klassischen Blockbuster sehen, das ist viel zu aggressiv, zu provokant. Aber genau das will er. Das hat auch seine Daseinsberechtigung. Gerade mutige Filme, also Arthouse, zeigen, was möglich ist. Und das macht in der Folge auch den Mainstream-Film besser.

Das heißt, das eine braucht das andere?

Gianluca: Auf jeden Fall. Es ist notwendig, damit sich das Kino weiterentwickeln kann.

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