Filmkritik: Isolierte Träume
Wie viel ist uns die Freiheit wert? Und wie frei sind wir in unseren Entscheidungen wirklich? Die zentralen Fragen des Kurzfilms “Almost Home“ stellen sich nicht nur im Weltall.
In einer Welt in der Zukunft ist die Raumfahrt längst im großen Stil etabliert. Im All unterwegs sind der Teenager Jakob (Jeremias Meyer) und seine Mutter Nico (Susanne Wolff). Nach einer zweijährigen Reise zum Mars sehen sie endlich der Rückkehr zur Erde entgegen. In Rückblenden erfahren wir, dass Jacob auf einen Rollstuhl angewiesen war und den Flug antrat, um mittels Immuntherapie geheilt zu werden. Tatsächlich ist die Behandlung überraschend erfolgreich, nun sehnt er sich zurück nach seinem “normalen“ Leben als Jugendlicher.
Neben seinem Lauftraining und den Aufgaben auf dem Schiff vertreibt er sich die eintönige Zeit damit, Japanisch zu lernen, um mit seiner Freundin in ihrer Muttersprache reden zu können. Auf das Wiedersehen freut sich auch sein Vater Tom (Stephan Kampwirth), der per Hologramm mit beiden in Kontakt steht. Dann kursieren die ersten Meldungen über „irgendeine neue Grippewelle“ und Maßnahmen dagegen, was die getrennten Eltern aber nicht weiter beunruhigt. Schließlich wird deshalb doch nicht gleich der Weltraumverkehr lahmgelegt! Als das Schiff an der Raumstation über der Erde andockt, sieht das schon anders aus.
Die Grippewelle hat sich zu einer ernstzunehmenden Pandemie entwickelt. Zwar ist es für Jacob und Nico noch möglich nach Hause zu kommen. Allerdings warnt Jacobs Ärztin davor, dass er trotz seines jungen Alters zur Risikogruppe gehört – und sterben könnte. Jacob ist fast zu Hause, aber eben nur fast. Und nun scheint all das, worauf er zwei Jahre hingearbeitet hat, plötzlich zu zerbrechen.
Der Film verarbeitet die Erfahrungen aus der Corona-Zeit in einem intensiven Kammerspiel und treibt das Gefühl der Isolation auf die Spitze. Inspiriert wurde Regisseur Nils Keller von einem echten Kreuzfahrtschiff, auf dem zu Beginn der Pandemie die Frage im Raum stand, ob die Passagiere es verlassen oder die Situation aussitzen sollten. Der Konflikt, was richtig ist und was nicht, wird im Film zusätzlich durch die Trennung der Eltern aufgeladen. Möchte die Mutter wirklich nur ihren Sohn schützen oder damit eben auch verhindern, dass er beim Vater wohnt? Spielt Letzterer die Ereignisse herunter, um das Wiedersehen nicht zu gefährden?
Neben den überzeugenden visuellen Effekten und der atmosphärisch dichten Kulisse sind es vor allem die Dialoge der wunderbar miteinander harmonierenden Darsteller:innen, die das Science-Fiction-Setting so greifbar und in die eigene Lebenswelt übertragbar machen. Wie viel ist uns die Freiheit wert? Diese Frage stellt sich jeden Tag auf’s Neue.
Almost Home
Regie: Nils Keller
Deutschland, 2021-22, 36 Minuten