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Gefragte Kritik

Von Marc Sommer / 12. Oktober 2022
picture-alliance | Christian Ohde / CHROMORANGE

Nachrichten haben oft keine lange Halbwertszeit. Im Fall der jüngsten Vorfälle beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk sollte man es nicht bei den bisherigen Recherchen belassen. Die grundlegende Auseinandersetzung fängt gerade erst an. Aber worüber sprechen wir hier eigentlich?

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) ist eine wichtige Säule der unabhängigen Presse in Deutschland und damit der Demokratie. Wären da nicht die aktuellen Vorfälle von Geldverschwendung und persönlicher Vorteilnahme, die deutlich zeigen, wie die Autonomie des ÖRR durch Personen in Leitungsfunktion missbraucht wurde. Der Schaden für den ÖRR ist immens. Das Phänomen, Kostensteigerungen schlicht nicht ausreichend zu hinterfragen, noch lange nicht überwunden.

Es verwundert darum nicht, dass die Stimmen von Kritiker*innen lauter werden. Einige fordern gar die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Allerdings kann er nicht einfach “abgewickelt“ werden, denn der ÖRR untersteht dem Schutz des Grundgesetzes. Seine Unabhängigkeit und sein Fortbestehen werden von den höchsten Gerichten verteidigt. Umso wichtiger ist es, hinzuschauen, wenn einzelne Funktionäre im ÖRR Lücken im System für eigene Zwecke ausnutzen. Umgekehrt bringen populistische Angriffe in der Debatte um Wirtschaftlichkeit aber niemanden weiter, sondern münden in verhärtete Fronten.

Meinungen abbilden oder Trends verbreiten?

Statt lösungsorientierter Zusammenarbeit liegt der Fokus der Gegner*innen des ÖRR vielfach beim Stimmenfang. So gehen die privaten Sender in Deutschland mittlerweile in eine Informations-Offensive und befeuern die Debatte um den Rivalen damit, was dieser scheinbar nicht bieten kann.

Auf die Schwächen der Organisationsstruktur beim ÖRR zu verweisen, liegt nicht nur bei der Konkurrenz im Trend. Alle 16 Bundesländer befürworten eine Reform des ÖRR, mitunter mit radikalen Forderungen. Die einen zielen auf eine Zusammenlegung der Rundfunkanstalten, andere plädieren für nur einen öffentlich-rechtlichen Sender. Im Falle eines „Ein-Sender-Prinzips“ hat der ARD-Intendant Tom Buhrow bereits 2021 Ansprüche geltend gemacht, da die ARD „von Anfang an“ bestehe.

Liberale Stimmen aus der Parteienlandschaft schlagen vor, stattdessen am ZDF festzuhalten, da die ARD über die Landesrundfunkanstalten weiterexistiere. Doch ob ARD oder ZDF – die Umsetzbarkeit ist fraglich. Medienfachleute sprechen sich dafür aus, die jeweiligen Stärken der Sender zu identifizieren, um die Akzeptanz für den ÖRR zu sichern. Es sei wichtig, dass Zuschauer*innen weiterhin verlässlich informiert werden. Mit anderen Worten: Ihrer Meinung nach besteht die „kluge, sich ergänzende Programmgestaltung der Hauptsendeanstalten“ längst.

Was nichts daran ändern, dass für den ÖRR die sozialen Medien vor allem eine große Herausforderung darstellen. Die kommerziell orientierten Social-Media-Plattformen verbreiten politische Meinungen und Trends. Das zugrunde liegende Geschäftsmodell besteht jedoch nicht in der Verbreitung von Informationen, sondern in der Werbung und Zusammenführung gleicher Meinungen zur Selbstbestätigung.

Investieren und kontrollieren

Für Kathlen Eggerling von Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di im Landesbezirk Berlin-Brandenburg geht es mehr denn je darum, das Vertrauen in den ÖRR wieder zu stärken mit einem attraktiven, journalistisch hochwertigen Programm, das von Meinungsvielfalt zeugt und die neuen Medien nicht vernachlässigt. Die Voraussetzungen dafür seien eine auskömmliche Finanzierung, so Eggerling.

Zuständig für die Prüfung zur Ermittlung des finanziellen Aufwands des ÖRR ist die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF). Tim Schönborn, Geschäftsführer der KEF, und seinem Team obliegt es, nach dem Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag den von ARD, ZDF und Deutschlandradio angemeldeten Finanzbedarf nach den Grundsätzen von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu kontrollieren. „Die Kommission hat keinen unmittelbaren Einfluss auf die operative Geschäftsführung des ÖRR“, warnt Schönborn vor zu hohen Erwartungen an die Zuständigkeit der KEF.

Dabei ist die Programmautonomie der Rundfunkanstalten zu beachten. Das bedeutet, dass die KEF einen Großteil der Bestandsaufwendungen auf der Basis verschiedener Indizes (rundfunkspezifische Teuerungsrate, BIP-Deflator, Steigerungsrate der Personalausgaben der Länder) berechnet, die den Aufwand der Rundfunkanstalten etwa bei Programmauswahl oder beim Personal bestimmen.

Das Ergebnis der letzten Gesamtbudget-Prüfung: Allein bei Großinvestitionen im Immobilienbereich hat die Kommission vor allem innerhalb der ARD erhebliche Baukostenunterschiede von bis zu 157 Prozent (Vergleich Gesamtbaukosten zu Quadratmeter Nutzungsfläche) festgestellt. Laut Schönborn habe die „Kommission deshalb erhebliche Zweifel an der Wirtschaftlichkeit einzelner Vorhaben. Daher hat sie beantragte Investitionsmittel teilweise nicht anerkannt oder gesperrt“.

Ob sich die momentane (konstruktive) Kritik am ÖRR langfristig etablieren oder nur eine Momentaufnahme darstellen wird, ist fragwürdig. Richtungsweisend für den ÖRR werden die bevorstehenden Änderungen im Medienstaatsvertrag für 2023 sein.

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